Warum mehr Staat die Energiewende gefährdet

Andreas Schell

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Für das dauerhafte Marktdesign der Energiewirtschaft dürfen krisenbedingte Maßnahmen wie Preisbremsen und Erlösabschöpfungen keinen Vorbildcharakter haben. Ansonsten gerät die Umsetzung der Energiewende und damit die Erreichung der Klimaziele ernsthaft in Gefahr.

Deutschland befindet sich seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine in einer der herausforderndsten Energiemarktsituationen ihrer Geschichte. Die Steigerung der Rohstoffbeschaffungskosten jenseits von Angebot und Nachfrage sowie steigende Netzentgeltkosten haben auch Energieversorger dazu gezwungen, ihre Preise anzupassen. Das bedeutet für viele Bürger:innen eine deutliche Mehrbelastung. Selbstverständlich befürworten wir als Energieversorger, Kostensteigerungen für Kund:innen in dieser kritischen Situation abzumildern. Daher unterstützen wir grundsätzlich die aktuell geltenden Stromund Gaspreisbremsen sowie die ebenfalls beschlossene Erlösabschöpfung.

Vertrauen der Investor:innen in klimafreundliche Stromerzeugung erhalten

Derart gravierende Markteingriffe müssen jedoch unbedingt ein Enddatum haben und dürfen nicht zu einer grundsätzlichen Reform der Energiemärkte führen. Insbesondere aus drei Gründen:

1.) Versorgungsunternehmen werden wichtige Investitionsmittel in den Ausbau klimafreundlicher Stromerzeugung entzogen. Die Folge: Kapitalgeber:innen wenden sich von Energiewendeprojekten wie der Umstellung von Kohlekraftwerken auf klimafreundlicheres Gas und perspektivisch auf Wasserstoff ab, und investieren nicht mehr in Erneuerbare Energien. Vor allem die rückwirkende Anwendung der Gewinnabschöpfung hat schwerwiegende Folgen, weil dadurch das Vertrauen in- und ausländischer Kapitalanleger: innen und Investor:innen in den Standort Deutschland nachhaltig erschüttert werden kann. An einem solchen Vertrauensverlust ändert eine Verkürzung der Frist grundsätzlich nichts, auch wenn sich dadurch das Ausmaß des Eingriffs reduziert.

2.) Es besteht ein erhebliches Risiko der dauerhaften Marktschädigung mit Folgen weit über die aktuelle Krisenbewältigung hinaus und zu Lasten der Konsument: innen. Wenn langfristig Investitionen in die Energieinfrastruktur fehlen, gefährdet das die Umsetzung der Energiewende.

3.) Die vorgeschlagenen Verfahren sind mit hohem administrativem Aufwand verbunden, was langfristig ebenfalls zu Lasten der Konsument:innen gehen wird – obwohl eigentlich eine Entlastung das ursprüngliche Ziel war.

Zwei Optionen für eine „neue Ära der Energiewirtschaft“

Die krisenbedingten Maßnahmen bergen die Gefahr, das bisher funktionierende marktorientierte System durch ein Modell zu ersetzen, welches wesentlich stärker durch Staatsinterventionen geprägt ist. Dies könnte von Erlösabschöpfungen bis hin zur Verstaatlichung von Infrastruktur reichen. Mit anderen Worten: Die Krise kann bewirken, dass wir in der Energiewirtschaft auf einen Pfad einschwenken, der nicht allein der temporären Krisenbewältigung dient, sondern auf Dauer angelegt wird. Damit stehen wir an einem Scheidepunkt mit zwei Optionen:

Option 1: Konsequent beschleunigte, marktliche Energiewende

Dazu zählt, das Vertrauen der Investor:innen zurückzugewinnen und nach Überwindung der aktuellen Krise den marktwirtschaftlichen Ansatz fortzuführen. Dies ergänzen wir durch ein Marktdesign, das insbesondere die Finanzierung von disponibler Leistung stärker anreizt, z.B. im Rahmen des neuen Kraftwärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG), das zudem um die Kriterien Klimafreundlichkeit und Netzdienlichkeit ergänzt werden könnte. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien muss zudem der Markt für langfristige Abnahmeverträge (PPAs) weiter gestärkt werden. Denn die Finanzierung über den Markt bietet größtmögliche Flexibilität für Geschäftsmodelle und Technologien. Zudem wird die Integration der europäischen Märkte vorangetrieben durch Maximierung verfügbarer, grenzüberschreitender Kapazitäten. Dabei sollte der EU-Rahmen unbedingt national unterschiedliche Voraussetzungen berücksichtigen.

Option 2: Fortführung der Energiewende als Staatsprojekt

Die krisenbedingten Eingriffe hinterlassen dauerhafte Spuren und der Staat gewinnt zunehmend Einfluss auf die Energiemärkte. Privatwirtschaftliche Investor:innen werden mindestens abwarten, schlimmstenfalls aber in anderen Ländern investieren. So beispielsweise in den USA, wo unter der aktuellen Regierung Bidens höhere Förderungen gewährt werden. Direkte Verstaatlichungen können zudem sogar als Ausgangspunkt für direkte staatliche Kontrolle dienen. Beispielsweise durch eine Verstaatlichung des Gasnetzes. Dies hätte zur Folge, dass sich Netzbetreiber ebenfalls erheblichen Unsicherheiten gegenübersehen und Investitionsanreize in die Wasserstoffwelt leiden.

Klares Bekenntnis zur beschleunigten Energiewende statt zunehmender Verstaatlichung

Die Politik kann sich zwischen diesen beiden Optionen entscheiden. Die erste Option ist zweifelsohne die bessere. Eine „neue Ära der Energieversorgung“ muss mit einem klaren Bekenntnis zur Energiewende und der konsequenten, beschleunigten Umsetzung beginnen. Dazu gehört schnellstmöglich die Beseitigung noch bestehender Hemmnisse wie zum Beispiel unverhältnismäßig lange und komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren. Noch immer dauert es in Deutschland von der Planung bis zur Fertigstellung eines einzigen Windparks bis zu 70 Monate. Vor vier bis fünf Jahren dauerte es nur halb so lange. Ähnliches zeichnet sich in anderen Bereichen ab, die zum Erreichen der Klimaziele beitragen, wie z.B. beim Ausbau von Netzinfrastruktur oder der Schnellladeinfrastruktur für E-Autos. Wir sehen erste Schritte seitens Politik, dies zu beheben. Aber Ambition und Geschwindigkeit reichen noch nicht aus. Politik und Wirtschaft müssen jetzt an einem Strang ziehen, um die richtigen Rahmenbedingungen für eine beschleunigte Dynamik zu erzeugen.

Um das zu erreichen, müssen wir das Potenzial des Energy-Only-Markts (OEM) weiterhin voll nutzen, inbesondere die Flexibilität, die der OEM bietet. Dazu gehört, dass Preissignale basierend auf Angebot und Nachfrage unverzerrt ankommen müssen und dass dazu auch die deutsche Preiszone erhalten bleibt, damit Anbieter und Nachfrager die Liquidität dieses Marktes nutzen können. Das gewährleistet Liquidität und Prognostizierbarkeit für den Markt und für Investor:innen. Konsument:innen können geschützt werden, indem staatliche Lasten gesenkt werden anstelle von Preiscaps oder Eingriffen in Tarifstrukturen. Dazu wäre eine Reform des Umlagen- und Abgabensystems erforderlich, die jedoch Konsument:innen entlasten würde, ohne den Markt zu verzerren.

Weitere Voraussetzung ist, dass der Staat den Märkten glaubhaft signalisiert, die aktuelle Umbruchphase schnell und dauerhaft zu verlassen. Dazu ist Überzeugungsarbeit notwendig, dass lediglich Optimierungen des Marktdesigns – im Wesentlichen auf EU- und deutscher Ebene – vorgenommen wurden, nicht aber Weichen für ein neues, staatlich geprägtes System gestellt werden, das auch noch veränderlichen politischen Zielen ausgesetzt ist. Eine solch einschneidende Reform bräuchte erhebliche Zeit zur Etablierung und würde wegen anhaltender Unsicherheiten in eine regulatorische Interventionsspirale führen. Damit gerieten – trotz wohlgemeinter Absichten – die Klimaziele in Gefahr. Das kann weder im Sinne der Bundesregierung noch der EU sein.

Eine neue Ära der Energieversorgung muss mit einem klaren Bekenntnis zur Energiewende und der konsequenten, beschleunigten Umsetzung beginnen.

Andreas SchellVorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG
Das aktuelle Handelsblatt Journal Energiewirtschaft
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Kostenloser Download