Lass mal Pause machen

CRR, CRD, IRRBB, CSRBB, CSRD, ICAAP, ITS, RTS, GRA, SREP… Schon an dieser – unvollständigen – Liste wird deutlich, dass die Bankenregulatoren immer mehr Regeln erdenken. Dabei stellt niemand das Ziel – die Finanzstabilität – infrage. Aber es mehren sich die Zweifel, ob die vielen detaillierten Regulierungen tatsächlich für mehr Sicherheit in der Finanzbranche sorgen.

„Das Single Rule Book ist mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, brachte es BVR-Vorstand Daniel Quinten bei seinem Impuls auf der Handelsblatt-Tagung „Bankenaufsicht 2024“ in Frankfurt am Main auf den Punkt. Quinten zeigte konkret, wie viele Einzelregelungen für Kreditinstitute mehr oder minder täglich entwickelt werden. Und zwar für alle Banken – ob nun für den riesigen, international agierenden Konzern oder für die kleine, lediglich regional aktive Bank. So müsse die EBA allein für die aktualisierte CRR III rund 140 Verordnungen erstellen. „Und jeden Arbeitstag erreichen die Banken zum Beispiel durchschnittlich vier FAQs der EBA; alle 14 Tage eine Leitllinie“, illustrierte Quinten die Masse an Vorschriften, die ständig produziert werde. Diese Menge an Regulierungsvorgaben sei vielleicht geeignet, aber weder erforderlich noch angemessen, um das Ziel der Finanzstabilität zu erreichen, erläuterte er.

„Daher müssen wir mittelfristig weg vom Single Rule Book“, forderte Quinten. „Wir brauchen einen neuen Ordnungsrahmen.“ Der BVR-Vorstand schlug vor, sich kurzfristig in einem ersten Schritt auf ein Regulierungsmoratorium zu einigen. Dann solle analysiert und diskutiert werden, wie eine wirklich proportionale Regulierung für die risikoarmen Geschäftsmodelle kleiner Banken aussehen könne. Dies sei schließlich in allen anderen wichtigen Finanzmärkten auch so organisiert, verwies Quinten beispielhaft auf die USA, Großbritannien und die Schweiz.

Denn es könne nicht sein, dass betriebswirtschaftlich gesunde mittelständische Genossenschaftsbanken aus dem Markt verschwinden, weil sie der überbordenden Menge an Regulatorik nicht mehr Herr werden, sagte Quinten. Jedes Jahr würden 30 bis 40 genossenschaftliche Institute aus diesem Grund „wegreguliert“, stellte Quinten fest. Dies sei insbesondere in Deutschland mit seiner dezentralen, regionalen und mittelständischen Wirtschaftsstruktur ein Problem. „Deutschlands Unternehmen brauchen einfach eine Bankbeziehung vor Ort“, betonte Quinten.

Den Vorschlag eines Regulierungsmoratoriums befürwortete ebenso Karolin Schriever, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des DSGV. Man benötige nun eine zwei- bis dreijährige Pause, um dann einen Regulierungsrahmen für Banken zu schaffen, der die notwendigen Transformationsprozesse in Europa unterstütze, so Schriever. Die Regulierung müsse für Banken auch verkraftbar sein, wenn sie ihre wichtige Funktion für die Wirtschaft spielen solle, erinnerte sie.

Sabine Curt, Vorständin der Volksbank Mittelhessen, berichtete aus der Praxis, dass die immer umfangreicheren Regulierungsvorschriften in ihrem Institut viel Zeit und Ressourcen kosten würden. Diese Zeit fehle dann für die Kundenbetreuung, hob sie hervor. Die Bankerin kritisierte, dass es wenig hilfreich sei, wenn beispielsweise kleine Banken die Zahl zu erhebender Kennzahlen reduzieren könnten, diese Reduzierung aber begründet werden müsse gegenüber der Aufsicht. „Da ist die Dokumentation für die Proportionalität höher, als wenn wir einfach die geforderte Anzahl an Kennzahlen erheben“, beschrieb sie.

Schriever betonte, dass es nicht darum gehe, die Regulierung abzuschaffen. Es sei vielmehr Zeit für eine verstärkte Kooperation von Banken und Aufsehern. Man müsse raus aus diesem Kreislauf von immer mehr und immer detailliertere Regulierung. „Wir brauchen einen Restart“, bekräftigte die Sparkassenrepräsentantin. „Gemeinsam mit der Aufsicht können wir einen passenden Ordnungsrahmen schaffen“, war sie überzeugt.

Aufsicht zeigt sich beweglich

Dieses Kooperationsangebot nahm Anne Fröhling von der EZB positiv auf. Sie ist bei der europäischen Bankenaufsicht bei der Zentralbank als Head of Division zuständig für die LSIs. Denn auch die Aufseher müssten mit endlichen Ressourcen umgehen und ihre Arbeit stetig optimieren. Sie warb in Richtung der Banken dafür, den Dialog mit den Regulatoren zu suchen, um über die Sinnhaftigkeit von Vorschriften zu diskutieren. „Kein Aufseher hat Interesse daran, sich Risken anzuschauen, die keine sind“, sagte Fröhling. Sie erinnerte jedoch daran, dass das Regelwerk vom Gesetzgeber gemacht werde und die Aufsicht immer versuche, dies sinnvoll und praktikabel umzusetzen. Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Prof. Dr. Claudia Buch, warb ebenso um Verständnis für die Regulatoren. Es gehe den Aufsehern gar nicht immer um neue Instrumente oder Vorschriften. Es sei jedoch sinnvoll, wenn man sich das Ziel setze, die Effektivität des aufsichtlichen Handelns zu verbessern.

DZ-Bank-Vorstand Michael Speth sprach sich dafür aus, dass die Aufsichtsregeln insgesamt viel prinzipienorientierter gestaltet werden müssten. Er sah die Aufsicht ebenso in der Pflicht, ihre Vorgehensweise stärker zu überdenken. Im täglichen Doing verliere man sich dann doch viel zu oft in Formalien und sehr detaillierten Regeln, berichtete er aus der Praxis. Insbesondere im Hinblick auf die notwendige Transformation Europas hin zur Klimaneutralität sei dies von erheblicher Bedeutung, so Speth. Beispielhaft nannte er hierbei die Green Asset Ratio, deren Gestaltung eher für Verwirrung sorge. Die Aussagekraft dieser neuen Kennzahl sei eher begrenzt. „Die Aufsicht sollte hier eher fördern statt immer nur fordern“, verdeutlichte der DZ-Bank-Vorstand die Zielrichtung.

Raimund Röseler, langjähriger Chef der BaFin-Bankenaufsicht, konstatierte für seine Behörde eine weitgehend prinzipienorientierte Arbeitsweise. Die BaFin habe aufgrund einer hervorragenden Datenlage einen guten Überblick über das deutsche Bankensystem. Man könne daher die Rausreißer gut identifizieren und sich mit diesen dann intensiver beschäftigen. In diesem Kontext sei auffällig, dass es vor allem zwei Aspekte seien, die für Bankenschieflagen verantwortlich sind, erläuterte Röseler. Zum einen sei dies schlechte Governance und zum anderen ein unzureichendes Risikomanagement, so der Aufseher. Darauf müssten auch die Institute selbst achten, um Schwierigkeiten zu vermeiden, empfahl Röseler.