Wie Raum Inspiration schafft

Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 07.08.2023

Ein stolzes, aber auch surreales Gefühl erfüllt Marie Boden, während sie an einem heißen Juliabend über die in den Sonnenuntergang getauchten Dächer des Hamburger Stadtteils Eimsbüttel blickt. Die 40-Jährige steht dabei im sechsten Stock des neuen Hauptgebäudes ihres Unternehmens und überblickt die liebevoll mit Wildblumen und anderen Gewächsen bestückte Parkanlage der neuen Konzernzentrale. „In solchen Momenten fällt es mir immer schwer zu realisieren, dass alle diese Dinge um mich herum für lange Zeit nur in der Theorie und am Reißbrett existiert haben und sie jetzt in wenigen Tagen durch 3.000 tolle Menschen mit Leben gefüllt werden.“

Marie Boden arbeitet für Beiersdorf, den globalen Hautpflegekonzern hinter Marken wie NIVEA, Eucerin oder Hansaplast, und verantwortet in der Projektleitung die Kreation des Beiersdorf Campus, dem neuen globalen Headquarter des DAX-Konzerns mitten im Herzen Hamburgs. Im August 2023 zieht ein Großteil der Mitarbeitenden ein in die neue Arbeitswelt, in deren Zentrum das sogenannte C.ONNECT-Gebäude als Verbindungselement alle bereits renovierten Bestandsgebäude und Neubauten zu einem großen Campus vereint.

Marie wechselt aus dem kurzen Moment des Innehaltens wieder in den Arbeitsmodus und läuft über das helle Treppenhaus vom sechsten Stock hinunter bis ins Erdgeschoss, vorbei an den offen konzipierten Team-Nachbarschaften in den oberen Stockwerken und einladenden Terrassen, der großen Collaboration Area im zweiten Stock bis ganz nach unten in das Working Café im Erdgeschoss. Direkt dahinter eröffnet sich der Blick auf das Campus Restaurant und den Übergang zur eigenen Parkanlage. Bodens Uhr an ihrem Handgelenk piept kurz auf und bescheinigt ihr für die heute gemachten Meter eine außerordentliche Trainingsleistung. Diese digitale Gratulation wurde in letzten Monaten schon zum Alltag für sie, da sich der Beiersdorf Campus über eine beeindruckende Grundfläche erstreckt und man als Projektleiterin täglich viele Meter zurücklegt, um bei all den individuellen Flächen und Feinheiten des Campus konsequent am Ball zu bleiben.

In Zahlen ausgedrückt: Das gesamte Campus-Gelände erstreckt sich etwa über ein Areal von 51.000 m2, das C.ONNECT-Gebäude nimmt davon 37.000 m2 ein. Die Mitarbeitenden erwartet zudem ein 1.500 m2 großes Campus Restaurant, das 750 Personen fasst und in dem pro Tag 3.000 Mahlzeiten zubereitet werden. Gleichzeitig stehen 870 Pkw-Parkplätze, 735 Fahrradstellplätze und die dazugehörigen E-Ladestationen zur Verfügung. Es gibt eine Campus App, anhand derer man über intelligente Sensorik die Auslastung der verschiedenen Gebäudeteile verfolgen kann. Die Beiersdorf-Mitarbeitenden können sich auf dem Gelände auf Fitness- und Sportbereiche, einen Meditationsraum, ein Eltern- Kind-Büro, eine Betriebs-Kita, einen Andachtsraum und die persönliche Betreuung durch das interne Healthund Wellbeing-Team freuen. Die 4.000 m2 Collaboration Area lassen keine Wünsche für agiles Arbeiten offen und bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten für die unterschiedlichsten Arbeitsstile. Diese Auflistung könnte man fortführen, aber eine noch viel wichtigere Fragestellung muss zuerst beantwortet werden: Wie schafft man es als Konzern, dass all diese Angebote auch wirklich genutzt werden?

Die Herausforderung und das große Ziel

Die Berichterstattung rund um langjährige Großbauprojekte von DAX-Konzernen bzw. die Neugestaltung der eigenen Arbeitsflächen dieser Unternehmen klingen häufig wie ein architektonisches Buzzword-Bingo: New Work, Open-Space-Konzept, cross-funktionale Kollaboration, Desksharing, activity-based Working und so vieles mehr. Die große Gefahr lauert darin, dass diese Begriffe am Ende des Projekts nur als leere Worthülsen über dem Projekt schweben und die wunderschönen Flächen in der Realität nur bedingt von den Mitarbeitenden mit Leben gefüllt werden.

Zugegebenermaßen: Auch die Kommunikation rund um den Beiersdorf Campus ist nicht frei von solchen Fachtermini, die inhaltlich eine absolute Daseinsberechtigung haben und die Vielfalt und Ambition solcher Projekte passend einordnen. Aber abseits all der Detailspezifikationen ist das Ziel eines solchen Projektes wie dem Beiersdorf Campus vor allem eines: Gegenseitige Inspiration in der bestmöglichen kommunikativen Atmosphäre. Denn diese wiederum führt zu Innovation. Und innovative Konzepte und Lösungen sind die essenzielle Grundlage für langfristigen Erfolg und Wachstum. Wie erreicht man also dieses Ziel und schafft es, die attraktiv ausgeleuchtete Theorie auch in die gelebte Praxis zu überführen? Indem man die Mitarbeitenden so eng wie möglich mit auf die Reise in ihre neue Arbeitswelt nimmt und diese nach ihren Bedürfnissen gestaltet.

Partizipation als Schlüssel zum Erfolg

Wie kann so etwas aussehen? Jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur und verschiedene Charakteristika und Ansprüche innerhalb der Teams. Deshalb ist es im ersten Schritt wichtig, den Mitarbeitenden zuzuhören, um herauszufinden, was die Menschen im eigenen Unternehmen für ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz und für ihre Produktivität benötigen.

Im Rahmen der Campus-Planung ist bei Beiersdorf genau das geschehen: Die Mitarbeitenden waren von Projektbeginn an involviert und haben den Campus bereits vor der Fertigstellung maßgeblich geprägt. Konkrete Beispiele aus der Projektentwicklung sind: die Gründung eines Change-Netzwerkes mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Funktionen, eine gemeinsame Lernreise zu anderen Unternehmen und deren Bürokonzepten, eine Mitarbeiterbefragung zur Arbeitsplatz- Zufriedenheit in Kooperation mit dem Leesman-Institut, der sogenannte Detailplanungsprozess, in welchem die Teams auf Basis ihrer Aktivitätsprofile passende Raummodule wählen konnten, Baustellentouren mit über 1.200 Teilnehmenden sowie regelmäßige Sprechstunden oder auch die kreative Benennung der Campus-Gebäude durch die Beiersdorferinnen und Beiersdorfer sowie das Probesitzen und Auswählen von Campus-Mobiliar.

Ein Anliegen wurde bei alledem besonders deutlich: Die Mitarbeitenden fordern mehr Austausch untereinander, mehr Kollaboration, mehr Raum für gegenseitige Inspiration, mehr Über-den-eigenen-Tellerrand-Hinausblicken. Und genau das bekommen sie nun. Initial anders geplante Flächen im C.ONNECT-Hauptgebäude des Campus wurden im Laufe des Projektes flexibel angepasst und in die bereits erwähnte 4.000 m2 große Kollaborationsfläche umgeplant, die jetzt mit sowohl farblicher als auch räumlicher Varianz beeindruckt. Hier reihen sich clever aufgeteilte Workshopflächen und sogenannte ComSpots an größere Eventflächen und Räumlichkeiten zum gemeinschaftlichen kreativen Arbeiten. Konkret sind es modulare Workshop- und Werkstattflächen mit Namen wie „Under Construction“, „Garden of Creativity“ oder „In the Clouds“, „Shared Spaces“ für den Schnack unter Kolleginnen und Kollegen oder die „Stage“ – eine Art Speakers‘ Corner, in der Wissen und Ideen geteilt werden können. Diese verschiedenen Erlebnisorte differenzieren sich durch eine jeweils einzigartige Atmosphäre, unterstützt durch die Möbel- und Farbauswahl. Das hilft den Nutzenden, sich intuitiv auf dem Campus orientieren zu können. „Mich wird man regelmäßig in der Nähe der Stage finden, ich brauche meine tägliche Dosis Inspiration und will von anderen Menschen lernen. Ich habe über die letzten Jahre in diesem Projekt schon so viele unterschiedliche Denkweisen kennengelernt, so viele spannende Teams getroffen, dass ich mich jetzt besonders auf diese offenen Begegnungsräume auf dem ganzen Campus freue.“, ergänzt Marie Boden.

New Work bedeutet Entscheidungsfreiheit des Einzelnen

Der Grundgedanke nicht nur hinter dieser spezifischen Vielfalt, sondern hinter dem gesamten Arbeitsplatzkonzept auf dem Campus ist die Beiersdorf-eigene Interpretation von New Work: Die maximale Entscheidungsfreiheit des Mitarbeitenden steht an oberster Stelle.

Dies bedeutet, dass sich jede und jeder Einzelne täglich neu entscheiden kann: Wie will ich heute arbeiten? Wo? Mit wem? Drinnen? Draußen? In der Team-Nachbarschaft in einem kleineren Raum für zwei Personen? In einem bequemen Sessel auf der Terrasse? Im Working Café mit 250 anderen Personen, während um mich herum buntes Treiben herrscht?

Aber warum das Ganze? Warum alle diese Auswahlmöglichkeiten? Arbeitsplatz-Studien machen deutlich: Ein zeitgemäßer Arbeitsort und eine konservative Unternehmenskultur oder Arbeitsweise harmonieren nicht miteinander. Und agile Methoden oder New- Work-Konzepte benötigen Freiräume, um sich etablieren zu können. Mit dem Campus hat Beiersdorf somit einen Nährboden geschaffen, auf dem die New-Work- Saatlinge gedeihen können. Auch hierbei geht es um Inspiration: Dadurch, dass die Teams näher zusammenrücken und nicht alles hinter verschlossenen Türen abgehandelt wird, können Teams, die neue Arbeitsweisen nutzen, andere Teams inspirieren und mitreißen.

„Übersetzt in das Raumkonzept bedeutet das konkret, dass kein Arbeitsbereich auf dem gesamten Beiersdorf Campus völlig offen oder völlig geschlossen ist, was eine hohe Veränderbarkeit und Vielfalt ermöglicht. Die hierarchieunabhängigen Bürostrukturen sind in einer einheitlichen Gestaltungssprache gehalten, die den Teams viel Gestaltungsspielraum lassen, um ihre Teamoder ihre Markenidentität auszudrücken. Es wird für jedes Team zugewiesene Teamnachbarschaften geben, jedoch haben am Ende die Mitarbeitenden die flexible Wahl, wo sie auf dem gesamten Campus arbeiten wollen.“, fasst Boden die Grundidee dieses zeitgemäßen Ansatzes zusammen.

Bekenntnis zu den eigenen Wurzeln und nachhaltiger Mobilität

Während viele dieser Elemente eine Neuerung und auch grundlegende Veränderung in der Art des Arbeitens für Beiersdorf-Mitarbeitende bedeuten, ist der Standort dieser neuen Konzernzentrale ein klares Bekenntnis zu Hamburg-Eimsbüttel und den historischen Wurzeln des Unternehmens.

Im Gegensatz zu vielen anderen Firmen, die mit ihren Neubauten in Stadtrandgebiete ziehen, wächst Beiersdorf genau dort weiter, wo die Wurzeln des Unternehmens fest verankert sind. Vor 141 Jahren begann die weltweite Erfolgsgeschichte des Unternehmens mitten in Eimsbüttel, geprägt durch die Gründerväter Paul C. Beiersdorf und Dr. Oscar Troplowitz. Eine Historie, die viele Beiersdorf-Mitarbeitende bis heute mit Stolz erfüllt. „Indem wir also das Beste aus der Vergangenheit bewahren und gleichzeitig die Chancen der Zukunft nutzen, schaffen wir einen modernen Campus, der alle Beiersdorf-Mitarbeitenden motiviert und inspiriert.“, sagt Boden.

Enge Beziehungen bestehen zwischen dem Stadtbezirk und dem Unternehmen und auch die Mitarbeitenden fühlen sich in dieser urbanen und lebenswerten Lage wohl. Der Stadtbezirk bietet mit seiner Gründerzeit- Bausubstanz und der guten Erreichbarkeit eine gesunde Mischung aus attraktivem Wohnumfeld, Park- und Naherholungsflächen und einem geschäftigen Gewerbetreiben. Darüber hinaus wurde in einer internen Befragung deutlich, dass mehr als 2/3 der Angestellten aus einem Radius unter fünf Kilometern zur Arbeit anreisen, was wiederum einen grundlegenden nachhaltigen Mobilitätsfaktor im Rahmen des Campus beschreibt.

Das Beiersdorf-Miteinander: Gemeinsam nach vorne

Letzten Endes bilden dieses detailliert durchdachte Arbeitsplatzkonzept, die architektonische Gesamtkonzeption des Campus, die Wahl des Standortes und diverse wertschätzende Services für die Mitarbeitenden vor Ort eine ideale Grundvoraussetzung, um die zentrale kulturelle Säule von Beiersdorf zu stärken und stetig weiterzuentwickeln: Das füreinander sorgende Miteinander, im Englischen: Die togetherness von Beiersdorf. Die neuen Flächen laden genau dazu ein; zum Zusammensein, zum Austausch, zum gegenseitigen Inspirieren und Unterstützen und genau das ist es auch, was die Mitarbeitenden verstärkt einfordern.

Natürlich stellt der Umzug in die neue Konzernzentrale auch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für alle Beteiligten dar, aber vor allem aber auch eine absolute Chance zur weiteren kulturellen Transformation bei Beiersdorf. „Das reine Gebäude mal außen vor: Das Miteinander und das Zusammen ist in allem, was wir hier tun, das zentrale Element. Nur so schaffen wir das Wohlbefinden aller, das weitere Wachstum, den Weg nach vorne. Der Campus ist der perfekte Katalysator für diesen Weg und wir sind sowas von bereit für die Zukunft, aber es geht eben nur gemeinsam.“, erläutert Boden, ehe sie das C.ONNECT-Gebäude in Richtung der Anfang Juli in Beiersdorfstraße umbenannten Straße vor dem Haupteingang verlässt. Die Glasfassade spiegelt die untergehende Sonne wider, wie ein Stilleben wirkt die Szenerie. In wenigen Tagen werden dies 3.000 Mitarbeitende ändern und diesen Campus mitten in Eimsbüttel gemeinsam zu ihrem neuen Zuhause machen.

Wie schafft man es als Konzern, dass all diese Angebote auch wirklich genutzt werden?

Maria BodenManager Campus & Projects, Beiersdorf
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