Interview im Vorfeld der Handelsblatt Tagung Zukunft Stahl mit Referent Prof. Dr. Rainer Lindner (Vorsitzender des Vorstands – Heine + Beisswenger Stiftung + Co. KG)

Frage: In Anbetracht der möglichen Auswirkungen von CBAM auf die Preise und die Wettbewerbsfähigkeit: Welche Strategien sehen Sie für Stahlhandelsunternehmen, um sich auf mögliche Preisanpassungen vorzubereiten und gleichzeitig ihre Kundenbeziehungen zu stärken?

Prof. Dr. Rainer Lindner: Der CBAM ist eine bedeutende Entwicklung, die die gesamte Stahlindustrie betrifft, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Die CO2-Grenzsteuer für Importe wird erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Geschäftsmodelle unserer Branche haben. Als Bindeglied zwischen den Stahlherstellerwerken und Endkunden müssen wir den CBAM in beide Richtungen berücksichtigen.

Zunächst ist es wichtig, eine transparente Kommunikation mit unseren Kunden zu führen, um zu erklären, warum und in welchem Ausmaß sich die Preise möglicherweise ändern und welche Auswirkungen dies  auf den bisherigen Bezug der Werkstoffe haben könnte. Um diese Transparenz zu schaffen, betreiben wir einen erheblichen administrativen Aufwand. Gleichzeitig ist es wichtig, unsere Lieferantenbeziehungen zu stärken und nach Möglichkeiten zu suchen, um die Kosten entlang der gesamten Lieferkette zu optimieren.

Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptfolgen des CBAM für die Stahlindustrie?

Prof. Dr. Rainer Lindner: Ich sehe fünf Hauptfolgen: Erstens, einen hohen bürokratischen Aufwand für den Mittelstand. Zweitens, eine Beschleunigung der Wettbewerbsfähigkeit der außereuropäischen Werke. Drittens, eine forcierte Konsolidierung in der europäischen/deutschen Stahlproduktion. Viertens, eine verstärkte Weiterverarbeitung und Veredelung von Stahlblechen und Langprodukten außerhalb der EU. Und fünftens, eine finanzielle Belastung entlang der gesamten Wertschöpfungskette, insbesondere in Bezug auf die Verwaltungskosten.

Frage: Welche Rolle spielt China in diesem Zusammenhang?

Prof. Dr. Rainer Lindner: China ist einer der größten Produzenten von Stahl weltweit und seine Reaktionen auf diese neuen Mechanismen können erhebliche Auswirkungen auf den globalen Markt haben. Es ist wichtig zu beachten, dass die aktuelle CO2-Performance chinesischer Stahlwerke von der EU-Kommission möglicherweise nicht vollständig berücksichtigt wird. Die Einführung von CBAM und ähnlichen Maßnahmen könnte zu Gegenreaktionen seitens Chinas führen, was wiederum zu zusätzlichen Herausforderungen für die Stahlindustrie in Europa führen könnte. Daher ist es wichtig, die Entwicklungen in China genau zu beobachten und die Beziehungen zu chinesischen Partnern aufrechtzuerhalten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die sowohl die Umweltziele als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie berücksichtigen.

Frage: Abgesehen von CBAM, welche anderen Herausforderungen und Chancen sehen Sie für die deutsche Stahlindustrie?

Prof. Dr. Rainer Lindner: Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die herausfordernde Marktlage in 2024 zu bewältigen. Wir beobachten Insolvenzen und Kurzarbeit bei unseren Kunden und eine Umstrukturierung bzw. Konsolidierung des Stahlhandels in Deutschland. Darüber hinaus müssen wir uns weiterhin intensiv mit der Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Diese Aspekte bleiben weiterhin wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben und unseren Kunden langfristig einen Mehrwert bieten zu können. Auf der anderen Seite sehen ich auch Chancen für die deutsche Stahlindustrie, insbesondere in Bezug auf das Potenzial für Wachstum in bestimmten Branchen außerhalb des Automobilsektors. Darüber hinaus bietet die steigende Nachfrage nach Digitalisierungslösungen und nachhaltigen Technologien Möglichkeiten für Innovation und Wachstum.

Kurzportrait Herr Prof. Dr. Lindner:

Prof. Dr. Rainer Lindner ist seit 2020 Vorsitzender des Vorstands der Heine + Beisswenger Gruppe.

Von 2016 bis 2020 war er CEO Central & Eastern Europe/Middle East & Africa bei der Schaeffler AG.

Zwischen 2008 und 2016 leitete er als Geschäftsführer den Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft in Berlin und wirkte als Abteilungsleiter im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Zwischen 2005 und 2008 war er Senior Researcher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Ebenhausen und Berlin. Lindner studierte und promovierte an der Universität Tübingen.

 2005 folgte seine Habilitation an der Universität Konstanz, an der er eine außerplanmäßige Professur wahrnimmt.