Nachhaltige Kapitalanlage in der bAV: Zwischen hohen Ansprüchen und praktischer Umsetzung

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Betriebliche Altersversorge und Kapitalanlage“ vom 24.05.2023

Die wenigsten Menschen beschäftigen sich gerne mit ihrer Altersvorsorge; das Thema wirkt trocken und irgendwie frustrierend, da wir den Medien entnehmen, dass es ohnehin mit dem Geld im Alter knapp wird. Gleichzeitig zeigen neue Umfragen unter jungen Menschen, dass sich diese um zwei Themen besonders sorgen: Um den Klimawandel und die Zukunft ihrer Altersvorsorge.

Kann man beides zusammen denken?

Ja, man kann. Die Hannoverschen Kassen gehören zu den Nachhaltigkeitspionieren unter den deutschen Pensionskassen. Und damit ist es auch nicht verwunderlich, dass sie als eine der ganz wenigen Pensionskassen in Deutschland ihre Kapitalanlage komplett als Artikel 8-Produkt nach der EU-Offenlegungsverordnung deklariert haben.

Getragen von ihrer breiten Mitgliederschaft haben sie nämlich schon früh begonnen, Nachhaltigkeitskriterien als Teil der Risikovorsorge in die Kapitalanlage zu integrieren und versuchen tagtäglich, Investitionen an der Lebenswirklichkeit ihrer Versicherten auszurichten. Heute sind mehr als 500 Mitgliedseinrichtungen und über 13.000 Versicherte im Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) organisiert. Als Waldorfschullehrer:innen, Angestellte von gemeinnützigen Institutionen oder Mitarbeitende von nachhaltigen Unternehmen sind diese auch sonst nah dran an Nachhaltigkeitsthemen und verlangen dies auch von ihrer betrieblichen Altersvorsorge. Das verschafft den Hannoverschen Kassen Rückenwind bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien.

Großer Hebel

Die Hannoveraner bewegen keine Milliarden am Kapitalmarkt, aber als mittelgroße Pensionskasse ist der größte Hebel, sich für eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft einzusetzen, die Kapitalanlage. Als gut organisiertes Unternehmen haben wir zwar auch „Nachhaltigkeitsgrundsätze“ für das tägliche Tun, aber ist das wirklich machtvoll? So wird natürlich bei Dienstreisen nur die Bahn genutzt, es gibt keine Dienstwagen mehr und familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind schon lange an der Tagesordnung. Aber der größere Hebel liegt eindeutig in einer Kapitalanlage, die soziale, ökologische und ökonomische Ziele integriert.

Wie funktioniert es konkret?

Seit 2013 haben wir für sämtliche Anlageklassen Nachhaltigkeitskriterien formuliert, deren Einhaltung bindend ist. Das Verständnis von Nachhaltigkeit ist dynamisch, so dass sich die Kriterien im Laufe der Zeit auch verändern und neue Themen, bspw. der Umgang mit Kohle und Erdöl, aufgenommen werden. Bei Investitionen in Unternehmen werden klassische Ausschlusskriterien verfolgt, wie zum Beispiel Verstöße gegen die Menschenrechte und/oder gegen die ILOKernarbeitsnormen, Bau und/oder Besitz von Atomkraftwerken, Bestechung und Korruption. Alle Ausschluss- und Positivkriterien, unterteilt nach Assetklassen, finden sich detailliert in einem jährlichen Transparenz- und Investitionsbericht, den wir 2019 als erste Pensionskasse in Deutschland veröffentlicht haben.

Ausschlusskriterien sind allerdings immer nur der erste Schritt. Der zweite Schritt besteht dann darin, sich zu fragen, welche Unternehmen, Projekte und Ideen für eine zukunftsfähige Welt essentiell sind und welchen Beitrag die Investitionsobjekte zur sozial-ökologischen Transformation beitragen. Bei der Bewertung von Unternehmen, in die investiert wird, wird die umfassende und kritische Expertise von Nachhaltigkeitsratingagenturen genutzt. Diese bewerten fortlaufend die Unternehmensleistungen im Umweltschutz, für Menschenrechte oder gegen den Klimawandel. Vor jedem Kauf eines Wertpapieres muss ein externes Nachhaltigkeitsrating vorliegen, so der interne Qualitätsstandard.

Speziell der Einfluss auf den Klimawandel wird sicherlich in den nächsten Jahren bestimmend für die Kapitalanlage sein. So haben die Hannoverschen Kassen im Juni 2020 zusammen mit 16 anderen Finanzinstitutionen eine Klima-Selbstverpflichtung unterzeichnet (www. klima-selbstverpflichtung-finanzsektor.de). Darin verpflichten sie sich, das Investmentportfolio an den Zielen des Pariser Klimaabkommens auszurichten.

Konkret wurden so beispielsweise in den letzten zwölf Monaten direkte Investitionen in Erneuerbare Energien in Europa getätigt, Unternehmensanleihen von Nachhaltigkeitsleadern, wie der Deutschen Bahn, der ÖBB oder von tennet, erworben und ein Studentenwohnheim mit KfW40-Standard in Norddeutschland gebaut. Außerdem kaufen wir Grundstücke und vergeben sie in Erbpacht an sozial-ökologische Wohnprojekte und entziehen damit Grund und Boden der Spekulation.

Expertise durch den externen Nachhaltigkeitsrat

Ein wichtiger Baustein im organisatorischen Gefüge ist seit 2014 die Zusammenarbeit und der Austausch mit dem Nachhaltigkeitsrat. Der Rat besteht aus vier externen Expert:innen aus den Bereichen Nachhaltiger Finanzwirtschaft, Nachhaltiges Bauen und Vertretern von Mitgliedsorganisationen. In regelmäßigen Sitzungen werden Anlagekriterien auf ihre Aktualität überprüft sowie strategische Fragen und Zielkonflikte diskutiert. Dies ist für beide Seiten ein produktiver Lernprozess.

Braucht es nicht mehr als ein nachhaltiges Geschäftsmodell?

Die nächsten Jahre werden sowohl für Pensionskassen als auch für nachhaltige Investor:innen turbulent und herausfordernd. Die Corona-Pandemie und die ökonomische Abfederung der steigenden Energiepreise aufgrund des russischen Angriffskrieges haben zu einer enormen Staatsverschuldung geführt und es bleibt abzuwarten, wie sich die Zinsentwicklung mittelfristig gestaltet.

Somit ist ein nachhaltiges Geschäftsmodell die Basis für das finanzielle Überleben in Zukunft: Es muss die planetaren Belastungsgrenzen achten, Stakeholderinteressen ernst nehmen, die Sinnhaftigkeit der eigenen Produkte in den Mittelpunkt stellen und deutliche Beiträge zu den SDGs (Sustainable Development Goals) leisten. Aber es braucht gleichzeitig auch eine transformative Unternehmenskultur, denn sonst verpuffen die gut gemeinten Ansätze auf der Investitionsseite. Und die bekommt man nicht geschenkt oder von Unternehmensberater:innen entwickelt, die muss man sich hart erarbeiten. Eine transformative Unternehmenskultur setzt an der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden an, sie ist eher bottom-up als top-down orientiert, setzt auf Kooperation anstatt auf Konkurrenz und nimmt viele Impulse von New Work oder Reinventing Organizations auf.

Die Hannoverschen Kassen sind vor knapp vier Jahren mit einem solchen Entwicklungsprozess gestartet und durch die Corona-Phase ein paar Schritte zurück geworfen worden. Eine BaFin-regulierte Pensionskasse zu einer selbstgeführten Organisation zu entwickeln, ist ein wahrer Kraftakt, aber es lohnt sich. Denn letztlich brauchen wir in der Zukunft mehr denn je Kollegen und Kolleginnen, die mit viel innerer Überzeugungskraft Bestehendes in Frage stellen und weiter entwickeln, die sich mit Leidenschaft und Kompetenz für eine nachhaltige betriebliche Altersvorsorge und für eine nachhaltige Gesellschaft im Ganzen einsetzen.

Seit 2013 haben wir für sämtliche Anlageklassen Nachhaltigkeitskriterien formuliert, deren Einhaltung bindend ist.

Das aktuelle Handelsblatt Journal
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