Artikel aus dem Handelsblatt Journal Energiewirtschaft vom 28.08.2025
Die deutsche Wirtschaft – von Industrieunternehmen bis Mittelstand – leidet unter fundamentalen Standortnachteilen, die teils auf nationaler, teils auf europäischer Ebene verortet sind. Dabei ist die Lage in der Stahlindustrie aufgrund massiven Importdrucks in Verbindung mit der aktuellen Konjunkturkrise und den politischen Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung extrem angespannt. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die Rohstahlproduktion im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahr um fast 12 Prozent weiter eingebrochen. Noch besorgniserregender ist der Blick auf die langfristige Entwicklung: Während die weltweite Stahlnachfrage in den letzten 15 Jahren um über 30 Prozent gestiegen ist, ist die Rohstahlproduktion hierzulande um 15 Prozent zurückgegangen. Diese Entwicklung zeigt den besorgniserregenden Zustand unseres Industriestandorts. Die De-Industrialisierung Deutschlands ist in vollem Gange und Carbon Leakage ist kein Drohszenario mehr, sondern findet statt.
Stahl ist unverzichtbar: Für unseren Alltag und für die Resilienz von Deutschland
Kein Kochtopf, keine Brücke, keine Eisenbahnschienen oder Gebäude ohne Stahl. Wenn wir bewusst darauf achten, realisieren wir, dass unser Alltag ohne Stahl nicht möglich ist. Auch die klimapolitischen Ziele Deutschlands sind ohne Stahl unerreichbar, denn weder die Windenergiebranche noch eine Wasserturbine kommen ohne Stahl aus. Dabei ist oft nicht bekannt: Stahl ist nicht gleich Stahl. Über 2.000 Stahlsorten kommen in verschiedensten Anwendungen zum Einsatz – von klassischem Baustahl bis zu hochspezialisierten Hightech-Stählen. Neben dem technologischen Knowhow, das es in Deutschland zu halten gilt, stellt sich aufgrund der geopolitischen Entwicklungen eine neue Frage: Brauchen wir eine eigenständige Stahlproduktion in Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch aus sicherheitspolitischen Erwägungen? Verteidigungsfähigkeit beginnt mit verlässlicher Infrastruktur und Energieversorgung, mit stabilen Brücken und Straßen. Die Stahlindustrie ist essenziell für unsere Wehrhaftigkeit. Für eine Handelsnation wie Deutschland geht es um Resilienz, nicht um Autarkie. Jetzt besteht die Chance, die strategische Bedeutung der Stahlindustrie für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wieder zu erkennen – es wäre gerade noch rechtzeitig.
Neue Regierung, neuer Schwung? Neue Regierung, neue Hoffnung!
Die neue Bundesregierung hat erste wichtige Signale gesendet, die hoffen lassen, dass Deutschland, das wird, was es einmal war: ein attraktiver, weltoffener Wirtschaftsstandort und ein verlässlicher Partner in der EU. Es geht darum, Deutschland international wettbewerbsfähig und in verschiedener Hinsicht widerstandfähig zu machen. Die Stahlindustrie arbeitet mit Hochdruck an ihrer klimaneutralen Transformation: Im Saarland ist die SHS-Gruppe dabei, mit Power4Steel das größte Dekarbonisierungsprojekt der Stahlindustrie in Europa umzusetzen. Für die Stahlindustrie geht es dabei unter anderem insbesondere um einen wirksamen europäischen Außenhandelsschutz, um international wettbewerbsfähige Strom-, Gas- und Wasserstoffpreise sowie eine öffentliche Beschaffung, die die Produktion von emissionsarmen heimischen Grundstoffen stärkt.
Insbesondere Elektrostahlwerke, wie die Badische Stahlwerke GmbH in Kehl oder die Stahlwerke Bous GmbH, die Stahl bereits heute CO₂-ärmer durch den Einsatz von Schrott herstellen, leiden unter massivem Stromkostendruck. Trotz gesunkener Großhandelspreise ist Strom in Deutschland fast doppelt so teuer wie vor der Energiekrise – und damit im internationalen Vergleich viel zu teuer. Gleiches gilt für Erdgas, die Brückentechnologie zur wasserstoffbasierten Stahlproduktion. Durch dessen Einsatz lassen sich gegenüber dem Hochofenverfahren bereits bis zu zwei Drittel der CO₂-Emissionen einsparen. Der Einsatz von Gas ist somit ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zur CO2-armen Stahlproduktion. Pro Tonne eingesetztem klimaneutralen Wasserstoff beim Stahl lassen sich dann 28 t CO₂ einsparen. Entscheidend ist auch hier die Bezahlbarkeit.
Den Worten müssen Taten folgen
Die Transformation der saarländischen Stahlindustrie ist in vollem Gange – und unumkehrbar. Im Saarland zeigt sich, wie Transformation gelingen kann. Doch Deutschlands Ziel, beim Klimaschutz weltweit voranzugehen, wird nur dann erfolgreich sein, wenn politische Rahmenbedingungen Klimaschutz und internationale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen.