Bürokratie und hohe Energiepreise bremsen Dekarbonisierung der deutschen Industrie aus

Neue EY-Studie zeigt: Nur jedes fünfte Unternehmen in Deutschland hält Deutschland für einen attraktiven Standort, um die Dekarbonisierung der Produktion voranzutreiben

Deutschlands Unternehmen haben in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß zu reduzieren – und das, obwohl die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland aus Unternehmenssicht deutlich zu wünschen übriglassen.

Fast drei von vier Unternehmen haben ihre Beleuchtung auf LED umgestellt, 58 Prozent haben Renovierungsmaßnahmen an den Büro- oder Produktionsgebäuden vorgenommen, immerhin etwas mehr als die Hälfte nutzt Wärmerückgewinnung, etwa ebenso viele Abwärme. Im Schnitt wollen Unternehmen damit ihren Energieverbrauch um 22 Prozent reduzieren. Obendrein haben 66 Prozent der Unternehmen ihre Energieversorgung teilweise auf Photovoltaik umgestellt, 58 Prozent nutzen Grünstrom, 37 Prozent die Wärmepumpentechnologie.

Die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Umstellung auf alternative Energieträger sind wichtige Bestandteile der Dekarbonisierungsstrategien deutscher Unternehmen – von denen sich einige sehr ambitionierte Dekarbonisierungsziele gesteckt haben: 46 Prozent planen, klimaneutral („net zero“) zu werden, 16 Prozent wollen sogar klimapositiv werden.

Allerdings tun sich viele Unternehmen schwer, ihre Ziele in die Tat umzusetzen: Bürokratische Vorschriften und teilweise sehr lange Genehmigungsverfahren, über die etwa drei Viertel der Unternehmen klagen, sind nach Unternehmensangaben besonders große Hindernisse. Hohe Energiepreise stellen für deutlich weniger Unternehmen eine große Hürde dar. Hohe Investitionskosten bzw. die schwierige Finanzierung von Dekarbonisierungsprojekten bereiten 57 Prozent größere Probleme.

Das sind Ergebnisse unseres neuen „EY Dekarbonisierungsbarometers“, für das wir insgesamt 201 Unternehmen befragt haben.

Verlagerung der Produktion ins Ausland für jedes achte Unternehmen ein Thema

Eine Möglichkeit, den Standortnachteilen Deutschlands in Sachen Dekarbonisierung zu begegnen: stärker im Ausland produzieren oder gar Produktion von Deutschland ins Ausland verlagern. Eine Verlagerung ins Ausland fasst gut jedes achte Unternehmen ins Auge.

Nur jedes fünfte befragte Unternehmen hält Deutschland für einen attraktiven Standort, wenn es um die Dekarbonisierung von Produktionsstätten geht. Skandinavische Länder führen mit 28 Prozent der Nennungen das Ranking an, neun Prozent bezeichnen Nordamerika als attraktivste Region.

Meine Meinung zu diesen Ergebnissen: Wenn nur jedes fünfte hierzulande tätige Unternehmen die Rahmenbedingungen in Deutschland als attraktiv bezeichnet, sollte uns das zu denken geben. Eine Verlagerung der Produktion ist für die meisten Unternehmen kein Thema, weil der Aufwand zu groß ist. Wenn es allerdings um einen Neuaufbau einer dekarbonisierten Produktion geht, droht Deutschland ins Hintertreffen zu geraten.

Die Befragung belegt zudem, dass der größte Hemmschuh nicht etwa die vielfach kritisierten hohen Energiekosten in Deutschland sind, sondern bürokratische Hürden. Ein Industrieunternehmen, das mal eben auf der Brachfläche nebenan ein Photovoltaikmodul installieren möchte, muss erfahrungsgemäß eine mehrjährige Odyssee durch verschiedene Ämter durchlaufen, Gutachten erstellen lassen, Prüfungen durchführen und Genehmigungen einholen – mit ungewissem Ausgang.

Immerhin: Die Verantwortung für die Umsetzung der Dekarbonisierung liegt mehrheitlich beim Management. 62 Prozent der Unternehmen haben Nachhaltigkeitsverantwortliche ernannt, in 41 Prozent kümmert sich ein Projektteam um das Thema. Bei gut der Hälfte der Unternehmen führen die Anstrengungen zur CO2-Einsparung zu einem Stellenaufbau.

Nur sechs von zehn Unternehmen nutzen öffentliche Fördermittel

In der Befragung gaben 79 Prozent der Unternehmen an, ihre Dekarbonisierungsanstrengungen aus dem Eigenkapital zu finanzieren – 62 Prozent nutzen (auch) öffentliche Fördermittel. Ich erkläre die relativ zurückhaltende Nutzung von Fördermitteln mit dem hohen Aufwand, der mit der Beantragung verbunden ist: Viele Unternehmen, aber auch Kreditgeber, wissen zum einen gar nicht, welche Töpfe zur Verfügung stehen. Aber selbst wenn: Der Beantragungsprozess ist meistens extrem langwierig und komplex. Auch Großkonzerne können das oft nicht selbst stemmen, sondern müssen auf spezialisierte Berater zurückgreifen. Das Resultat: Gerade dem Mittelstand entgehen Milliarden an potenziellen Fördermitteln.

Die komplette Studie können Sie hier nachlesen: EY Dekarbonisierungsbarometer 2024 | EY – Deutschland