Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Betriebliche Altersversorge und Kapitalanlage“ vom 24.05.2023
Betriebliche Altersvorsorge ist und bleibt essenziell, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Beschäftigte müssen sich daher darauf verlassen können, dass die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung ihre Verpflichtungen dauerhaft erfüllen können – dass sie also lebenslang garantierte Zahlungen leisten, die die gesetzliche Rente ergänzen. Das Niedrigzinsumfeld der vergangenen Jahre hat dies erschwert und die Pensionskassen stark unter Druck gesetzt. Die BaFin musste in vielen Fällen Maßnahmen ergreifen, um die Interessen der Versicherten zu wahren.
Seit dem vergangenen Jahr steigen die Zinsen wieder. Das sind grundsätzlich gute Nachrichten. Aber ein abrupter Zinsanstieg kann auch zu Verwerfungen führen. Und das ist nicht das einzige Risiko, mit dem Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung umgehen müssen. Neben den allgemeinen ökonomischen und geopolitischen Risiken stellen auch strukturelle Umbrüche wie der Klimawandel und die Digitalisierung Unwägbarkeiten dar. Um die Zukunftsfähigkeit der Pensionskassen zu stärken, braucht es neue Ansätze.
Pensionskassen stehen vor Konsolidierung
Wie sieht es also bei den Pensionskassen aus? Unter ihnen gibt es einige gut aufgestellte und auch zukunftsfähige Unternehmen. Aber: Über die Hälfte der Pensionskassen ist inzwischen für den Neuzugang geschlossen. Die Beitragseinnahmen stagnieren seit Jahren. Und dies wird sich in naher Zukunft nicht ändern.
Auch im abgelaufenen Geschäftsjahr wurden Bestände von kleineren Kassen auf größere Einheiten übertragen – und die kleinen Kassen damit in die Liquidation geschickt. Wir sehen hier also einen gewissen Konsolidierungsprozess. Zugleich gibt es immer noch Pensionskassen, deren durchschnittlicher Rechnungszins über der Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen liegt. Speziell diese Kassen sind gut beraten, die notwendigen weiteren Absenkungen des Rechnungszinses zügig anzugehen, um sich dauerhaft zukunftsfähig aufzustellen.
Die Zinswende ist nicht ohne Risiko
Die jüngste Zinswende ist eine Zäsur für den gesamten Finanzmarkt. Lange wurde sie herbeigesehnt. Jetzt, da wir einen deutlichen Zinsanstieg um 350 Basispunkte im letzten Jahr beobachten konnten, ist offensichtlich, dass steigende Zinsen auch Gefahren mit sich bringen. Nicht umsonst betrachtet die BaFin Risiken aus abrupten Zinsanstiegen in signifikantem Ausmaß als eines der Hauptrisiken für das Finanzsystem in diesem Jahr.
Bei den Pensionskassen hat das steigende Zinsniveau bereits zu einem deutlichen Abschmelzen der stillen Reserven geführt. Aus ihnen wurden stille Lasten. Zum Jahresende 2021 verfügten die Pensionskassen branchenweit noch über stille Netto-Reserven von knapp 30 Milliarden Euro. Nur ein Jahr später, Ende 2022, bestanden stille Netto-Lasten von rund fünf Milliarden Euro.
Das ist erst einmal nicht weiter tragisch. Zinsinduzierte stille Lasten in festverzinslichen Wertpapieren führen nicht zwingend zu Abschreibungsbedarf. Sofern die Versicherer die Papiere im Anlagevermögen führen und bis zur Endfälligkeit halten, was der Regelfall ist, sind stille Lasten unproblematisch, da sie sich in diesem Fall bis zur Rückzahlung des garantierten Wertes auflösen.
Da bei den Pensionskassen ein Storno kaum möglich ist, müssen die stillen Lasten auch nicht realisiert werden, um Liquiditätsanforderungen zu bedienen.
Allerdings führt der Rückgang der stillen Reserven zu einer verminderten Risikotragfähigkeit – das bestätigt auch der letzte Stresstest, der uns als Frühwarninstrument dient. Die Zahl der Pensionskassen mit einem negativen Ergebnis ist deutlich gestiegen.
Neben den Auswirkungen der Zinswende hat die Aufsicht natürlich auch die Auswirkungen der momentan sehr hohen Inflation besonders im Blick. Die Inflation hat in aller Regel keine direkten Konsequenzen für die Pensionskassen. Deren Leistungen sind üblicherweise nicht an die Inflationsentwicklung gekoppelt. Inflationsbedingte Kostensteigerungen können sich allenfalls auf das Kostenergebnis der Kassen auswirken.
Trotzdem wird sich mittelbar auch die Inflation auf die Pensionskassen auswirken. Nämlich über die Erwartungen der Versicherten an eine Überschussbeteiligung. Die BaFin wird sich daher die Vorschläge zur Überschussbeteiligung genau anschauen – und mit den Kassen diskutieren, ob sie tatsächlich dauerhaft finanzierbar sind.
Weniger Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht
Pensionskassen müssen die Zinswende gut managen. Die Ergebnisse der aufsichtlichen Prognoserechnung zum 30.09.2022 zeigen erwartungsgemäß eine deutliche Verbesserung – auch der längerfristigen Ergebnisse – gegenüber den Vorjahren, vor allem wegen des Zinsanstiegs und der bereits ergriffenen Maßnahmen der Kassen. Für die Einstufung in die intensivierte Aufsicht sind die Ergebnisse der Prognoserechnung maßgeblich.
In Folge der positiven Ergebnisse der jüngsten Prognoserechnung sank daher die Anzahl der Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht von rund 30 auf gut 20. Dass zudem einige Pensionskassen weiterhin steigende Beiträge und Überschüsse erwarten, zeigt: Dieses Geschäftsmodell kann bei entsprechenden Voraussetzungen nach wie vor tragfähig betrieben werden.
Aber perspektivisch könnte selbst ein moderates Niedrigzinsumfeld zu Schwierigkeiten bei wenigen Pensionskassen führen. Auch der aktuelle Stresstest zeigt als Frühwarninstrument entsprechende Risiken auf. Mit Unternehmen, die ein negatives Ergebnis im Stresstest aufweisen, gehen wir natürlich auch in den Dialog.
Neue Wege in der betrieblichen Altersvorsorge
In den letzten Jahren hat sich die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland weiterentwickelt. Inzwischen sind die ersten beiden Sozialpartnermodelle gestartet, die von Pensionsfonds durchgeführt werden. Betriebsrenten auf Basis einer reinen Beitragszusage, wie sie das Sozialpartnermodell vorsieht, sind ein neuer Ansatz in Deutschland. Unsere Erfahrung bei der Etablierung der ersten Modelle zeigt, dass für eine effiziente und schnelle Umsetzung der offene Dialog zwischen allen Beteiligten – den Sozialpartnern, der Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung und der Aufsicht – förderlich ist.
Grundsätzlich scheint es mir lohnenswert für Pensionskassen, das Geschäftsfeld weiter auszubauen. Sozialpartnermodelle sind meines Erachtens ein Zukunftsfeld für Pensionskassen.
Komplexe Anlageformen mit komplexen Risiken
Um konkurrenzfähig zu bleiben, werden Pensionskassen verstärkt auch über Anlageformen mit höheren Renditechancen nachdenken müssen. Die heute gültigen Anlagevorschriften stehen Investitionen in solche Anlageklassen übrigens nicht entgegen. Maßgeblich ist hier die Anlageverordnung. Die danach zulässigen Mischungsquoten sind auf Branchenebene nicht einmal annähernd ausgeschöpft.
Als Aufseher ist für uns entscheidend, dass Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung die für sie wesentlichen Risiken im Griff haben. Hier sind beispielhaft drei Themen zu nennen.
Beginnen wir bei der Kapitalanlage, präziser: bei den indirekten Kapitalanlagen, also beispielsweise großen Wertpapier-Spezialfonds und alternativen Kapitalanlagen wie Private-Debt- und Private-Equtiy-Fonds. Viele Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sind in solche Anlagen investiert, weil sie im Niedrigzinsumfeld die Chance auf vergleichsweise attraktive Renditen boten.
Diese Anlageformen sind naturgemäß deutlich komplexer als Staatsanleihen und Aktien. Ihr Anlageuniversum ist sehr heterogen, Informationen über die Zielunternehmen sind schwerer zu beschaffen und auszuwerten.
Die Risiken solcher Anlagen zu beurteilen erfordert ein vertieftes Verständnis für die Geschäftsmodelle der Zielunternehmen. Sich alleine auf die Berichte der Asset- Manager zu verlassen, reicht nicht.
Risiken des Klimawandels begegnen
Mindestens genauso relevant sind die Risiken aus dem Klimawandel. Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung können als institutionelle Anleger bei der Dekarbonisierung der Realwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Zugleich sind sie selbst von Nachhaltigkeitsrisiken betroffen. Trotzdem nutzen bis dato nur wenige Unternehmen Klimastresstests und Szenarioanalysen, um diese Risiken zu messen, auch weil in Sachen Datenkonsistenz und Modellkomplexität noch einiges zu klären ist.
Die BaFin erwartet, dass Klimawandelszenarien und -modelle in den kommenden Jahren flächendeckend eingesetzt werden. Dabei geht es vor allem darum, sich ein Bild von der Wesentlichkeit zu machen, also von der Bedeutung und den Auswirkungen einzelner Klimaszenarien, und darum, strategische Schlussfolgerungen ziehen zu können. Die Unternehmen sollten die Erkenntnisse eben auch heute schon in ihrem Risikomanagement berücksichtigen.
Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) hat 2022 ihren ersten europaweiten Klimastresstest für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung durchgeführt, um deren Resilienz gegen ein Klimawandelszenario zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigen: Durch den Klimawandel können sich wesentliche Risiken ergeben, vor allem mögliche Verluste bei den Kapitalanlagen. Bei den deutschen Teilnehmern ging der Marktwert der Kapitalanlagen um vier Prozent zurück, wobei Abschreibungen bei allen wesentlichen Investments drohten. Die EbAV sollten im Rahmen ihres Risikomanagements die Klimawandelszenarien betrachten, die zu Abschreibungen bei allen wesentlichen Kapitalanlagearten führen können. Nur so kann das Ausmaß möglicher Belastungen durch den Klimawandel sinnvoll eingeschätzt werden.
IT- und Cybersicherheit
Drittens spielt die IT- und Cyber-Sicherheit eine wichtige Rolle. Durch den Krieg in der Ukraine ist die Gefahr von Cyber-Attacken noch einmal gestiegen – auch wenn nach Kenntnis der BaFin bislang noch keine nennenswerten erfolgreichen Angriffe stattgefunden haben. Es geht jedoch nicht nur um Cyber-Attacken. Daten der BaFin zeigen, dass der größte Anteil aller IT-Vorfälle hausgemacht ist. Das Schadenspotenzial in diesem Bereich ist groß. Die Anfälligkeit der IT-Systeme steigt auch nicht zuletzt durch Auslagerungen an IT-Dienstleister.
Die BaFin möchte daher, dass Versicherer und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung grundsätzlich widerstandsfähiger werden, wenn es um die Risiken der Digitalisierung geht. Die Ergebnisse der bisherigen IT-Prüfungen zeigen, dass in puncto IT-Sicherheit noch Verbesserungspotential besteht. IT- und Cyber-Sicherheit werden daher weiter auf der Agenda der Aufsicht bleiben.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung auch nach dem Ende der extremen Niedrigzinsen in einem anspruchsvollen Umfeld navigieren müssen. Aus Sicht der BaFin ist klar: Pensionskassen brauchen hierfür ein gutes Kapitalanlagemanagement und ein effektives Risikomanagement. Dann können sie auch attraktive Angebote machen und so langfristig zukunftsfähig zu bleiben.