Wie Agilität in Versicherung echten Mehrwert schaffen kann

Agilität ist in aller Munde, aber was steckt eigentlich dahinter und was bringt sie für ein Versicherungsunternehmen? Die Antworten im deutschen Versicherungsmarkt fallen bislang sehr unterschiedlich aus: Das Spektrum reicht von agiler IT-Entwicklung über crossfunktional-agile Projektansätze bis hin zur Etablierung durchgängiger agiler Organisationsstrukturen mit Wertströmen, Tribes oder Trains. Worauf es bei agiler Transformation ankommt, welche Unternehmensbereiche im Fokus stehen und welche Erfolgsfaktoren für Versicherer besonders wichtig – dazu im Folgenden einige zentrale Erkenntnisse und Einschätzungen.

Jeder will heute agil sein – Aber bitte nicht als Selbstzweck!

Erste und wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von Agilität ist eine klare Antwort auf die Frage: Was will ich eigentlich in meinem Versicherungsunternehmen durch Agilität erreichen? Geht es um die Beschleunigung von Innovation und Produktentwicklungen, um eine durchgängigere Ausrichtung auf die Kundenperspektive, um die Stärkung crossfunktionaler End-to-End Verantwortung für die wesentlichen Geschäftsfelder oder um neue Arbeits- und Führungsmodelle?

Agile Veränderung kann auf all diese Dimensionen positiv einzahlen, aber es braucht einen klaren Fokus und klar definierte Ziele, um Agilität effektiv in ein Unternehmen zu bringen. Dies gilt gerade in der Versicherungsbranche mit ihrer oft noch traditionellen Philosophie von intern getriebener Produktentwicklung und stark funktionaler Verantwortungsteilung. Die heute erfolgreichsten Versicherer im Bereich Agilität haben sich zu Beginn der Transformation im Top-Management auf einige wenige strategische Ziele committed und klare Messgrößen für den Erfolg definiert. So wird Agilität vom „modischen Selbstzweck“ zum effektiven „Mittel zum Zweck“ und schafft messbar Wert für einen Versicherer.

Agilität braucht Differenzierung – Nicht alle Unternehmensbereiche sind gleichermaßen anzugehen

Ein wesentlicher Kernbaustein agilen Arbeitens liegt in der Idee, bei Produkt- und Serviceentwicklungen von Beginn an alle funktionalen Perspektiven und Fähigkeiten zusammenzubringen. Neudeutsch also „crossfunktional“ von der Kunden-, Markt- und Vertriebsbrille über die Produktexpertise bis hin zu Prozessdesign und IT-Entwicklung alle notwendigen Skills in einem agilen Zusammenarbeitsmodell zu kombinieren.

Der natürliche Startpunkt agilen Arbeitens ist da, wo im Unternehmen „Innovation & Change“ stattfinden. Die Idee, bei der Produkt- und Serviceentwicklung von Beginn an alle funktionalen Perspektiven und Fähigkeiten zusammenzubringen und agil zu arbeiten, kann schnell positive Wirkung entfalten. Dies gilt übrigens in allen denkbaren Evolutionsstufen von Agilität – egal ob in agil aufgesetzen Projekten, virtuellen Wertströmen oder agil orientierten Aufbauorganisationen. Die deutschen Versicherer befinden sich aktuell in sehr unterschiedlichen Umsetzungsmodellen von Agilität, aber die Vorteile von beschleunigter Produktentwicklung, stärkerer Kundenorientierung und wachsender End-to-End Verantwortung sind quer durch den Markt in allen Evolutionsszenarien erkennbar.

Anders sieht es aus, wenn man Agilität in den Kontexten „Service & Operations“ sowie „Stab & Support“ betrachtet. Hier sind die praktischen Erfahrungswerte agiler Transformation noch überschaubar, wobei sich eine Tendenz abzeichnet: Der Fokus liegt zumeist auf selbstorganisiertem Arbeiten, der Übernahme von End-To-End-Verantwortung für Kundenanliegen sowie dem Einbringen funktionaler Spezialexpertise in die Innovations- und Change-Teams. Derzeit gibt es in vielen Versicherungshäusern durchaus Skepsis, inwieweit Agilität für operativ-repetitive Geschäftsvorfälle und Stabskompetenzfelder geeignet ist. Sobald ein Versicherer jedoch seine Innovations- und Changeaktivitäten wirksam agilisiert hat, werden agile Bausteine auch in Operations, Stab und Support mittel- bis langfristig die logische Konsequenz sein. Außerdem erwartet die nächste Generation an Mitarbeitenden neue Formen von Führung, Zusammenarbeit und Eigenverantwortung in allen Unternehmensbereichen.

Agilität braucht Führung – Anders als bisher, aber mit echter Ownership

Eine leider immer noch weit verbreitete Fehlannahme lautet, dass agiles Arbeiten quasi keine Führung mehr braucht. Das Gegenteil ist der Fall: Agiles Arbeiten ist nur dann erfolgreich, wenn es klare Ziele und Rahmensetzungen, klare Rollen im Team und klare Checkpunkte zum Arbeitsfortschritt gibt.

Das deckt sich in der Regel nicht mit den heutigen, hierarchisch geprägten Führungsstrukturen in Versicherungsorganisationen. Statt dessen braucht es eine geeignete Modularisierung von Führungsrollen und echte Verantwortungsübernahme – neudeutsch Ownership – in den agilen Teams, um die definierten Ziele und Ergebnisse gemeinsam besser erreichen zu können. Die praktischen Erfahrungen bei vielen Versicherern zeigen: Wenn sich agil aufgestelle Teams auf die neuen Führungs- und Zusammenarbeitsmodelle wirklich einlassen, kann gemeinsam ein neues Level an Kreativität, Geschwindigkeit und Ownership enstehen.

Agilität braucht Mindset-Change – Neue Frameworks und Zeremonien sind nur äußere Hilfsmittel

Die Praxis zeigt aber auch: Wichtigster Treiber agiler Erfolgsmodelle ist das entsprechende Mindset aller Beteiligten. Sämtliche agilen Teams, Sprints, Zeremonien oder Zertifizierungen verpuffen in ihrer Wirkung, wenn die Beteiligten in alten, funktional und hierarchisch geprägten Denkmustern verharren. Eine Erfolgsdimension, die übrigens vom Top-Management bis zum operativen Teammitglied erfüllt werden muss.

Nicht wenige Versicherer haben in den letzten Jahren einen großen Teil ihrer Mitarbeiter agile Trainings und Zertifizierungen durchlaufen lassen. Das ist richtig und wichtig – aber noch kein Automatismus für eine erfolgreiche agile Transformation. Vor allem das Top-Management und die oberen Führungsebenen müssen die Vorteile und Ziele von Agilität für sich definieren und verinnerlichen und ihr Führungsmodell entsprechend anpassen. Nur wenn Agilität von oben vorgelebt wird, kann sie in der Breite der Organisation zum nachhaltigen Erfolgsfaktor werden.

Agilität ist mehr als ein Modetrend – Chance auf grundlegende Veränderungen in Versicherung  

Die Versicherungsindustrie war über viele Jahrzehnte geprägt von der Philosophie starker funktionaler Silos und arbeitsteiliger Spezialisierung. Im digitalen Zeitalter stößt dieses Modell jedoch zunehmend an seine Grenzen – aus Sicht der Kundenerwartungen, aus Sicht der Mitarbeitenden und auch aus Sicht von Markt und Wettbewerb. Wer als Versicherer Kunden spürbar in den Mittelpunkt stellen, Produkte und Services schneller und flexibler an die Rampe bringen, die Innovationskraft seiner Organisation stärken und für neue Generationen von Mitarbeitenden attraktiver werden will, für den bietet Agilität eine Vielzahl an Bausteinen zur grundlegenden Veränderung.

Die Umsetzung von Agilität kann von Versicherer zu Versicherer durchaus unterschiedlich ausfallen. Nicht jedes Versicherungshaus kann und muss eine Kompletttransformation durchlaufen, sich organisatorisch nach Wertströmen neu aufstellen oder das komplette Führungsmodell umbauen. Was es aber in jedem Fall braucht: Neue Modelle der Zusammenarbeit über die heutigen Funktionen hinweg, die Stärkung von End-to-End Verantwortlichkeiten und ein verändertes Bewusstsein für crossfunktionale Zusammenarbeit und Führung fernab von rein hierarchischen Strukturen. In all diesen Dimensionen kann und wird Agilität eine Rolle spielen – und spürbar Mehrwert für die Versicherungsbranche schaffen!