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Wie Energiespeicher und Wasserstoff bei der Dekarbonisierung helfen

Dekarbonisierung ist neben Digitalisierung und Dezentralisierung der derzeit bestimmende Megatrend der Energiewirtschaft. Dabei reicht seine Bedeutung über die sektoralen Grenzen der Branche hinaus, denn am Ende gilt es nicht nur die Strom- und Wärmeerzeugung, sondern unsere gesamte Volkswirtschaft zu dekarbonisieren, also klimaneutral zu machen.

Wie drängend und aktuell das Thema der Klimaneutralität ist, zeigt der Umstand, dass es kaum noch ein Unternehmen oder eine Kommune ohne ein erklärtes Klimaneutralitätsziel in Form einer Jahreszahl gibt, bis zu der man es geschafft haben will, künftig vollständig auf die Emission von Treibhausgasen wie CO2 zu verzichten.

So weit, so selbstverständlich. Doch mit der Definition eines Klimaneutralitätsziels fängt die eigentliche Herausforderung erst an: Wie erreicht man dieses Ziel? Welches ist der richtige Weg? Während die technische Machbarkeit oftmals unstrittig ist, hapert es oft an der Wirtschaftlichkeit: Beileibe nicht alles, was technisch machbar ist, ist ökonomisch sinnvoll oder finanzierbar. Die Aufgabe besteht also darin, die technische und wirtschaftliche Dimension des Ziels Klimaneutralität zusammen zu denken. Nur so entstehen tragfähige Lösungen, die beiden Maßstäben gerecht werden und damit nachhaltig zur Emissionsreduzierung beitragen.

Dabei können, je nachdem welches Produkt oder welche Prozesse es zu dekarbonisieren gilt, die unterschiedlichsten Techniken zur Anwendung kommen. Dennoch gibt es einige besonders oft genannte und diskutierte Ansätze; dazu gehören einerseits Energiespeicher und andererseits das Element Wasserstoff, denn beide sind unabhängig von der jeweils konkreten Aufgabenstellung gewissermaßen universell einsetzbar, wenn es um das Ziel geht, schrittweise klimaneutral zu werden.

Energiespeicher

Der Wärme- und mehr noch der Strombedarf innerhalb der bestehenden Versorgungsnetze muss immer unmittelbar mit der jeweiligen Wärme- oder Stromerzeugung im Einklang sein. Wie bei einer Waage darf etwa dem Stromnetz stets nur so viel Energie entnommen werden, wie auf der anderen Seite erzeugt und eingespeist wird. Bei der Versorgung z.B. mit Fernwärme ist das ähnlich, wenn auch die zeitliche Kopplung hier nicht ganz so eng ist, wie beim Stromnetz.

Dies vorausgesetzt, ergeben sich eine Reihe von Herausforderungen, wenn man bedenkt, dass unsere Energieversorgung zunehmend auf Quellen beruht, die nicht regelbar sind und insofern abhängig von Tages- und Nachtzeit oder Wetterverhältnissen nicht immer gesichert zur Verfügung stehen: nachts scheint keine Sonne und nicht immer weht hinreichend Wind, um Solaranlagen und Windräder anzutreiben. Umgekehrt gibt es immer wieder auch Situationen, in denen mehr Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht als eigentlich benötigt würde, um unseren Bedarf zu decken.

Um die eine wie die andere Problemlage zu bewältigen, können Speicher einen Beitrag leisten: Wenn es ein Überangebot an erneuerbaren Energien im Netz gibt, können sie diese Kapazitäten aufnehmen und später wieder abgeben, wenn weniger regenerativer Strom zur Verfügung steht, als in diesem Moment nachgefragt ist. Auf diese Weise können Speicher einen wichtigen Beitrag leisten, um erneuerbare Energien besser ins Stromnetz zu integrieren und deren Potenziale besser zu nutzen.

So weit die allgemeine Netzperspektive. Doch auch bezogen auf einen einzelnen Kunden, ein Unternehmen oder eine Kommune macht der Einsatz von Speichern großen Sinn. Denn so, wie er im Großen dazu beiträgt, dass das Stromnetz stabil bleibt, weil Angebot und Nachfrage mittels seiner Hilfe besser in Einklang gebracht werden können, so hilft er auch, den Energiebezug eines einzelnen Kunden zu verstetigen. Stellen wir uns vor, ein Unternehmen hat auf dem Dach seiner Lagerhalle eine Photovoltaik-Anlage installiert, die bei maximaler Auslastung nicht nur in der Lage ist, den Energiebedarf des Unternehmens zu decken, sondern zugleich auch einen Überschuss ins Netz einzuspeisen.

Ohne einen Speicher bekäme das Unternehmen zwar die Menge an Energie, die es ins Netz einspeist, vergütet. Doch was, wenn es einmal mangels ausreichenden Sonnenscheins einen höheren Verbrauch als Eigenerzeugung gibt? Dann bezieht das Unternehmen Strom aus dem Netz, der womöglich nicht klimaneutral erzeugt wurde – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Klimabilanz der Produktion. Anders sieht es aus, wenn ein Speicher zur Verfügung steht: Überschusserzeugung kann dort zwischengespeichert und dann wieder nutzbar gemacht werden, wenn die unmittelbare Stromerzeugung mittels Photovoltaik nicht ausreicht. Auf diese Weise bleibt die Klimabilanz der Produktion auch dann gewahrt, wenn die Sonne mal nicht scheint.

Mit Wärmespeichern sieht es ähnlich aus: Frischwärme etwa für die Fernwärmeversorgung wird aus Effizienzgründen oftmals in Anlagen erzeugt, die nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) arbeiten. Das heißt, sie erzeugen nicht nur Wärme, sondern zugleich auch Strom. Wenn nun aber Wärme just in einem Moment benötigt wird, wo – dem obigen Beispiel folgend – viel wind weht und die Sonne scheint, dann ist der KWK-Betrieb der Anlage wirtschaftlich unrentabel, weil der Einspeisevorrang der erneuerbaren Energien die Preise für andere Energieträger entsprechend drückt – vom Problem der Überkapazitäten einmal ganz abgesehen.

In der Folge könnte die Anlage einzig zur Wärmeerzeugung eingesetzt werden, doch das wäre unter Klimaschutz- und Effizienzgesichtspunkten keine ideale Lösung. Besser wäre es, wenn die Anlage immer dann produzieren würde, wenn es mit Blick auf den Strommarkt sinnvoll erschiene – und zwar losgelöst von der Frage, was in diesen Momenten mit der Wärme geschieht. Denn diese könnte etwa mit Hilfe eines Speichers zwischengepuffert und dann später im Bedarfsfall abgerufen werden. Auch hier kann also ein Speicher helfen, dass unsere Erzeugungsanlagen wirtschaftlich und technisch effizienter eingesetzt werden können.

Was, wie in diesen Beispielen, schon mit kleineren Speicheranlagen funktioniert, funktioniert ebenso in großem Maßstab: Entsprechend dimensionierte Großbatteriespeicher können, wenn sie entsprechend gemanagt werden, einen erheblichen Beitrag zur physikalischen Gewährleistung von Versorgungssicherheit wie auch zur Verhinderung extremer ökonomischer Preisausschläge an den Energiemärkten beisteuern – und damit einen Beitrag zu einer gelingenden Energiewende leisten.

Denn indem sie regenerative Energie nicht nur technisch besser in die bestehenden Energienetze, sondern auch ökonomisch besser in die Energiemärkte integrieren helfen, senken sie den Verbrauch fossiler Energieressourcen und tragen so zu einer erfolgreichen Transformation von Energiewirtschaft im Besonderen sowie unserer Volkswirtschaft im Allgemeinen bei.

Wasserstoff

Mit dem Wasserstoff verhält es sich ganz ähnlich. Denn das verbreitetste Element auf unserem Planeten hat eine Reihe von Eigenschaften, die es gewissermaßen zu einem Tausendsassa der Energiewende machen: Wasserstoff kann man emissionsfrei verbrennen, man kann aber auch mittels grünen, also klimaneutralen Stroms und Wasser recht einfach synthetisch herstellen und man kann ihn speichern, um ihn z.B. bei Bedarf in wasserstofffähigen Kraftwerken, wie sie in großer Zahl bis 2030 in Deutschland gebaut werden sollen, wieder verfeuern.

Ferner kann man Wasserstoff direkt einsetzen, um Erdgas in industriellen Prozessen, etwa bei der Stahlerzeugung, zu ersetzen. Man kann Fahrzeuge mit ihm antreiben und man kann ihn mittels bewährter und erprobter chemischer Verfahren z.B. in Ammoniak umwandeln, dessen stoffliche Eigenschaften ihn weit einfacher transportierbar machen als dies bei Wasserstoff selbst der Fall wäre. Am Bestimmungsort lässt sich Ammoniak wieder in Wasserstoff rückwandeln.

Damit ist Wasserstoff grundsätzlich ungemein flexibel einsetzbar, um die Herausforderung einer umfassenden Klimaneutralität zu meistern. Konkret mangelt es hier (noch) an einer entsprechenden Transportinfrastruktur und dem Aufbau hinreichender Erzeugungskapazitäten, damit künftig überhaupt genug Wasserstoff zur Verfügung steht und dieser die ihm zugedachte Rolle im Rahmen der Energie- und Wärmewende auch wirklich quantitativ ausfüllen kann.

Insofern liegen die Potenziale von Energiespeichern und Wasserstoff für eine erfolgreiche und nachhaltige Dekarbonisierung unserer Gesellschaft klar zutage. Woran es fehlt, sind klare regulatorische Rahmenbedingungen, beide Techniken zeitnah und in großem Maßstab an den Markt zu bringen. Nur wenn das gelingt, können beide auch in der Praxis das halten, was sie theoretisch bereits verheißen: Das Klima zu schonen, ohne Deutschland und Europa zu deindustrialisieren.