Jetzt das Geschäft sturmfest machen

Gleich mehrere krisenhafte Entwicklungen prägen zurzeit die Lage an den Finanzmärkten. Als erstes ist hier natürlich der Krieg Russlands gegen die Ukraine zu nennen. Neben menschlichem Leid verursacht er handfeste wirtschaftliche Probleme. Für Deutschland mehren sich nach Ansicht der Deutschen Bundesbank die Anzeichen für einen breit angelegten und länger anhaltenden Rückgang der Wirtschaftsleistung. Grund sind vor allem die schlechteren gesamtwirtschaftlichen Angebotsbedingungen, insbesondere in puncto Energieversorgung. Knappheit und die Angst vor Versorgungslücken haben sich breitgemacht. Die Rohstoffpreise haben teilweise deutlich angezogen. Gleichzeitig lastet die Pandemie auch weiterhin auf der Weltwirtschaft, die globalen Lieferketten leiden immer noch unter der chinesischen Null-Covid-Politik.

Steigende Inflation und ihre Auswirkungen auf das Geschäft der Versicherer
Die Lieferengpässe und auch der Krieg in der Ukraine befeuern die unverkennbar anziehende Inflation. Im September erreichte sie in der Eurozone 10 Prozent. Diese hohe Inflation hat auch Auswirkungen auf das Geschäft der Versicherer. Das sehen wir insbesondere bei der Schaden- und Unfallversicherung, wo die Schadenaufwendungen steigen, und die versicherungstechnischen Rückstellungen aufgestockt werden müssen. Bei der Reservierung der Schäden nach den Vorgaben des Handelsgesetzbuchs ist der voraussichtliche Erfüllungsbetrag zugrunde zu legen. Aufgrund der steigenden Inflation müssen Unternehmen daher gegebenenfalls Nachreservierungen vornehmen. Die Schadenrückstellungen nach Solvency II müssten sie ebenfalls anpassen, wenn sie die Inflationserwartungen zu niedrig geschätzt haben. Die Aufsicht wird die Auskömmlichkeit der Schadenreservierung bei den Versicherern thematisieren und kritisch hinterfragen. Natürlich müssen die Versicherer die Schadenentwicklung auch im Hinblick auf künftige Schadenerwartungen bei ihrer Tarifierung berücksichtigen. Es ist daher im Grunde zwingend, dass die Beiträge in der Schaden- und Unfallversicherung steigen. Und zwar sowohl im Neugeschäft als auch im Bestand. Wir erwarten Preissteigerungen und Beitragsanpassungen insbesondere in der Kraftfahrtversicherung, aber ebenso in anderen Versicherungszweigen wie der Wohngebäudeversicherung – auch aufgrund der Auswirkungen des Starkregentiefs im Sommer 2021.

Die Zinswende und ihre Effekte
Angesichts des deutlich anziehenden Preisniveaus haben die Notenbanken die Zinswende eingeläutet mit Erhöhungen der Leitzinsen. Weitere Zinsschritte nach oben sind wahrscheinlich. Auch an den Kapitalmärkten sehen wir steigende Zinsen. Das steigende Zinsniveau hat auf Versicherungsunternehmen grundsätzlich gegenläufige Effekte: Einerseits können die Unternehmen von einer höheren Verzinsung von Vermögenswerten profitieren. Andererseits gehen durch die fallenden Kurse der festverzinslichen Wertpapiere die stillen Reserven zurück, es werden stille Lasten aufgebaut. Positiv hat sich das im ersten Halbjahr 2022 gestiegene Zinsniveau auf die Solvenzquoten der Lebensversicherer ausgewirkt. Immer weniger Unternehmen sind auf Solvency- II-Übergangsmaßnahmen angewiesen. Erstmals war per 30. Juni kein Lebensversicherungsunternehmen unterdeckt – auch ohne Übergangsmaßnahmen. Zum dritten Quartal lagen zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe am 11. Oktober noch keine Daten vor. Auch das Thema Storno rückt mit der Zinswende und der hohen Inflation in den Fokus. Denn angesichts steigender Zinsen werden alternative Anlageformen wieder attraktiver – was vor allem im Lebensversicherungsgeschäft relevant sein kann. Aber auch in anderen Versicherungsbereichen könnten Kunden vermehrt ihre Verträge hinterfragen. Etwa, weil sie deutlich mehr fürs Heizen ausgeben müssen. Versicherer müssen sich also insbesondere in ihrem Liquiditätsmanagement auf einen Rückgang ihrer Prämieneinnahmen einstellen.

Umsichtiges Handeln ist dringend geboten
Krieg, Pandemie, Inflation, Zinswende – klar ist: Die Branche muss auf absehbare Zeit in einem schwierigen Marktumfeld navigieren. Und die Wolken am Horizont – Stichwort Konjunktur – sind düster. Es kann also sehr ungemütlich werden. Versicherer müssen ihr Geschäft jetzt sturmfest machen. Und das heißt: Wir brauchen in den Unternehmen ausreichende Puffer bei Kapital und Liquidität. Und wir brauchen umsichtiges Handeln. Vor gut zwei Jahren war ich skeptisch, als angesichts der Pandemie Forderungen nach einem Dividendenverbot aufkamen. Aber genauso wie damals ist auch heute jedes Unternehmen gut beraten, bei diesem Thema sehr vorsichtig vorzugehen. ■

Die Branche muss auf absehbare Zeit in einem schwierigen Marktumfeld navigieren.

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