Software-basierte Lösungen im Zeitalter zunehmender Digitalisierung und abnehmender Personalstärken

Herr Haas, seit der ausgerufenen Zeitenwende durch den Bundeskanzler rückt die Landes- und Bündnisverteidigung wieder ins Zentrum des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr. “Software Defined Defence” (SDD) ist dabei als Leitlinie allgegenwärtig. Welche Lösungsansätze sehen Sie in diesem Kontext, um diese Fähigkeiten zu stärken?

TH: Die Bundeswehr steht vor einem fundamentalen Wandel, in dem die Digitalisierung eine Schlüsselrolle spielt. Ein innovatives Leitprinzip dieses Wandels ist „Software Defined Defence“, das darauf abzielt, die Potenziale von Software zur kontinuierlichen Verbesserung der Fähigkeiten der Bundeswehr und deren Waffensysteme zu nutzen. Historisch wurden die Fähigkeiten der Bundeswehr vor allem durch Waffensysteme definiert. Fähigkeitssteigerungen erfolgten primär durch Upgrade-Programme oder den Ersatz der Waffensysteme. Diese Herangehensweise, sowie die dafür benötigten finanziellen Mittel, stehen uns in Zukunft nicht mehr zur Verfügung.

Und Software Defined Defence soll hier die Lösung bieten? Können Sie das genauer erläutern?

TH: Software Defined Defence ist, wie bereits erwähnt, das Leitprinzip. Die Grundlagen von SDD und somit die Basis für konkrete Lösungen sind in einer offenen und modularen Gesamtarchitektur zu finden, die es ermöglicht, das Leitprinzip anzuwenden. Die Bundeswehr hat bereits eine solche flexible, offene und interoperable IT-Plattform für nationale und internationale Einsatzszenarien geschaffen, die auf der „Clusterlogik“ basiert. Diese Logik bildet das Fundament für die künftige Architektur der Bundeswehr-IT und orientiert sich an der NATO C3-Taxonomie.

“Clusterlogik” – ein weiterer neuer Begriff. Was verbirgt sich dahinter?

TH: Die Bundeswehr hat im Rahmen des Leitprinzips „SDDBw“ ihr IT-Portfolio entlang der NATO C3-Taxonomie in neun Clustern strukturiert. Diese „Clusterlogik“ ist das wesentliche Grundprinzip für die zukünftige IT-Architektur. Die Digitalisierungsplattform des Geschäftsbereichs BMVg bildet die methodische Grundlage für die Implementierung des Design-Paradigmas SDD in der Bundeswehr.

Herr Haas, können Sie uns diese neun Cluster einmal erläutern, insbesondere auch, wo wir ihre Lösung finden?

TH: Die neun Cluster lassen sich in vier Gruppen gemäß der NATO C3-Taxonomie unterteilen: Plattform-, Infrastruktur- und Kommunikationsdienste, Business Support Services, sowie als oberste Schicht die operativ funktionalen COI Services. Zusätzlich gibt es querschnittliche Services wie Information Security, IT-Management & Control und ERP-Services. Unser TACTICAL CORE, auch „Tactical Platform Service“ genannt, repräsentiert vor allem Dienste des Clusters „Plattform und Infrastruktur Services“. Den größten Zuwachs an Fähigkeiten erwarten wir vor allem in den operativen Services, besonders durch die verstärkte Implementierung von Künstlicher Intelligenz (KI).

Fähigkeitssteigerung durch KI und Agile Entwicklung klingen vertraut…

TH: Absolut. Ein zentraler Schwerpunkt von SDDBw liegt in der Integration von Künstlicher Intelligenz (KI). Diese Technologie dient als Katalysator für fähigkeitssteigernde Anwendungen. Die Implementierung von Rapid Development & Deployment ermöglicht eine agile Softwareumgebung, die die schnelle Entwicklung, Testung und Bereitstellung von Software in die Waffensysteme unterstützt.

Wie sieht es mit der Sicherheit aus? Bei IT denkt man oft an „Cyber Warfare“, bei dem der potentielle Gegner versucht, unsere Fähigkeiten zu eliminieren.

TH: Sicherheit steht an oberster Stelle. Mit der Einführung von SDDBw in die Bundeswehr geht eine unmittelbare Verbindung zur Informationssicherheit (InfoSec) einher. Während SDDBw inhärente Verbesserungen in der Informationssicherheit ermöglicht, werden gleichzeitig neue Sicherheitsrisiken und Angriffsvektoren adressiert. Das Prinzip „Security-by-Design“ wird dabei als essenzieller Bestandteil des Ansatzes betont.

Und wie sehen Sie die Auswirkungen dieses Ansatzes auf die Problematik abnehmender personeller Ressourcen?

TH: Der Ansatz von SDD wird positive Auswirkungen auf diese Problematik haben. Die Verbindung mit komplett vernetzten Systemen ermöglicht einen erheblichen Automatisierungsfortschritt und eine Verschlankung bisheriger manueller Prozesse. Manuelle Prozessbeteiligung wird sich zunehmend in Prozessüberwachung wandeln, jedoch mit erheblich weniger Anforderungen an personelle Ressourcen. Insofern wird SDD ein erhebliches Potenzial zur Hebung entsprechender Synergien bieten, wobei möglicherweise eine höhere Qualifikation des militärischen Personals erforderlich ist.

Herr Haas, welchen Ausblick können Sie uns geben?

TH: Die digitale Transformation der Bundeswehr durch SDDBw markiert einen entscheidenden Schritt in der Sicherheits- und Verteidigungsstrategie. Die Anpassung von Planung, Ausrüstung, Informationssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Vertragsstrukturen ist ein dynamischer Prozess, der eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und der Industrie erfordert. SDDBw repräsentiert nicht nur einen technologischen Fortschritt, sondern einen umfassenden Ansatz, der die Sicherheitslandschaft und die Architektur zukünftiger Systeme nachhaltig prägen wird.

Herr Haas, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.