Militärische Mobilität: Voraussetzung für glaubwürdige Abschreckung

Als einer der führenden Hersteller von militärischen Rad- und Kettenfahrzeugen und Brückensystemen beschäftigt sich General Dynamics European Land Systems (GDELS) seit 2016 intensiv mit Fragegestellungen der militärischen Mobilität in Europa, die über die technische und die taktische Dimension hinausgehen. Eine glaubwürdige und wirksame Abschreckung hängt wesentlich von der verzugsfreien und schnellen Verlegefähigkeit mechanisierter Landstreitkräfte der NATO auf dem gesamten Bündnisgebiet ab. Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung erfährt militärische Mobilität heute wieder einen Bedeutungszuwachs.

2021 erschien eine umfassende Studie des transatlantischen Think Tanks Center for European Policy Analysis (CEPA) unter dem Titel „The CEPA Military Mobility Project: Moving Mountains for Europe`s Defense“. Die Studie, die von GDELS maßgeblich unterstützt wurde, hat anhand von fünf regionalen Szenarien Herausforderungen für die Mobilität auf dem europäischen Kontinent identifiziert. Darüber hinaus untersuchte die NATO Industrial Advisory Group (NIAG) parallel das Teilgebiet „Solutions for NATO’s Current and Future Gap Crossing Capability“. Das Bündnis hat mittlerweile drei „High Visibility Projects“ als multinationale Entwicklungsvorhaben im Bereich „Mobility and Counter-Mobility“ ins Leben gerufen. Zudem hat die Europäische Union im Rahmen ihrer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) ein eigenes Military-Mobility-Projekt gegründet, das namentlich den Abbau bürokratischer Hindernisse für transnationale Truppen- und Materialbewegungen innerhalb des Unionsgebiets bezweckt.

Wichtige Schlussfolgerungen aus den oben genannten Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Bedeutung des Faktors Geschwindigkeit wird weiterhin zunehmen. Wirksame Abschreckung setzt die Fähigkeit voraus, eine potenzielle Bedrohung schnell zu erkennen, schnell eine politische und militärische Reaktion zu beschließen und umzusetzen, und angemessene Kräfte schnell in einen von einem potenziellen Aggressor bedrohten Teil des Bündnisgebietes zu verlegen.

Jeder militärische Transport aus den westeuropäischen Bündnisstaaten und den Ausladehäfen an Atlantik und Nordsee ins Baltikum oder nach Südosteuropa muss mehrere Landesgrenzen überschreiten – mit unterschiedlichen Genehmigungsverfahren, verkehrs-, zoll- und gefahrgutrechtlichen Vorschriften. Eine weitere Vereinfachung und Harmonisierung der Regularien (Stichwort „militärisches Schengen“) ist dringend geboten.

Die (militärischen und zivilen) Transportkapazitäten auf Schiene, Land- und Seeweg sind unzureichend. Dazu kommen verschiedene Spurbreiten im europäischen Eisenbahnnetz – mit Schnittstellen an kritischen Punkten wie der „Suwalki-Lücke“. Die vorhandene Brückeninfrastruktur ist nicht zuletzt aus Altersgründen und wegen mangelnder Instandhaltung nur begrenzt tragfähig. Eine umfassende Bestandsaufnahme von Straßen, Brücken und Tunnels im Bündnisgebiet steht weiterhin aus.

Militärisches Brückengerät steht zum Ausgleich nicht in der geforderten Menge zur Verfügung, sondern ist selbst zum Engpassfaktor geworden. Die Pionierkräfte der NATO müssen wieder ausreichend ausgerüstet werden – quantitativ und qualitativ. Entscheidend werden angesichts begrenzter Ressourcen dabei auch die modulare Adaptionsfähigkeit auf hochmobile Mehrzweckplattformen, die Sicherstellung einer permanent hohen Verfügbarkeit und die Interoperabilität zwischen den Systemen der Bündnispartner durch gemeinsame Ausbildung und kompatible Hardware sein.

Schwere mechanisierte Kräfte mit Lastenklassen über MLC 50 sind angesichts der Limitierungen ungeeignet für eine schnelle Machtprojektion; leichten Kräften fehlt es an Durchsetzungsfähigkeit und Schutz. Herausgehobene Bedeutung wird künftig den radbeweglichen mittleren Kräften zukommen, die schnell und über große Strecken verlegefähig sind – auch „auf eigener Achse“.

Es wird deutlich, dass militärische Mobilität das enge Zusammenwirken zwischen ziviler und militärischer Seite sowie zwischen staatlichen Stellen und Industrie erfordert. Nur wenn wir die komplexen Herausforderungen gemeinsam meistern, kann Mobilität ihre Rolle als ein Grundpfeiler der Sicherheitsarchitektur in Europa erfüllen.

Marc-Aurel Bischoff

Marc-Aurel Bischoff, Senior Director Corporate Communications, EU-Policy & Industrial Affairs, General Dynamics European Land Systems.