Klimaneutraler Wasserstoff – aktueller Forschungsbedarf und drängendste Aufgaben

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 31.08.2022

Wasserstoff wird zukünftig ein wesentlicher Baustein für die Transformation in Richtung einer klimaneutralen Volkswirtschaft sein, zumal er durch die unterschiedlichen Herstellungs-und Verwendungsmöglichkeiten essenziell sowohl für den Umbau des Energiesystems in Richtung Speicherbarkeit der volatil erzeugten erneuerbaren Energien als auch im Rohstoffeinsatz für die Dekarboniersierung bzw. Defossilisierung der Industrie sein wird. Mittel- und langfristig ist die Entwicklung in Richtung grünem Wasserstoff, bei dessen strombasierten Erzeugung der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammt, anzunehmen, um der Reduktion der Treibhausgasemission nachzukommen.

Aktuell ist der Markt für klimaneutralen Wasserstoff noch überschaubar, der derzeitige Einsatz von Wasserstoff liegt mit ca. 1,1 Mio.t/a nahezu vollständig im Bereich der chemischen Industrie und basiert auf grauem, also mittelts Steamreforming aus Erdgas gewonnen Wasserstoff. Die zukünftigen Bedarfe der Industrie an klimaneutralem Wasserstoff zur Umsetzung der jeweiligen Dekarbonisierungsstrategien sind bereits beziffert und gehen von einem stetig steigenden Bedarf ab 2026 aus. Bereits im Jahr 2030 summiert sich der Bedarf auf über 3 Mio.t/a.

Preisgestaltung der Wasserstofferzeugung
Der entscheidende Aspekt für die Etablierung einer nachhaltigen, grünen Wasserstoffwirtschaft wird die Preisgestaltung für die Erzeugung des Wasserstoffs sein. Diese ist abhängig vom eingesetzten Energieträger (grüner Strom für grünen Wasserstoff), den Investitionskosten für die Umwandlungsanlagen (Elektrolyseure sowie vorund nachgelagerte Infrastruktur) sowie die Verfügbarkeit und Auslastung der Umwandlungsanlagen (Volatilitätsrisiko) inkl. Speicher- und Transportstrategien. Grauer Wasserstoff bildet aktuell den Benchmark, wobei die Entwicklung stark von politischen Entscheidungen abhängig sein wird. Bei der Preisentwicklung wird aber auch die Abhängigkeit von erheblichen Innovationsfortschritten im Bereich der Herstellung, des Transportes und der Konversion der Anwendungsbereiche (Stahlerzeugung, chemische Industrie, Mobilität und Wärme) deutlich. Relevant sind im Bereich des grünen Wasserstoffs vor allem die Bereitstellung der Elektrolyseure, die regenerative Stromerzeugung und die verfahrenstechnische Umstellung der Derivatherstellung. Diese Bereiche der Wasserstoffwertschöpfungskette gilt es zügig und gleichzeitig auf- und auszubauen, wobei die Abhängigkeiten von einem schnellen Transfer von Forschungsergebnissen bis zur industriellen Implementierung deutlich wird.

Forschung ist erforderlich
Innovation ist unbestritten Treiber für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, vor allem bei der Etablierung neuer Wertschöpfungsketten, wie sie für die Wasserstoffwirtschaft notwendig sind. Im Bereich der Forschung erstreckt sich der Bedarf über eine kontinuierliche Grundlagenforschung über eine im Moment prioritär zu betrachtende angewandte Forschung zur industriellen Etablierung, aber auch der Aspekt der Aus- und Weiterbildung für Fachkräfte ist aktuell zu fokussieren.

Was heißt das für den kurz,- mittel- und langfristigen Forschungsbedarf ? Grundsätzlich ist der Schlüssel für den Erfolg einer Wasserstoffwirtschaft die Sicherstellung von Sicherheit, Lebensdauer, Zuverlässigkeit, Kostenreduktion, Rohstoffverfügbarkeit und Resilienz. Folglich muss nicht allein die Technologie selbst überzeugen, entscheidend sind auch, Vertrauen und Akzeptanz durch Sicherheit sowie Wirtschaftlichkeit durch lange Lebensdauer und hohe Zuverlässigkeit zu erreichen.

Bevor grüner Wasserstoff verteilt und eingesetzt werden kann, muss dieser zunächst in entsprechenden Mengen und mittel- bzw. langfristig zu wettbewerbsfähigen Preisen erzeugt werden. Dabei ist eine Schlüsselkomponente die Skalierung der Fertigungskapazitäten von Wasserstoffsystemen und deren Komponenten. Dies kann in Anbetracht der Dringlichkeit zunächst auf Basis bestehender, bisher meist für die Manufakturherstellung designter Systeme erfolgen. Parallel besteht jedoch evolutionärer Forschungsbedarf durch analytischeOptimierung von Design und Materialien sowie dessen passgenauen Fertigungstechnologien, um frühzeitig die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen, auch im Hinblickauf  Kosten, Energie- und Materialeinsatz, Sicherheit und Lebensdauer.

Die Forschungsinfrastruktur steht bereit
Weiterer Entwicklungs- bzw. Forschungsinfrastrukturbedarf zielt auf die Testung von MW-Elektrolyseuren als Komplettsysteme ab, um Betriebs-, Leistungs- und Degradationsdaten unter realitätsnahen Betriebsbedingungen zu ermitteln, insbesondere beim dynamischen Betrieb mit (simulierten) Lastschwankungen entsprechend der Bereitstellung von erneuerbaren Energien. Auf Basis dieser Daten können dann Betriebsmodelle entwickelt, Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden und somit die Auslegung und den Betrieb für die industriellen Anwendung zu optimieren sowie die Integration in Prozessschritte zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die Integration von Einzelanlagen in komplette Energiesysteme unter Berücksichtigung der dabei entstehenden Wechselwirkungen auf der physikalischen als auch auf der betriebswirtschaftlichen Ebene zentraler Aspekt. Dabei besonders hervorzuheben ist die Interaktion von Elektrolyse mit Windenergie im dynamischen Zusammenhang, sowie das reale Verhalten der Technologieeinheiten im Stromnetz. Hierfür bietet das Fraunhofer IWES mittlerweile eine umfassende Forschungsinfrastruktur basierend auf den drei Hydrogen Labs in Bremerhaven, Leuna und Görlitz (www.hydrogen-labs.fraunhofer.de).

Nächste Schritte für die Industrie
Ein bisher unterschätzter Bereich betrifft die anstehende Umstellung des bestehenden Anlagenbestands der verarbeitenden Industrie im Bereich der Stahl- und chemischen Industrie sowie im Kontext der Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen zur Defossilisierung des Luft- und Schiffsverkehrs im Bereich der Raffinerien. Dies ist kurzfristig parallel zum Hochlauf einer klimaneutralen Wasserstoffproduktion anzugehen und beinhaltet die spannende Aufgabe, Jahrzehnte alte Produktionsprozesse im laufenden Betrieb zu dekarbonisieren, durch technologische Weiterentwicklung z. B. im Bereich der Methanol- und Ammoniaksynthese oder durch grundlegende neue Prozesstechnologien wie es im Bereich des synthetischen Naphthas notwendig sein wird. Für alle Prozesse, inkl. Stahlherstellung und e-Fuels existiert eine breite technologische Basis. Die Aufgabe betrifft verstärkt die Skalierung in den industriellen Maßstab unter Berücksichtigung aller ökonomischen und ökologischen Fragestellungen. Schlussendlich sind auch die Themen der Offshore-Wasserstoffproduktion sowie die Digitalisierung des Energiesystems mit dem Aspekt der Einbindung einer Wasserstoffwertschöpfungskette mit erheblichem technologischen Entwicklungsbedarf behaftet. In allen Bereichen ist der zeitliche Vorsprung bei der Überführung unserer sehr guten Basis an Innovationen entscheidend und für eine klimaneutrale Volkswirtschaft essenziell. Die Zeit wird allerdings immer knapper. Folglich muss auch forschungsseitig vieles parallel und teilweise im Vorgriff angegangen werden. Unsere erstklassige Forschungslandschaft steht hierfür bereit.

Innovation ist unbestritten Treiber für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, vor allem bei der Etablierung neuer Wertschöpfungsketten, wie sie für die Wasserstoffwirtschaft notwendig sind.

Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
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