Artikel aus dem Handelsblatt Journal Energiewirtschaft vom 28.08.2025
Die saarländische Stahlindustrie steht exemplarisch für die Herausforderungen und Chancen der deutschen Schwerindustrie im Allgemeinen und der Stahlbranche im Besonderen – und ist zugleich ein zentraler Motor für die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung einer gesamten Region. Mit der SHS – Stahl-Holding-Saar und deren Unternehmen Saarstahl und Dillinger als Herzstück bildet das Saarland das Zentrum des größten Dekarbonisierungsprojekts Europas und ist damit Vorreiter der grünen Transformation in der Stahlproduktion.
Systemrelevanz und regionale Bedeutung
Stahl ist weit mehr als ein reiner Werkstoff – er ist die industrielle Basis ganzer Wertschöpfungsketten und damit eine wesentliche Grundlage für den Erfolg anderer Branchen in Deutschland – vom Maschinenbau über die Automobilindustrie, von Energie und Infrastruktur bis hin zur Rüstungsindustrie. Ohne die heimische Stahlproduktion würden zentrale Wertschöpfungsketten in Deutschland und Europa nicht mehr funktionieren. Zwei Drittel der deutschen Exporte sind stahlintensiv, und die Hälfte des Produktionswertes im industriellen Mittelstand hängt direkt vom Stahl ab.
Strukturelle Wettbewerbsnachteile
Allerdings sieht sich die Stahlindustrie massiven strukturellen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Während Unternehmen wie Saarstahl und Dillinger zahlreiche Zusatzbelastungen beispielsweise aus CO₂-Kosten, bürokratischen oder regulatorischen Belastungen zu tragen haben, werden v.a. hochsubventionierte und meist klimaschädliche Stahlprodukte aus Fernost ungebremst in die EU importiert. Alle, die das befürworten oder gar unterstützen, zerstören das Fundament, auf dem das deutsche Wirtschaftsmodell gebaut ist.
Ein weiteres zentrales und zu lösendes Problem sind die hohen Strompreise in Deutschland. Für eine Industrie, die im globalen Wettbewerb steht, brauchen wir dauerhaft konkurrenzfähige Energiepreise – nicht nur teilweise und nicht mit gebundenen Mitteln. Die Transformation zur „grünen“ Stahlproduktion, insbesondere der Umstieg auf Direktreduktion und Elektrolichtbogenöfen, wird den Strombedarf der SHS-Gruppe immens steigern. Ohne wettbewerbsfähige Preise für Strom, Gas und Wasserstoff ist die Dekarbonisierung unserer Industrie in höchstem Maße gefährdet.
Dekarbonisierung: Das Power4Steel-Projekt
Mit unserem Dekarbonisierungsprojekt „Power4Steel“ investieren Saarstahl und Dillinger Milliardensummen in die Transformation. Ziel ist es, bis 2030 rund 70 Prozent der Produktion auf CO₂-reduzierten Stahl umzustellen und die Emissionen, um bis zu 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu senken. Die neue Direktreduktionsanlage kann zunächst mit Erdgas betrieben werden, bis ausreichend Wasserstoff zu vertretbaren Preisen verfügbar ist. Die Transformation umfasst zudem den Ausbau der Kreislaufwirtschaft, die Sicherung von Schrott als Rohstoff und die Modernisierung der Logistik. Dillinger und Saarstahl sind damit nicht nur Vorreiter in Sachen Klimaschutz, sondern auch zentrale Enabler für die Energie- und Mobilitätswende.
Politische Handlungsfelder und Forderungen
Angesichts der gezielt in den Markt gedrückten und hochsubventionierten Überkapazitäten v. a. aus Asien, der nicht wettbewerbsfähigen Energiekosten und parallel der notwendigen Umstellung auf CO₂-neutrale Produktionsverfahren sind klare politische Maßnahmen unabdingbar. Einige Beispiele:
- Ein zentraler Punkt ist der Schutz vor Dumpingimporten und die Schaffung fairer Handelsbedingungen. Die Safeguard-Regelungen müssen daher signifikant verschärft werden. Ein dauerhaftes Zollkontingent- System sowie die harte Durchsetzung von EU-Instrumenten gegen Billigimporte sind unverzichtbar. Zudem muss der CO₂-Grenzausgleich (CBAM) so gestaltet sein, dass er nachgelagerte Wertschöpfungsketten einbezieht und Umgehungstatbestände verhindert.
- Die Sicherstellung international wettbewerbsfähiger Energiepreise muss kurzfristig ein zentrales politisches Ziel sein. Für eine ebenso international wettbewerbsfähige Stahlproduktion ist ein Industriestrompreis von unter 5 ct/kwh notwendig. Gleichzeitig müssen die Netzentgelte für energieintensive Industrien um 90 Prozent reduziert werden.
- Wenn man Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen nutzen möchte, müssen die regulatorischen Vorgaben und die Wasserstoff-Farbenlehre pragmatisch geändert werden. Hier sind Anpassungen unumgänglich.
- Das Infrastrukturpaket der deutschen Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zum wirtschaftlichen Erfolg wird es allerdings nur, wenn die deutsche Wirtschaft und Industrie dazu entsprechende Beiträge leisten kann. Der Bund muss dafür die Voraussetzungen schaffen.
Neben den finanziellen und handelspolitischen Aspekten sind planbare und pragmatische Rahmenbedingungen von großer Bedeutung. Die Unternehmen benötigen langfristige politische Planungssicherheit, um Investitionen in die Transformation der Stahlindustrie abzusichern.
Das Saarland als Blaupause für die grüne Transformation
Wir stehen als saarländische Stahlindustrie vor einer Jahrhundertaufgabe, die nur mit einer exzellenten Mannschaft mit klarem Fokus, entschlossener politischer Unterstützung, wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen und einer klaren industriepolitischen Strategie gelingen kann. Bereits ab 2028/29 planen Saarstahl und Dillinger, jährlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2- reduzierten Stahl zu produzieren. Wer Klimaschutz, Energiewende und industrielle Souveränität ernst nimmt und industriepolitische Resilienz in und für Deutschland sichern möchte, muss die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation der Stahlindustrie schaffen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt!