Open Insurance – Chancen für Versicherer und InsurTechsOpen Insurance

COVID-Pandemie, eine unsichere weltpolitische Lage und eine wirtschaftlich komplexe Gesamtsituation – das Handlungsumfeld für Versicherer und InsurTechs war selten komplexer als heute. Speziell nun gilt es, den Wert von Daten stärker zu nutzen und die Mehrwerte digitaler Ökosysteme mittels Open Insurance noch konsequenter auszuschöpfen.

Open Insurance bietet deutliche Chancen für die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells und damit für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings nur für diejenigen, die sich aktiv vorbereiten: Einerseits mit Blick auf die Bereitstellung standardisierter Daten – gerade für etablierte Versicherer mit ihrer über die Zeit gewachsenen IT-Landschaft eine Herausforderung. Andererseits auch hinsichtlich der Frage, wie Daten von Drittanbietern so genutzt werden können, dass sie in der Zusammenführung mit den eigenen Daten über Kund:innen für diese einen echten Mehrwert darstellen.

Was ist Open Insurance?
Während es bisher keine einheitliche Definition gibt, hat sich die folgende Begriffsbestimmung doch als sachgerecht und praktikabel herausgestellt: Open Insurance beschreibt den offenen und standardisierten Austausch von versicherungsbezogenen persönlichen und nicht-persönlichen Daten mithilfe von (offenen) APIs und Prozessstandards. Im Fokus stehen Verbraucher:innen, die im Sinne der Datensouveränität entscheiden, wie und in welchem Maße sie Drittanbietern Daten zur Verfügung stellen. Hieraus lassen sich drei prägende Elemente für Open Insurance ableiten: Kundenzentrierung, Offenheit im Austausch sowie Standardisierung.

Veränderungstreiber
Open Insurance ist kein temporäres Phänomen, sondern wird sich in den nächsten Jahren – ähnlich wie es im Banking bereits der Fall ist – weiter ausbreiten und zu neuen Geschäftsmodellen führen. Hierfür sprechen verschiedene Veränderungstreiber, insbesondere die Erwartungen der Kund:innen sowie die Regulatorik. In vielen Lebensbereichen ist man seit Jahren daran gewöhnt, dass das Teilen von Daten zu passgenaueren Leistungen und Mehrwerten führt. Im Banking nicht zuletzt dank der durch die PSD 2 Richtlinie begünstigten Möglichkeit, Kontokorrentkonten zu einer umfassenden Finanzübersicht zu aggregieren. Aber auch Initiativen wie Giropay für Online-Bezahlverfahren oder die SEPA Payment Account Access (SPAA) Initiative sind weitere Schritte für eine Open Data Society im Finanzbereich. Eine Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman etwa ergab, dass sich in Deutschland bei Finanzdaten 48 % bzw. bei Gesundheitsdaten 45 % der Kund:innen damit wohlfühlen, ihre persönlichen Daten zu teilen, sofern sie hierfür bestimmte Services erhalten. Auch auf gesetzlicher und regulatorischer Ebene sind deutliche Veränderungstreiber in Richtung Datenöffnung erkennbar. Aus der European Data Strategy leitet sich eine Data Finance Strategy der EU-Kommission ab. EIOPA griff dies mit dem Discussion Paper on Open Insurance auf, in dem sie Mechanismen im Sinne von Open Insurance befürwortet1 : „Die Untersuchungen zeigen, dass der Datenaustausch (sowohl personenbezogene als auch nicht personenbezogene Daten) durch (offene) APIs im Versicherungssektor begonnen hat und dass es branchenweite Innovationen erleichtern sowie die Agilität von Unternehmen im Hinblick auf Veränderungen der Kundenbedürfnisse und -erwartungen erhöhen kann.“ Die Datenschutzgrundverordnung forciert den offenen Zugang zu Kundendaten ebenfalls – hieraus hat sich schon ein Geschäftsmodell für findige Datenanbieter entwickelt, die diese Daten von Finanzdienstleistern im Auftrag von Kund:innen „anfordern“.

Status quo
Weltweit gibt es bereits verschiedene Anwendungsbeispiele – in den USA insbesondere bei den staatlich verordneten Datenpools auf Basis konkreter Use-Cases, u. a. Naturkatastrophen, Gesundheitssystem oder Kfz- Versicherung. Erste Ansätze von Datenaustausch über standardisierte Schnittstellen im deutschen Versicherungsmarkt sind schon erkennbar, exemplarisch sind hier der BiPRO e. V. oder der FRIDA e. V. als treibende Initiativen zu erwähnen.

Rahmenbedingungen
Bei der Etablierung von Open Insurance haben sich bereits verschiedene Leitplanken – teilweise auch in Abhängigkeit von der Komplexität der Verarbeitung von personenbezogenen Daten – herausgebildet:

  • Standardisierter vereinfachter und Datenaustausch
  • Konsequente Kundenzentrierung und Ableitung der Umsetzungsbeispiele aus der Perspektive der Endkund:innen
  • Risikomanagement
  • Qualitätsmanagement, um hohe Zufriedenheit der Kund:innen durch die Bereitstellung personalisierter Produkte und Dienstleistungen zu erreichen

Potenziale
Eine wichtige Perspektive für die Weiterentwicklung von Open Insurance ist die konkrete Ausgestaltung von Use- Cases, die in Teilen schon umgesetzt bzw. pilotiert sind:

  • Tourismus: Erstversicherer können über offene Schnittstellen in Kooperation mit Reisedienstleistern in Echtzeit maßgeschneiderte Policen für Endkund: innen anbieten, etwa die Absicherung von Verspätungen auf Basis klar definierter Metriken. Dies lässt sich über sog. parametrische Versicherungen umsetzen, d. h. Produkte mit einer klar definierten Metrik, die die Schadenabwicklung ohne zusätzliche Kundeninteraktion auslöst.
  • Rentencockpits sollen einen ganzheitlichen Überblick der künftigen Rentenbezüge über alle drei Schichten – gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorge – ermöglichen. Somit wird das Cockpit die Informationen bündeln, die private Altersvorsorgeanbieter und die gesetzliche Rentenversicherung regelmäßig zur Verfügung stellen. Statt Informationen aus einem Vorsorgeordner mühsam selbst manuell zusammenzufügen, erhalten alle Nutzer: innen kostenfrei Zugriff auf ihre Daten, die bei Produktanbietern und dem Staat gespeichert sind. So wird der Prozess sehr viel einfacher, schneller und kostengünstiger.
  • Online-Abruf aller steuerrelevanter Versicherungsinformationen: Anstatt alle steuerrelevanten Versicherungsdaten, wie Riester- oder Basisrente, manuell einzugeben, integrieren Kund:innen ihr Versicherungskonto mit Hilfe der cloudbasierten Versicherungs-API bei dem Steuererklärungs-Service eines Anbieters ihres Vertrauens. Eine Online- Steuererklärungssoftware kann z. B. per Datenimport steuerrelevante Versicherungsdaten und -informationen extrahieren und diese dann automatisch an das Finanzamt weiterleiten
  • Schadenvermeidung durch IoT: Die Verfügbarkeit von günstigen Sensoren und Aktoren führt dazu, dass immer mehr Risiken gemindert oder ganz vermieden werden. Die Investition in solche Präventivmaßnahmen kann von der Versicherungswirtschaft allerdings nur honoriert werden, wenn diese Daten mit ihr geteilt und darauf basierend neue Produkte entwickelt werden. Kund:innen können Meldungen von Sensoren verifizieren und im Schadenfall – angereichert mit einer Beschreibung im Rahmen ihrer Versicherungsangelegenheiten – nutzen. Die Versicherung kann auf Basis der Daten neue Produkte und Modelle erarbeiten, die die Risikovermeidung oder -minderung in Form von geringeren Prämien honorieren. Gleichzeitig werden Prozesskosten und Aufwände auf allen Ebenen reduziert.

Fazit
Open Insurance ist da und wird kontinuierlich vorangetrieben. Deutliche Mehrwerte für Kund:innen, wofür diese auch bereit sind zu zahlen, sind offensichtlich – entweder monetär oder in Form verstärkter Loyalität und/oder Cross-Selling-Bereitschaft. Es ist allgemein anerkannt, dass zufriedene Kund:innen eine höhere Bindung und Cross-Selling-Quote aufweisen.

Zurzeit wird Open Insurance eher über einzelne, vielversprechende Use-Cases ausgestaltet. Parallel wird auf europäischer Ebene ein regulatorischer Rahmen für die rechtssichere und standardisierte Umsetzung gelegt. Beides hilft bei der Verbreiterung und Etablierung von Open Insurance. Es ist daher entscheidend, dass sich Versicherer sowie Fin- und InsurTechs mit den Chancen und Risiken beschäftigen. Gerade Versicherer müssen sich intensiv vorbereiten – mit Blick auf Datenhaltung, -qualität und -schnittstellen. Nur dann können sie profitieren, ansonsten droht eine Positionierung als reiner Bereitsteller von Risikokapital mit Verlust der wichtigen Kundenschnittstelle. Bei adäquater Vorbereitung jedoch bieten sich Wettbewerbsvorteile durch die Stärkung der Kundenbeziehung und/oder den Aufbau neuer Geschäftsmodelle. ■

Open Insurance ist kein temporäres Phänomen, sondern wird sich in den nächsten Jahren weiter ausbreiten und zu neuen Geschäftsmodellen führen.

Open Insurance bietet deutliche Chancen für die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells und damit für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

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