Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Betriebliche Altersversorge und Kapitalanlage“ vom 25.05.2022
Altersvorsorge ist ein sehr langfristiger Prozess. Er erfordert Systeme, die über Generationen hinweg ausgelegt sind. Kapitalgedeckte Vorsorge benötigt Zeit, damit rentierliche Anlagen aufgebaut werden können. Umlagefinanzierte Systeme bauen darauf, dass der Generationenvertrag aufgeht. Die Systeme sind nicht in Stein gemeißelt. Insbesondere gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen fordern flexible Antworten. Dies betrifft alle drei Säulen der Altersversorgung – die gesetzliche Rente, die Betriebsrente und die private Altersvorsorge.
Der demografische Wandel wird unsere Gesellschaft mittel- bis langfristig tiefgreifend verändern. Mittel aus dem Bundeshaushalt decken seit einigen Jahren gut 30 % der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung. In den kommenden Jahren gehen die Babyboomer in Rente, was den Finanzierungsdruck auf das umlagefinanzierte System beträchtlich erhöht.
Auch in der kapitalgedeckten betrieblichen und privaten Altersvorsorge sind mit Blick auf das Niedrigzinsumfeld Reformen notwendig. Sparen für das Alter bleibt wichtig, auch wenn nicht so hohe Renditen wie früher erzielt werden. Die zusätzliche Altersvorsorge muss im Interesse der Sparerinnen und Sparer möglichst effizient gestaltet werden. Zudem sind Anreize für eine stärkere Verbreitung der Zusatzvorsorge auch bei Niedrigverdienern erforderlich.
Für die neue Bundesregierung ist die Reform der Altersvorsorge ein zentrales Vorhaben in dieser Legislaturperiode. Im Koalitionsvertrag sind dazu ehrgeizige Vorhaben vereinbart.
Ein wichtiger Baustein ist eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente über einen neu zu schaffenden öffentlichen Fonds, für die sich der Begriff der „Aktienrente“ eingebürgert hat. Die gesetzliche Rente soll dadurch weniger abhängig von der demographischen Entwicklung werden. Vergleichbare öffentliche Fonds in anderen Ländern erwirtschaften im Durchschnitt Renditen von über fünf Prozent jährlich. Wir werden dieses Projekt mit zehn Milliarden Euro noch für das Jahr 2022 beginnen. Weitere jährliche Schritte in ähnlicher Größenordnung werden notwendig sein, um ausreichend Kapital aufzubauen und damit spürbare Erträge zu erwirtschaften. Daran arbeiten die zuständigen Ressorts in der Bundesregierung derzeit intensiv. Perspektivisch wäre zudem interessant, einen gewissen Teil der Pflichtbeiträge der Versicherten in den neuen Fonds zu lenken, damit die Versicherten auch individuell an der Wertentwicklung des Fonds teilhaben können.
Für den Bereich der privaten Altersvorsorge sollen nach dem Koalitionsauftrag zwei Handlungsoptionen geprüft werden. Die eine Option ist die Einrichtung eines öffentlich verantworteten Fonds, der ein freiwilliges Investitionsangebot schafft. Die andere Option ist die Förderung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen im Vergleich zu Riester-Produkten. Die Förderung soll dabei auf untere Einkommensgruppen ausgerichtet werden. Denn nicht jeder kann sich Altersvorsorge ohne Weiteres leisten. Die private Altersvorsorge muss zusätzlich bestimmte Anforderungen an die Planbarkeit erfüllen. Und nicht zuletzt brauchen wir Produkte, die auch im aktuellen Zinsumfeld vernünftige Renditen erreichen können. Auch an den dazu erforderlichen Schritten arbeiten wir.
Ein weiterer Aspekt in der Diskussion wird die Nachhaltigkeit der Kapitalanlage sein, um Chancen zu nutzen, die sich aus dem Wandel hin zu einer nachhaltigeren und klimafreundlicheren Wirtschaft ergeben. Nachhaltige Finanzierungen voranzubringen, ist auch in dieser Legislaturperiode ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Daher wird ein neuer Sustainable Finance-Beirat eingesetzt, der uns vorrangig dazu beraten wird, wie die konkreten Maßnahmen der Sustainable Finance-Strategie der Bundesregierung
erfolgreich und praktikabel umgesetzt werden können.
Sustainable Finance bietet enorme Chancen und Perspektiven für den Finanzstandort Deutschland. Daher freue ich mich, dass Frankfurt am Main den Zuschlag als Standort des „International Sustainability Standards Board“ der IFRS-Stiftung erhalten hat. Das Board erarbeitet internationale Mindeststandards zur finanziellen Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken und Chancen, die einen Einfluss auf den Wert des Unternehmens haben. Diese Standards werden insbesondere Informationsbedürfnisse der Investoren bedienen. Ein weltweiter Mindeststandard für die nachhaltigkeitsbezogene Unternehmensberichterstattung wird die Transparenz verbessern und eine mögliche Fragmentierung der weltweiten Berichtspflichten verhindern. Dafür setzen wir uns auch in unserer G7 Präsidentschaft ein.