Sinnvoller Klimaschutz braucht mehr Technologieoptionen – nicht weniger

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 28.08.2023

Der Klimaschutz in Deutschland droht, in eine technologische Sackgasse zu laufen. Auf dem BDEW-Kongress im Juni 2023 hat Minister Habeck eingeräumt, was auf Arbeitsebene der betroffenen Sektoren längst ein offenes Geheimnis ist: Selbst mit allen derzeit geplanten politischen Maßnahmen würde das Klimaschutzziel im Jahr 2030 um rund 200 Mio. Tonnen verfehlt. Diese Aussicht sollte dazu führen, bisherige Ansätze kritisch zu überdenken. Heutige klimapolitische Maßnahmen sind geprägt von Verboten und Mikromanagement, bieten aber oft keine überzeugenden Alternativen. Es fehlen flexible Handlungsspielräume, in denen individuelle Lösungen entwickelt werden und innovative Technologien entstehen können.

Nun könnte man argumentieren, dass angesichts der Dringlichkeit des Klimaschutzes Planungssicherheit durch zentrale Vorgaben hilft, den notwendigen Umbau zu beschleunigen. Tatsächlich ist aber in vielen Sektoren noch unklar, ob die eingeschlagene Richtung überhaupt zu einem klimafreundlichen, nachhaltigen und wirtschaftlichen Technologiemix führt. Angesichts dieser Unsicherheiten wäre es schon allein zur Risikominimierung sinnvoll, verschiedene Ansätze parallel zu verfolgen. Faktisch läuft es jedoch in vielen Sektoren in die entgegengesetzte Richtung.

Abschied von Wettbewerb als Innovationsmotor

Im Stromsektor sind detaillierte Technologievorgaben schon lange das politische Mittel der Wahl: Kohleausstieg, Kernenergieausstieg und im Gegenzug Förderung von Erneuerbaren Energien durch spezifische Ausschreibungen treiben den technologischen Wandel der Energieversorgung. Es ist jedoch noch völlig unklar, ob und mit welchem Technologiemix eine zukünftige klimaneutrale Energieversorgung primär auf Basis von Wind und Solar erreicht werden kann. Bereits heute ist die Versorgungssicherheit eine Herausforderung; entsprechend wurden zahlreiche Regularien zur Vorhaltung von „Reservekraftwerken“ geschaffen. Dabei rückt allerdings die ursprüngliche Idee eines liberalisierten europäischen Energiemarktes, in dem Unternehmen im Wettbewerb eine nachhaltige, zuverlässige und günstige Energieversorgung sicherstellen, immer weiter in den Hintergrund.

Welches Maß das Mikromanagement im Stromsektor mittlerweile erreicht hat, zeigt sich am aktuellen Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG 2023), das für 8 Technologien für die nächsten 5 Jahre detailliert vorgibt, wann welche Kraftwerke in Auftrag gegeben werden (z.B. 700MW Wasserstoffkraftwerk am 1.12.2026). In diesem Korsett bleibt kaum Raum für Innovationen, eine kontinuierliche Anpassung an den technologischen Fortschritt, das Lernen aus Fehlern und der technologische Wettbewerb um die beste Lösung werden oft unmöglich.

Im Straßenverkehr hat sich das „Verbrennerverbot“ für Pkw europaweit als zentrale Maßnahme durchgesetzt, obwohl nicht die Antriebstechnik primär für die Klimawirkung verantwortlich ist, sondern die Energiequelle und der Kraftstoff. Dennoch orientieren sich die EU CO2-Grenzwerte für Neufahrzeuge bis heute allein an der Frage, ob beim Fahrzeugbetrieb (am Auspuff ) CO2 freigesetzt wird. Ob das Fahrzeug klimafreundlich mit Biokraftstoff, CO2-neutralen eFuels oder mit fossilem Kraftstoff betankt wird, wird ebenso wenig berücksichtigt, wie die Stromherkunft bei Elektrofahrzeugen. Auch CO2-Emissionen bei der Herstellung von Fahrzeugen und Komponenten (z.B. Batterien) werden bei den CO2-Grenzwerten ausgeblendet, sodass die strikten Vorgaben nicht einmal einen sinnvollen Klimaschutz sicherstellen. Auch das Argument der Planungssicherheit droht zum Bumerang zu werden: Der stark beschleunigte Umbau der Flotte hin zu Elektrofahrzeugen droht, die verfügbare Infrastruktur zu überlasten: Stromnetze, Ladesäulen und Erzeugungsleistung zum gleichzeitigen Laden einer Vielzahl von Elektrofahrzeugen lassen sich rein technisch nicht so schnell bereitstellen wie es die geplante Hochlaufrate für die Flotte erfordert. Die vermeintliche Planungssicherheit für die Automobilindustrie wird damit zum Risiko, wenn die regulatorisch vorgegebenen Technologien sich am Markt nicht absetzen lassen, Alternativen jedoch nicht mehr zulässig sind.

Auch im Heizungssektor ließ sich jüngst beobachten, wie rigide Technologievorgaben Klimaschutzziele eher behindern als fördern: Das Ziel, die CO2-Emissionen im Gebäudewärmebereich zu senken, wurde im Entwurf der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes in einer engen Technologievorgabe umgesetzt. Diese sollte insbesondere die Umstellung auf elektrisch betriebene Heizungstechnologien, v.a. Wärmepumpen, sicherstellen. Dabei ist nicht sicher, ob dies überhaupt das beste Konzept ist – schließlich müsste das gesamte Stromsystem für die Beheizung in extrem kalten Winterperioden ausgelegt werden, die nur selten auftreten. In der politischen Debatte zeigte sich zudem ein weiteres typisches Problem zentraler Planung: Es gibt keine „onesize- fits-all“-Technologie: Die Gebäudesituationen sind so unterschiedlich, dass jeweils passgenaue Technologien erforderlich sind (Wasserstoff, synthetisches Methan, klimaneutrales Heizöl, Holz, Fernwärme, Dämmung, usw.). Diese lassen sich nicht zentral vorschreiben, sondern können nur situativ vor Ort entschieden werden. Der Widerstand gegen das Gesetz fiel entsprechend groß aus.

Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen – z.B. in der aktuellen Diskussion zu zukünftigen Technologien in der Industrie. Der aktuelle Ansatz im Klimaschutz, durch Technologievorgaben und zentrale Planung die Geschwindigkeit zu steigern, ist oft kontraproduktiv. Zentrale Planung kann wichtige Anforderungsdetails vor Ort nicht kennen und führt in der Praxis zu ineffizienten Technologiekonzepten. Gleichzeitig führt die damit verbundene Einschränkung der Wahlfreiheit bei Kunden dazu, dass die Akzeptanz für Klimaschutz insgesamt abnimmt.

Zu alledem drohen langfristige Folgen für den Technologiestandort Deutschland. Im regulatorischen Korsett bleibt nur wenig Raum für technologische Innovationen, die jedoch dringender denn je benötigt werden. Gerade für eine Industrienation liegen große Chancen in neuen Technologien und Geschäftsmodellen, wie z. B. innovative Speichertechnologien, dem Aufbau einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft oder Nukleartechnologie. Aber: Wer würde beispielsweise in Tankstellen für erneuerbare Kraftstoffe investieren, wenn Verbrenner zukünftig verboten werden?

Raum für Innovation schaffen

Wie kann es also gelingen, Klimaschutz mit Spielraum für Innovation und Technologiewettbewerb zu verzahnen? Das Paradoxe ist, dass derartige technologieoffene Mechanismen längst etabliert und bis heute Teil der Klimapolitik sind. Der ursprüngliche Ansatz für Klimaschutz im Stromsektor und der Industrie war, die Gesamtmenge der Emissionen langfristig verlässlich zu begrenzen (im Rahmen des EU-Emissionshandels, kurz „EU ETS“). Die Technologiewahl, um diese Emissionsziele zu erreichen, bleibt dem Markt überlassen und umweltfreundliche Technologien werden über den Handel mit CO2-Zertifikaten belohnt. Bis heute wurde dieser Mechanismus weiterentwickelt und auf weitere Sektoren ausgeweitet.

Allerdings wurden diese – zur Klimazielerreichung ausreichenden Regeln – durch zahlreiche Förderprogramme, ordnungsrechtliche Verbote und sektorale Quotenverpflichtungen unterlaufen, sodass erheblicher Entscheidungsspielraum verloren ging. Windanlagen wurden errichtet, nicht weil der CO2-Preis dies signalisierte, sondern weil es dafür eine Förderung gab. Das wiederholt sich gerade bei Investitionen in zukünftige wasserstofffähige Gaskraftwerke: Diese werden nicht nur dadurch gefördert, dass der steigende CO2-Preis fossile Kraftwerke unrentabler macht. Zudem wird subventionierter Wasserstoff bereitgestellt, der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur vom Staat koordiniert und für den Bau von Kraftwerken zusätzlich eine direkte Förderung ausgeschrieben. Angesichts einer solchen Förderkulisse haben es neue innovative Konzepte abseits des regulatorischen Mainstreams schwer.

Technologieoffenheit als Chance

Ein erster Schritt könnte daher im Entschlacken des regulatorischen Rahmens bestehen, wo Maßnahmen sich überschneiden, und Technologieoptionen einschränken. Langfristig sollten wir wieder zu einer bewährten Arbeitsteilung zwischen Politik und Wirtschaft zurückkehren: Die Politik gibt Ziele und den Ordnungsrahmen vor und überlässt die Wahl der Mittel dem privatwirtschaftlichen Wettbewerb.

Hierzu bedarf es erstens eines verlässlichen Rahmens: Die Politik muss sachgerechte, realistische, langfristige Klimaziele verankern. Zweitens muss die Einhaltung überwacht werden: Dazu gehören sinnvolle Messstandards zur Bestimmung des CO2-Fußabdrucks einer Technologie entlang des gesamten Lebenszyklus. Drittens sollte innerhalb dieses Rahmens die Technologiefrage weitestgehend offen bleiben: Was nachweisbar einen Beitrag zum Klimaschutz leistet, soll auch zulässig sein. Der angestrebte Wandel wird nicht ohne staatliche Fördermaßnahmen auskommen, die soziale Härten und inakzeptable Verteilungseffekte abfedern. Diese Eingriffe sollten jedoch zielorientiert und technologieoffen gestaltet werden.

Damit läge die Verantwortung wieder mehr bei den einzelnen Akteuren – Unternehmen, Fuhrparks und Hausbesitzer müssen die jeweils geeignete Klimaschutztechnologie selbst wählen. Dies nimmt ein Stück Planungssicherheit, schafft aber umgekehrt Anreize, klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Und angesichts der bescheidenen Zwischenbilanz in der Klimazielerreichung wird deutlich, wie dringend wir neue Ideen und Konzepte benötigen. Über Innovationen kann Deutschland als Technologieexporteur dann auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, der weit über den nationalen Fußabdruck hinausgeht.

Im regulatorischen Korsett bleibt nur wenig Raum für technologische Innovationen, die jedoch dringender denn je benötigt werden.

Dr. David BotheDirector, Frontier Economics Ltd.
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ erschienen.
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