Keine Energiewende ohne Wärmewende

Keine Energiewende ohne Wärmewende

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 31.08.2022

von Dr. Florian Bieberbach

Den Weg in eine klimaneutrale Zukunft können wir nur beschreiten, wenn wir nicht nur Strom erneuerbar produzieren, sondern auch die Wärmeversorgung nachhaltig gestalten. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Situation weiter verschärft: Gesichtspunkte wie Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit spielen nun umso stärker in die Bestrebung mit ein, unseren Erdgasverbrauch zu reduzieren und – wo immer möglich – auf eigene Ressourcen zu setzen.

Vier Säulen der erfolgreichen Wärmewende
Die Studie „Klimaneutrale Wärme München 2035“ hat gezeigt, wie eine Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien ermöglicht werden kann. Wir können und müssen hier an vier Säulen ansetzen: Gebäudesanierung, grüne Fernwärme, Wärmepumpen und dekarbonisierte Gase. So spielt die Sanierung  von Bestandsgebäuden eine entscheidende Rolle für die Wärmewende. Angesichts des hohen Anteils an nicht oder nur teilsanierten Bestandsgebäuden liegt hier ein großes Potenzial, den Energieverbrauch zu reduzieren. Neben der Einschränkung von Wärmeverlusten ist eine Dekarbonisierung der Wärmeversorgung essenziell. Dies beinhaltet die Transformation der Fernwärme-Versorgungsstruktur durch die Einbindung von klimaneutraler Wärme, einen Um- und Ausbau der Netze, eine Absenkung der Netztemperaturen und die Integration von Wärmespeichern. „Grüne Wärmequelle“ ist in München vor allem die Geothermie, für deren Anwendung die SWM sich ambitionierte Ziele gesetzt haben. So wollen wir überwiegend Tiefengeothermie nutzen, um mittelfristig den Münchner Bedarf an Fernwärme CO₂-neutral zu decken.

Insbesondere außerhalb der Ballungsräume stellt daneben auch die Elektrifizierung durch Wärmepumpen eine zentrale Lösungstechnologie dar. Biogene Gase und Wasserstoff nehmen schließlich eine  Wärmenetze und Elektrifizierung flankierende Rolle ein, etwa im denkmalgeschützten Altbaubestand außerhalb von Fernwärmenetzen. Auch für die Abdeckung von Lastspitzen in der Fernwärme wird Wasserstoff zum Einsatz kommen.

Diese Lösungsbausteine lassen sich zu einer Vielzahl von Maßnahmen kombinieren. Sie zeigen, was technisch, mitunter sogar wirtschaftlich, bereits möglich wäre. Ihrer schnellen und umfassenden Umsetzung stehen aber Hemmnisse im Wege, von denen ich zwei besonders herausstellen möchte: den Fachkräftemangel sowie politisch-rechtliche Hindernisse.

Was bremst die schnelle Umsetzung?
Einen „Flaschenhals“ stellt die personelle Lage im Handwerk dar. Es mangelt an Installateur:innen für Wärmepumpen ebenso wie an Techniker:innen für deren Wartung und Handwerker:innen für die Sanierung von Bestandsgebäuden – schlicht denjenigen, die die Wärmewende auf die Straße bringen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen wir verstärkt in technische Ausbildungen und Studiengänge investieren. Auch wenn die von der Politik angekündigte Personal und Weiterbildungsoffensive ein erster positiver Schritt ist: Die Auswirkungen davon werden wir in frühestens 3-5 Jahren bemerken.

Kurzfristiger – und mit noch stärkerem Hebel – sind politische Rahmenbedingungen zu betrachten, welche dringende Anpassungen erfordern. Klar ist: Für eine umfassende, erfolgreiche und sozial gerechte Wärmewende müssen in Bezug auf Erzeugung, Netze und Ressourcen gleiche Wettbewerbsbedingungen im Sinne eines Level Playing Field geschaffen werden. Die Bundesregierung hat bereits viele Weichen für die Beschleunigung der Energiewende in die richtige Richtung gestellt. Nun muss sie die Wärmewende ebenso ambitioniert angehen. Das sehr ehrgeizige Ziel der Regierung, bei der Wärmewende bis 2030 50% Erneuerbare zu erreichen, muss von Maßnahmen unterfüttert werden. Eine hohe Sanierungsrate gepaart mit verstärktem Wärmepumpeneinbau reicht nicht aus. Gemeinsam mit der Branche muss die  Bundesregierung ein Konzept entwickeln, das auf alle oben geschilderten Lösungsbausteine gleichzeitig setzt – dazu gehören auch Fernwärmenetze in den Ballungsräumen.

Kommunen benötigen Planungssicherheit
Die erhöhten Ausbaupfade zu verfolgen, ist ohne stärkere Planungssicherheit kaum möglich. Was wir brauchen, ist eine verbindliche kommunale Wärmeplanung, die allen Beteiligten, insbesondere Kommunen, Hauseigentümer: innen und Energieversorgern, Planungssicherheit verschafft. Eine zielgerichtete und fundierte Planung ist umso wichtiger, als die Potenziale klimaneutraler Wärmequellen limitiert und die Kapazitäten für die Umsetzung der Wärmewende eingeschränkt sind. Ebenso bedürfen die Kommunen finanzieller Unterstützung aus Bundesmitteln, um mit den hierfür erforderlichen Ressourcen eine zukunftsorientierte Wärmeplanung zu realisieren.

Ohne Förderung wird Fernwärme aus Geothermieanlagen und Wärmepumpen auch langfristig teurer sein als Wärme aus fossilbefeuerten Anlagen. Die Kosten zum Ausbau der für die Wärmenetze notwendigen Infrastruktur sind nicht zu unterschätzen. Entsprechend muss nachhaltige Wärme im Rahmen eines Wärmenetztransformations-Fonds gefördert werden, insbesondere auch, um das Fündigkeitsrisiko bei Geothermieprojekten zu reduzieren. Die beihilferechtliche Genehmigung der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) von Seiten der EU-Kommission war ein erster wichtiger Schritt. Für die Wirtschaftlichkeit klimaneutraler Wärmeversorgung ist auch eine Anpassung der Wärmelieferverordnung längst überfällig: Dass die aktuelle Lieferverordnung den Kostenvergleich auf Basis der Verbrauchskosten vornimmt, in welche im Falle der Fernwärme auch die Investitionskosten inkludiert sind, ist ein wesentliches Hemmnis für den Fernwärmeausbau als Basis dekarbonisierter Wärme.

Potenziale der Geothermie fördern
Von rechtlicher Seite sind weitere Aspekte entscheidend. Aus Sicht der SWM ist es erforderlich, die Genehmigungsverfahren für Geothermieprojekte deutlich zu vereinfachen und verbindliche Genehmigungsfristen einzuführen. Wir brauchen ein „Geothermieerschließungsgesetz“ nach Vorbild des Wind-an-Land-Gesetzes, welches die übergeordnete Bedeutung von Geothermievorhaben zur CO2-neutralen Energieversorgung und -sicherung gesetzlich verankert, Aspekte von besonderem Belang zentral und effektiv regelt, Verfahrensbestandteile koordiniert und Planungssicherheit herstellt. Regelbedürftige Bestandteile wären u.a. Themen der Umweltverträglichkeitsprüfung speziell für die geothermische Erschließung und Energieerzeugung, die Schaffung eines speziellen Privilegierungstatbestandes für Geothermie auf der Ebene der Bauleitplanung, die Festlegung, dass die Nutzung der Geothermie im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit  dient sowie die Zulassung von Geothermie-Vorhaben in einem Zulassungsverfahren mit umfassender Konzentrationswirkung. Es müssen ein Vorbescheid mit Genehmigungsanspruch, ein unbürokratischer Verfahrensablauf sowie verbindliche Bearbeitungsfristen geregelt sein. Auch der Anschluss neuer Kund:innen an ein Fernwärmenetz muss durch die Abschaffung rechtlicher Hemmnisse erleichtert werden.

Gemeinsam die Herausforderung stemmen
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die aktuelle Legislaturperiode hat die Mammutaufgabe, die Klimaschutzziele mit konkreten Maßnahmen energie- und volkswirtschaftlich effizient zu unterlegen. Gespannt erwarten können wir in dieser Hinsicht die von der Regierung angekündigten Einzelmaßnahmen der nächsten Monate. Ursprünglich als gebündeltes Sommerpaket geplant, sollen diese die Wärmethemen nun separat vorantreiben. Es ist zu hoffen, dass zentrale Bausteine wie das kommunale Wärmeplanungsgesetz sowie die große Gebäudeenergiegesetz-Novelle enthalten bleiben und schnell umgesetzt werden.

Zuletzt möchte ich betonen, dass jede und jeder Einzelne von uns zum Gelingen der Wärmewende beitragen kann. Die Herausforderung, vor der sich Politik, Gesellschaft und wir als Energieversorger sehen, steigt und fällt mit der Wärmelast. Während wir überlegen müssen, wie wir diese Last möglichst nachhaltig bedienen, haben Verbraucher: innen unmittelbaren Einfluss auf ihre Höhe – und können sie durch Energiesparmaßnahmen aktiv reduzieren.

Wir wollen überwiegend Tiefengeothermie nutzen, um mittelfristig den Münchner Bedarf an Fernwärme CO₂-neutral zu decken.

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