Marc-Nicolas Glöckner, Senior Manager, PPI AG
Lea Valentin, Product Manager Banking Solutions, PPI AG
Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) hat viele Branchen revolutioniert und ermöglicht innovative Lösungen für komplexe Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund wächst auch in der Immobilienfinanzierung das Interesse am Einsatz von KI, um die Effizienz zu steigern und Prozesse zu optimieren.
Eine Herausforderung bei der Anwendung von KI in der Baufinanzierung ist die geringe Menge an verfügbaren Daten und deren mangelnde Einheitlichkeit. Im Gegensatz zu anderen Anwendungsfällen, in denen große und homogene Datensätze zur Verfügung stehen, sind die Daten in der Baufinanzierung oft heterogen und begrenzt. Trotz dieser Herausforderung ist es möglich, diese Daten zu nutzen und entsprechende Prozesse mittels KI zu unterstützen.
Die regulatorischen Anforderungen an die Erhebung der Daten im Kreditprozess sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Das führt zu einer steigenden Datenqualität. Gleichzeitig hat dies zur Folge, dass es im Verlauf der Jahre viele Änderungen bei der Erfassung und dem Umfang der für die Baufinanzierung notwendigen Daten gibt. Das Problem: Wenn nur einige (zehn)tausend Baufinanzierungen in einem Jahr vergeben werden, müssen für die Entwicklung einer KI-Lösung die Daten mehrerer Jahre herangezogen werden. Aufgrund der oben beschriebenen Heterogenität dieser Daten führt dies unter Umständen zu erheblichen Problemen in der Modell-Entwicklung.
Stehen keine Massendaten zur Verfügung, können Baufinanzierer in vielen Fällen auf vortrainierte neuronale Netze zurückgreifen und diese an die eigenen Anwendungsfälle anpassen. Ein typisches Beispiel ist die Bildverarbeitung, wo riesige Bilddatenbanken mit vielen Millionen beschrifteten Bildern frei verfügbar sind. KI-Anwendungen, die auf diesen Daten vortrainiert wurden, können bereits Merkmale aus Bildern extrahieren. Sie benötigen dann nur relativ wenige zusätzliche Daten aus dem spezifischen Anwendungsgebiet, um gute Ergebnisse zu erzielen. Im Bereich der Textverarbeitung sind die aktuellen GPT-Modelle ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit generalistisch trainierter Modelle auch ohne spezifische Anpassung.
Viele Schritte in der Baufinanzierung erfordern die Verarbeitung unstrukturierter Daten. Mit Hilfe von trainierten neuronalen Netzen erreicht man trotz der geringen Datenmenge, die meist unstrukturiert vorliegt, besonders gute Ergebnisse. Mögliche Anwendungsbeispiele entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Baufinanzierung sind:
- Prüfung der Identität des Antragstellers
- Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers
- Prüfung der Bonität des Antragstellers
- Betrugserkennung beim Baufortschritt
Dass KI keine Zukunftsmusik, sondern schon heute Realität ist, zeigt dibco, ein KI-basiertes Tool in der Baufinanzierung, welches sich auf die Nutzung unstrukturierter Daten zur Prozessoptimierung konzentriert. Hier kommt KI an verschiedenen Stellen zum Einsatz, etwa bei der Baufortschrittskontrolle.
Um bei der Auszahlung von Darlehen für Neubauprojekte den für die Auszahlung notwendigen Baufortschritt zu prüfen, werden Bilder des Bauprojekts, die der Kunde einreicht, analysiert. Je nach
Bauvorhaben reicht der Kreditnehmer zwischen fünf und 25 Baufortschrittsnachweise in Form von Rechnungen und Bildern ein zur Auszahlungsbeauftragung. Der Prozess stellt einerseits einen Medienbruch in der Wertschöpfungskette dar, andererseits ist er sehr ressourcenaufwendig und fehleranfällig, sowohl auf der Endkunden-, als auch auf der Bankseite. Prüfungen auf Vollständigkeit, Echtheit und physischen Baufortschritt, können hier automatisiert werden.
Pro zu prüfendes Gewerk wird der Baufortschritt eines Neubaus betrachtet und quantifiziert. Trotz geringer Trainingsdatenmenge erreicht das Tool eine Erkennungsrate von etwa 98 Prozent. Grundlage für dieses effiziente Training war zum einen der Einsatz eines zuvor trainierten neuronalen Netzes und zum anderen eine genaue Analyse der falsch beurteilten Zustände im Trainingsprozess. Mit Methoden der Explainable AI können die Teile eines Bildes identifiziert werden, die zu der Fehleinschätzung geführt haben. Beispielsweise war es anfangs möglich, mit einer nassen Straße eine gegossene Bodenplatte vorzutäuschen. Beide Bilder wiesen oft eine nasse und damit sehr glatte Oberfläche in einem großen einheitlichen Bereich auf. Dank dieser Erkenntnis konnten die Trainingsdaten so erweitert werden, dass diese Fehlerart nicht mehr auftritt.
Der Einsatz von KI in der Baufinanzierung steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber das Potenzial, die Branche grundlegend zu verändern. KI-Systeme tragen dazu bei, den Baufinanzierungsprozess zu beschleunigen, zu vereinfachen und sicherer zu machen. Ein datenzentrierter Ansatz kann dabei helfen, die Prozesse mit dem größten Automatisierungspotenzial zu identifizieren. Dadurch können Banken und Bausparkassen ihren Kunden einen besseren Service bieten und ihre Geschäftsprozesse effizienter gestalten.