Wenn es gut läuft im Unternehmen und gerade nichts Wichtigeres ansteht, dann können wir uns auch mal Gedanken über unsere Kultur machen. Seien wir ehrlich: So lief es doch jahrzehntelang in deutschen Konzernen. Ich hoffe, dass sich heute nicht mehr allzu viele in diesem Satz wiederfinden. Denn es gibt bemerkenswerte Zahlen, die die wachsende Bedeutung der Unternehmenskultur für den wirtschaftlichen Erfolg unterstreichen.
Neulich habe ich eine interessante Zahl gelesen: Zwei Drittel der internationalen Vorstandsvorsitzenden betrachten die Unternehmenskultur inzwischen als Haupttreiber für den Erfolg ihres Geschäfts. Das ergab eine Studie von Heidrick Consulting. Erst auf Platz zwei ordneten die CEOs ihre Strategie ein.
Das Ergebnis finde ich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen sah das Ganze vor zwei Jahren noch anders aus. Da fiel die Unternehmenskultur nur weniger als einem Drittel der Unternehmenschefinnen und -chefs als Haupttreiber ein. Die Perspektive an der Spitze von Unternehmen hat sich also fundamental geändert.
Bemerkenswert ist aber auch, dass Kultur und Strategie ganz offensichtlich noch nebeneinander betrachtet werden. Meine Meinung dazu ist, dass es keine Strategie gibt, die losgelöst von Kultur aufgeht. Kultur ist Strategie. Wir sollten die beiden Faktoren nicht getrennt voneinander betrachten.
Wir brauchen eine Vertrauenskultur
Die Unternehmenskultur beschreibt die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir Entscheidungen treffen, wie wir Führung definieren. Sie ist der Boden, in dem die Saat des wirtschaftlichen Erfolges aufgeht. Kultur ist, was Menschen jeden Tag erleben. Was sie motiviert, kreativ sein lässt und was sie verbindet. Neue Chancen zu erkennen und passende Antworten auf neuartige Fragestellungen zu finden, das machen wir gemeinsam im Team.
Wenn vielfältiges Know-how und individuelle Talente im Team zusammenspielen, entstehen bessere Ergebnisse als es bei Entscheidungen einzelner Personen möglich wäre. Wir brauchen deshalb eine Unternehmenskultur, oder genauer: eine Vertrauenskultur, die Eigenverantwortlichkeit und Engagement der Kolleginnen und Kollegen fördert, Transparenz schafft und die Zusammenarbeit stärkt. Nicht zuletzt ist eine starke Kultur ein entscheidender Faktor, um Kolleginnen und Kollegen zu halten und das Unternehmen für neue Talente attraktiv zu gestalten. Das wiederum zeigen unsere Zahlen.
Wettbewerbsfaktor im Kampf um Talente
Wir haben dieses Jahr im Rahmen der HDI Berufe-Studie wieder repräsentativ die Menschen in ganz Deutschland gefragt, ob sie in den vergangenen zwölf Monaten ihren Job gekündigt haben oder planen, dies demnächst zu tun. Und wir wollten die Gründe wissen, weshalb sie ihrem Arbeitgeber den Rücken kehren.
Die erste Nachricht: Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland will nicht kündigen – gut ein Drittel hat das jedoch bereits getan oder hat es vor. Und die zweite: Für 36 Prozent derjenigen, die ihren Job gekündigt haben oder dies bald tun wollen, spielen kulturelle Gründe eine Rolle. Sprich: Sie erhoffen sich durch einen Wechsel des Unternehmens den Sprung in ein für sie passenderes, besseres kulturelles Umfeld. Kultur ist also ein entscheidender Faktor im Wettbewerb um Talente. Und diese sind die Basis für jeden unternehmerischen Erfolg.
Nun ist das Erkennen nur ein Teil der Lösung. Der zweite ist das Handeln: Wie kommen wir dahin, dass Kultur ihre Kraft entfalten kann und tatsächlich wirtschaftlichen Erfolg bringt? Bestimmt nicht auf dem Weg, dass Unternehmen es dabei belassen, ihre kulturellen Leitlinien in Hochglanzbroschüren zu drucken, die Menschen aber in ihrem Alltag davon herzlich wenig spüren. Ganz im Gegenteil: Das zerstört sogar Vertrauen im Unternehmen.
Eine gute Unternehmenskultur entsteht nicht nebenher
Die Arbeit an der Kultur ist kein Projekt, das irgendwann einmal abgeschlossen wäre. Eine Unternehmenskultur entwickelt sich und lebt. Nur wenn wir uns regelmäßig mit ihr beschäftigen, kann kulturelle Entwicklung gelingen. Das Vorleben unserer kulturellen Werte geschieht in jeder Handlung und in jeder Begegnung. Und das beginnt mit den Führungskräften. Sie müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Für die Unternehmenskultur sind sie die ersten Botschafterinnen und Botschafter. Wir bei HDI haben deshalb sehr viel Energie in die systemische Verankerung unserer kulturellen Leitplanken bei den Führungskräften investiert: Transparenz, Engagement und Kollaboration auf Basis von Vertrauen.
Doch das ist nur der Anfang: Alle Kolleginnen und Kollegen machen unsere Kultur erst lebendig. Die kulturellen Werte bilden die Grundlage unseres täglichen Handelns und unserer gemeinsamen Entscheidungen. Alle sollen spüren, dass die Werte des Unternehmens zählen. Nur so entstehen vertrauensvolle Beziehungen im Unternehmen und dadurch enorm leistungsfähige Teams, die die Strategie zum Erfolg führen.
Mit dem Satz „Culture eats Strategy for Breakfast“ unterstrich der Management-Vordenker Peter Drucker einst die Bedeutung von Kultur im Vergleich zur Strategie. Frei übersetzt: Die Strategie kann auf dem Papier noch so gut sein – wenn die Kultur nicht stimmt, stellt sich trotzdem kein Erfolg ein. Die aktuellen Daten zeigen, dass Kultur in Unternehmen – auch in der Breite – inzwischen einen höheren Stellenwert genießt. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Denken wir sie konsequent weiter, dann bleiben wir nicht mehr bei der Frage stehen, wie sich Kultur nun zur Strategie verhält. Denn die Antwort darauf kann nur lauten: Kultur ist Strategie.
[Eine längere Fassung dieses Artikels erschien erstmals im September 2023 im Versicherungsmonitor.]
Über die Autorin
Caroline Schlienkamp ist Mitglied des Vorstands der Talanx AG. Als Arbeitsdirektorin und Sprecherin des Vorstands der HDI AG ist sie für das Ressort Group People & Culture zuständig.