Mitarbeitendengesundheit: Vom Statisten zum Hauptdarsteller

„Gesundheit ist nun wirklich Privatsache“ – Dieses Mindset war lange Zeit der Grundtenor bei vielen Unternehmen. Dass sich dies nun ändert, war längst überfällig.

Mit der Mittelohrentzündung in den Call, mit der Erkältung ins Büro und trotz akuter Depression die Präsentation fristgerecht liefern. Fehlende Leistungsfähigkeit bedeutet berufliche Nachteile und Gesundheit ist schließlich Privatsache! So haben viele Arbeitnehmende viel zu lang gedacht – eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, der das Thema Gesundheit eher im sehr engen familiären oder Freundeskreis verortet. Die eigene Gesundheit hatte lange nichts im beruflichen Kontext verloren. Die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements mussten natürlich eingehalten werden. Was bedeutete das für die Unternehmen? Sie kennen es: Das Standardprogramm. Impfen, Sehtest, Rücken… Größere Bemühungen in Sachen Mitarbeitendengesundheit waren schlicht nicht nötig, vielleicht nicht einmal gewollt. Spannend ist, was in dieser Hinsicht jetzt gerade passiert. Denn wir erleben einen grundsätzlichen Wandel. Gesundheit wird zum Kernthema auch im beruflichen Kontext. Die Gesundheit der Mitarbeitenden rückt in den Fokus für Arbeitgeber. Gründe und Motivation? Vielfältig.

Der Corona-Booster
Die Corona-Pandemie ist ein wesentlicher Veränderungstreiber. Von einem Tag zum anderen stand der Umgang mit einer für uns alle neuen Krankheit im Mittelpunkt und differenzierte Unternehmen in der Wahrnehmung der Mitarbeitenden in attraktive, fürsorgliche Arbeitgeber und in solche, die sich weniger sensibel für die Belange der Mitarbeitenden zeigten. Den Anfang machte der Automobilzulieferer Webasto, das erste deutsche Unternehmen, in dem Mitarbeitende an Corona erkrankten, und das sein Personal von heute auf morgen ins Homeoffice schickte. Vielfach wurde Webasto für sein Krisenmanagement gelobt, weil es zeigte, was ein Betriebliches Gesundheitsmanagement zu leisten imstande ist. Als Partner dieses Unternehmens ermöglichte es die Gothaer Krankenversicherung den Webasto-Mitarbeitenden rund um die Uhr, einen telemedizinischen Zugang zu Ärzten und eine ärztliche Diagnose zu erhalten. Gemeinsam fanden Webasto und die Gothaer in der Krise Lösungen, die gut angenommen wurden. Die positive Resonanz war für uns als Gothaer großer Ansporn, das telemedizinische Angebot weiter auszubauen. Auch die Verfügbarkeit und die Qualität des Corona- Impfstoffes stellte das Betriebliche Gesundheitsmanagement vor neue, ungewohnte Herausforderungen. Je näher die Freigabe der Impfstoffe rückte, desto mehr Unternehmen überboten sich darin, schnellen Zugang zu Vakzinen für ihre Mitarbeitenden zu erhalten. Und machten damit als Arbeitgeber einen Unterschied.

Der wirtschaftliche Faktor
Das Thema Gesundheit wird auch unabhängig von der Pandemie im Fokus bleiben. Das hat einen ganz nüchternen ökonomischen Grund. Denn klar ist: Eine Investition in die Gesundheit der Mitarbeitenden trägt dazu bei, die krankheitsbedingten Fehltage im Betrieb zu reduzieren und damit dem allgemeinen Trend der steigenden Ausfallzeiten in Deutschland entgegenzuwirken. Dabei ist es wichtig, das Thema ganzheitlich zu betrachten und sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit einzubeziehen. Schließlich bewegten sich gerade erst im letzten Jahr die Fehltage infolge von psychischen Erkrankungen in Deutschland auf Rekordniveau. Eine positive gesellschaftliche Entwicklung ist in diesem Zusammenhang der nach und nach immer offenere Umgang mit mentalen Erkrankungen. Krankheitsbilder wie Depressionen und damit verbundene Burnouts waren viel zu lange Tabuthemen. Gerade für Führungskräfte war es undenkbar, offen zu eigenen psychischen Erkrankungen zu stehen. Immerhin sind wir an diesem Punkt einen wichtigen Schritt weiter. Wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist die Generation Z, also die Jahrgänge, die um die Jahrtausendwende geboren wurden. Für sie ist es selbstverständlich, sich auch mit ihrer mentalen Gesundheit auseinanderzusetzen und die bisherige Stigmatisierung aufzubrechen. Sie sehen es berechtigterweise nicht ein, die eigene Gesundheit dem Job unterzuordnen und sich mit einer Mittelohrentzündung in den Call zu setzen.

Gesundheitsfokus als Unterscheidungsmerkmal
Ein bezuschusstes Fitnessstudio oder der gut gemeinte Obstkorb sind nice-to-have, neue Mitarbeitende gewinnt man damit aber schon lange nicht mehr. Da ist mehr gefordert, vor allem mehr nachhaltiger Nutzen. Heute nutzen Unternehmen Gesundheitsangebote wie die betriebliche Krankenversicherung (bKV), um sich vom Markt abzugrenzen und ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen. Mit einer bKV können Arbeitgeber mit einem geringen finanziellen Aufwand die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden absichern, indem sie beispielweise eine Stationär- oder Zahnversicherung für die Belegschaft abschließen. Positive Effekte sind sofort sichtbar und können gemessen werden. Mitarbeiterbefragungen belegen die gestiegene Mitarbeiterzufriedenheit, die direkt mit der jeweiligen Gesundheitsmaßnahme in Verbindung gebracht werden kann. So gesund der Obstkorb auch ist, gegen eine betriebliche Krankenversicherung wirkt er dürftig.

Gesundheit als Teil der ESG-Aktivitäten
Seit längerer Zeit sehen sich immer mehr verantwortungsbewusste Unternehmen als Corporate Citizens und denken damit weit über ihre eigentliche Geschäftstätigkeit hinaus. In diesem Rahmen geben sie sich selbst Nachhaltigkeitskriterien und nehmen sich in Sachen Umwelt (Environment), soziale Verantwortung (Social) und Unternehmensführung (Corporate Governance) – kurz ESG – in die Pflicht. Auch hier spielt das Thema Mitarbeitendengesundheit eine wichtige Rolle. Eine betriebliche Krankenversicherung zahlt direkt auf die Nachhaltigkeitskriterien „Soziale Verantwortung“ und „Unternehmensführung“ ein. Denn diese Kriterien umfassen auch die Fürsorgepflicht als Arbeitgeber und die Verantwortung gegenüber der wichtigsten Ressource: die Mitarbeitenden. Arbeitgeber stellen sich hier besser auf, indem sie individuell mit Leistungen unterstützen – im Krankheitsfall oder bei persönlichen Herausforderungen wie der Pflege von Angehörigen. Der gesellschaftliche Wandel, die viel offenere und selbstbewusste Generation Z und nicht zuletzt die Pandemie, haben das Thema Gesundheit aus dem reinen privaten in den beruflichen Kontext überführt und damit in die Unternehmen. Dieser fortdauernden Entwicklung sollten sich die Unternehmen stellen. Ziel muss es sein, diesen Prozess aktiv mitzugestalten, den Mitarbeitenden passgenaue Gesundheitsangebote zu bieten, und zwar konkret erlebbar und nachhaltig. Nur Unternehmen, die dieses Mindset leben, bleiben zeitgemäß und glaubwürdig. ■

Die Gesundheit der Mitarbeitenden rückt für Arbeitgeber in den Fokus.

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