Update: Zur Zulässigkeit des drittfinanzierten Sammelklageinkassos (auch im Kartellschadensersatzrecht)

I. Bündelung von Ansprüchen zur gemeinsamen Geltendmachung (sog. Abtretungsmodell)

  • Bündelung von gleichgearteten Forderungen zur gemeinsamen (außergerichtlichen und gerichtlichen) Geltendmachung
  • durch Forderungsabtretung an einen zugelassenen Rechtsdienstleister
  • Vorteile einer gebündelten Geltendmachung von Ansprüchen sind insbesondere
  • Prozessökonomie und Kostenersparnis;
  • Ermöglichung einer Prozessfinanzierung.

II. Beteiligte/rechtliche Konstruktion

Beteiligte an dem Abtretungsmodell sind der Kartellgeschädigte (ursprünglicher Anspruchsinhaber), der klagende Rechtsdienstleister (Inkassounternehmen) sowie ein i.d.R. externer Prozessfinanzierer.

Zentral ist die treuhänderische Abtretung der Schadensersatzansprüche der Geschädigten an den Rechtsdienstleister, der die ihm abgetretenen Forderungen im eigenen Namen als Kläger außergerichtlich und gerichtlich geltend macht.

Der weiterhin vertraglich eingebundene Prozessfinanzierer übernimmt im Unterliegensfall nach Maßgabe des Finanzierungsvertrages sämtliche Kosten des Verfahrens. Nur im Erfolgsfall erhält er eine vertraglich vereinbarte Erlösbeteiligung.

III. Anforderungen an den klagenden Rechtsdienstleister

  • Ausreichende finanzielle Ausstattung, mindestens zur Deckung sämtlicher etwaiger Kostenerstattungsansprüche der Gegenseite (s. dazu inbes. OLG Düsseldorf v. 18.2.2015 – VI-U (Kart) 3/14 – Cartel Damage Claims sowie LG Stuttgart v. 18.2.2019 – 45 O 12/17 zum LKW-Kartell).
  • Registrierung als Inkassodienstleister gem. §§ 10 Abs. 1, 2 Abs. 2 RDG (BGH, Urt. v. 13.07.2021 – II ZR 84/20; OLG Düsseldorf v. 18.2.2015 – VI-U (Kart) 3/14).

IV. Wirksamkeit der Abtretung an den Rechtsdienstleister

  • Prüfung insbesondere am Maßstab des Rechtsdienstleistungsgesetzes:
    Ist die Tätigkeit des Rechtsdienstleisters noch vom Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr.1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG umfasst?
  • Beachte dazu die Entwicklung der Rechtsprechung:
  1. BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, zum Geschäftsmodell der klagenden LexFox GmbH mit deren Onlineportal de, in dem Mieter ihre Ansprüche gegen ihre Vermieter im Zusammenhang mit der „Mietpreisbremse“ zum Zwecke der Durchsetzung an die als Inkassodienstleisterin registrierte Klägerin abgetreten haben, die ihrerseits die Kosten übernahm und sich dafür eine Erfolgsbeteiligung versprechen ließ. Der BGH hielt diese Konstruktion für „noch“ von ihrer Inkassolizenz gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG gedeckt und damit für „noch“ zulässig (zustimmend LG Braunschweig im Falle einer „Sammelklage“ gegen die Volkswagen im Zshg. mit dem Dieselskandal).
  2. Anders jedoch das LG München I, v. 07.02.2020 – 37 O 18934/17, im Falle der „Sammelklage“ der Financialrights GmbH, die abgetretene Ansprüche von Geschädigten des LKW-Kartells (insgesamt über 3.000 Speditionen hinsichtlich 84.000 LKW in einem Umfang von 867 Mio. €) gegen die kartellbeteiligten LKW-Hersteller geltend macht. Hier beurteilte des LG München I die Forderungsabtretungen an die Klägerin nach § 134 BGB i.V.m. §§ 3, 4 RDG als nichtig und wies die Klage mangels Aktivlegitimation der Klägerin ab. Es handele sich nicht mehr um eine zulässige Inkassotätigkeit; auch liege eine Interessenkollision und damit ein Verstoß gegen § 4 RDG vor.
  3. In der Folgezeit schloss sich zunächst eine Mehrzahl der Instanzgerichte der Auffassung des LG München I an.
  4. Klarstellung durch den BGH, Urt. v. 07.2021 – II ZR 84/20:
    „Der Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG umfasst Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Die gilt auch im Fall des sogenannten „Sammelklage-Inkasso“. (Amtlicher Leitsatz) Der BGH setzt sich in dieser Entscheidung sehr ausführlich insbesondere auch mit der Entscheidung des LG München I vom 07.02.2020 auseinander und weist jedes dort für die gegenteilige Auffassung angeführte Argument detailliert zurück. Auch ein Interessenkonflikt, der eine Nichtigkeit der Abtretung wegen Verstoßes gegen § 4 RDG rechtfertigen könnte, liege nicht vor. Schließlich stützt der BGH seine Argumentation auch verfassungsrechtlich ab.
  5. Der Rechtsprechung der Instanzgerichte zur generellen Unzulässigkeit des „Sammelklagen-Inkassos“ wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz dürfte somit der Boden entzogen sein. In Folge des BGH-Urteils vom 13.07.2021 ist dementsprechend auch eine Umkehr insbesondere der Rspr. der Oberlandesgerichte in Folge des BGH-Urteils vom 13.07.2021 ist bereits zu verzeichnen (vgl. z.B. OLG Celle, Beschl. v. 30.09.2021 – 16 U 421/21; OLG München, Urt. v. 18.07.2022 – 21 U 1200/22).
  6. Jedoch: Keine Anwendbarkeit dieser Grundsätze für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche?

So explizit das LG Stuttgart (z.B. Urt. v. 28.04.2022 – 30 O 17/18): Das sog. „Sammelklage-Inkasso“ überschreite die einem Inkassodienstleister gem. § 2 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG erteilten Befugnisse, wenn es kartellrechtliche Schadensersatzansprüche zum Gegenstand hat. Die Komplexität des Kartellrechts erfordere eine besondere Sachkunde, über die Inkassodienstleister trotz gesetzlichen Sachkundenachweises typischerweise nicht verfügten.

Das OLG Stuttgart hat über diese speziell auf das Kartellschadensersatzrecht bezogene Auffassung des Landgerichts (soweit ersichtlich) noch nicht entschieden.

Das LG Dortmund befürchtet demgegenüber, dass eine derartige Einschränkung der Verfolgung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche im Wege des Abtretungsmodells Kartellgeschädigten die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes entzieht. Mit Beschluss vom 13.03.2023 (8 O 7/20) hat es dem EuGH daher die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob eine Auslegung des RDG, die es einem Kartellgeschädigten verwehrt, seine Ansprüche an einen zugelassenen Rechtsdienstleister abzutreten, damit dieser sie gebündelt mit Ansprüchen anderer Geschädigter im Wege einer follow-on-Klage durchsetzt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.