Die Energiewende in Deutschland konsequent fortsetzen

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Energiewirtschaft“ vom 23.01.2024

Auch wenn die aktuelle Lage auf den globalen Energiemärkten und damit auch in Deutschland weniger angespannt ist als im Jahr zuvor: Unser Energiesystem ist weiterhin auf Kante genährt. Wir haben kaum Puffer in der Stromversorgung oder unserer Importinfrastruktur für Gas. Unerwartete Ausfälle können somit große Wirkung mit weitreichenden Folgen haben.

Ursächlich dafür ist, dass der Energiesektor insbesondere in Deutschland chronisch unterinvestiert ist. Wir haben viel zu lange nur über das Aussteigen anstatt über das Einsteigen diskutiert. Das gilt für die Stromerzeugung ebenso wie für den Netzausbau.

Die elementare Bedeutung von Versorgungssicherheit ist erst durch die Energiekrise wieder mit voller Wucht in den Fokus gerückt. Hinzu kommt, dass ein knappes Angebot immer auch zu höheren Preisen führt. Hier wieder für Entlastung zu sorgen ist zwingend für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland. Gleichzeitig müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass andere Weltregionen Standortvorteile durch günstigere Energie haben und deshalb bei manchen Arten energieintensiver Industrieproduktion im Vorteil sind.

Ohne Investitionen in erneuerbare Energien kommen wir nicht ans Ziel

Um aus dieser Krise herauszukommen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Vor allem braucht es Investitionen in zusätzliche Erzeugungskapazitäten, gerade für die erneuerbaren Energien. Der Ausbau erneuerbarer Energien zeigt bereits Dynamik: Noch nie wurde in Bund und Ländern so viel darüber diskutiert, wie sich Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen lassen. Das gilt für Wind an Land und Solarenergieprojekte ebenso wie für Offshoreanlagen. Erneuerbare Energien sind seit kurzem von „überragendem öffentlichen Interesse“. Etwa zwei Prozent der Landesfläche wurden beispielsweise in Nordrhein-Westfalen für die Windenergie ausgewiesen. Bei der Offshore-Windenergie wurden noch nie so viele Flächen ausgeschrieben wie im letzten Jahr.

So muss es weitergehen, denn grüner Strom trägt nicht nur zur Angebotsausweitung bei, er ist auch ein Schlüssel für die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft. Deshalb lohnt es sich, noch weitere Hürden abzubauen, um noch mehr Flächen zu erschließen. Denn an den finanziellen Mitteln der privaten Investoren mangelt es dabei nicht.

Zusätzlich muss die Resilienz der eigenen Lieferketten gestärkt werden. Die seit der Corona-Pandemie anhaltende Lieferkettenproblematik zeigt sehr eindrucksvoll und gleichzeitig schmerzlich, wie abhängig Deutschland beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist. Es braucht daher mehr eigene Herstellungskapazitäten für Windräder und Solaranlagen in Deutschland und Europa. Vorschläge, um den Aufbau dieser Kapazitäten anzureizen liegen auf dem Tisch. Neben der Verringerung unserer Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern stärken wir damit übrigens auch die Akzeptanz für die Energiewende. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass durch die Errichtung der Anlagen auch neue und gute Jobs entstehen, dann kann das nur helfen.

Infrastrukturausbau unter Hochdruck

Neben dem Ausbau der Erneuerbaren muss ein weiterer Schwerpunkt auf dem Bau von Speichern und Batterien liegen – und natürlich auf dem Netzausbau. Diese Investitionen sind entscheidend, um Schwankungen in der Energieerzeugung auszugleichen und die PS der Erneuerbaren auf die Straße zu bringen.

Um dieses Ziel zu garantieren, braucht es schließlich noch steuerbare Leistung, die zuverlässig auch dann zur Verfügung steht, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Das sind zum Beispiel wasserstofffähige Gaskraftwerke. Diese braucht es schnell, denn sonst wackelt das Datum für den Kohleausstieg. Auch hier gilt: Abschalten, ohne vorher anzuschalten, das funktioniert nicht. Dafür ist die lange erwartete Kraftwerksstrategie entscheidend, ohne die es keine Ausschreibungen für diese Kraftwerke geben wird.

Am Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft lässt sich gut sehen, warum ein Gesamtbild so entscheidend ist: Wir brauchen zuvorderst ausreichenden Wasserstoff und einen pragmatischen Umgang mit dessen Herstellung, um industrielle Prozesse auf weniger CO2-Emissionen umzustellen. Neben aus erneuerbarem Strom produziertem grünen Wasserstoff brauchen wir zu Beginn auch blauen Wasserstoff, um ausreichende Mengen verfügbar zu haben. Darüber hinaus braucht es ein kluges Carbon Management, damit wir die Industrie auf unserem Kontinent erhalten.

Den Geist der pragmatischen Zusammenarbeit aller Akteure muss die politische Willensbildung in Deutschland und Europa atmen, wenn die Jahrhundert-Aufgabe Energiewende gelingen soll.

Unser Energiesystem ist weiterhin auf Kante genährt.

Dr. Markus KrebberCEO, RWE AG
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