Resilienz – Hinterm Horizont geht’s weiter

thomas fischer

Es bedarf wohl keiner langen Vorrede, um die Bedeutung unternehmerischer Resilienz im krisengeschüttelten 21. Jahrhundert hervorzuheben. Viele spannender ist die Frage: Wovon reden wir überhaupt? Es gibt keine Kennziffer und keinen Index, an dem ein Unternehmen seinen Resilienzgrad messen könnte. Noch dazu ist Resilienz eine schlummernde Kompetenz, die sich in ruhigen Zeiten überhaupt nicht zeigt und dadurch noch schwerer zu fassen ist. Erst wenn es ernst wird und Schocks das wirtschaftliche Umfeld erschüttern, stellt sich heraus, wie widerstandsfähig ein Unternehmen wirklich ist.

In der Krise geht es mitunter direkt um die finanzielle Gesundheit der Firma, um eine gute Eigenkapitalquote mit Schutzwirkung, um ausreichend Liquidität und sichere Finanzierungen. Aber mindestens ebenso wichtig ist, ob alle im Unternehmen an einem Strang ziehen, ob sie mit Angst in die Defensive oder doch mutig nach vorn blicken. Denn eine Krise ist qua Definition ein vorübergehender Zustand, und hinterm Horizont geht’s weiter. Eine kurze Phase des Chaos und der Selbstfindung gehört beim Krisenmanagement dazu, aber möglichst schnell sollte geordnet und mit „all hands on deck“ wieder an der Zukunft gearbeitet werden. Sonst droht das Phänomen „Operation gelungen, Patient tot“.

Was unternehmerische Resilienz in diesem Sinne ausmacht? Das habe ich Dutzende Führungskräfte aus Mittelstand und Konzernen gefragt, die in erkennbar guter Verfassung durch die Krisen der vergangenen Jahre gekommen sind. Und siehe da: Es hat sich eine klare Vorstellung davon herauskristallisiert, was ein resistentes Unternehmen auszeichnet:

Kultur mit „Wir-Gefühl“

Alles beginnt mit der Führung. CEOs und ihre Kolleg:innen in der Führungsriege haben – „die Resilienz in Person“ – Vorbildcharakter. Sie arbeiten teamorientiert und frei von Egoismen. Die Führungskräfte verfügen über einen kurzen, belastbaren Draht zur Belegschaft und vertrauen in deren Fähigkeiten und Eigenverantwortung. Kulturell wird der Zusammenhalt großgeschrieben und eine Mentalität des „Wir-schaffen-das“ gelebt. Die Organisation kann sofort das Mindset wechseln, wenn es eng wird, damit alle Mitarbeitenden verstehen, worauf es ankommt und was sie konkret zu tun haben. Es gilt, sich in die Grundfunktionen zurückfallen zu lassen, die Supplychain zu kontrollieren, die Bedürfnisse der Kunden wahrzunehmen und den Vertrieb zu sichern.

Resiliente Unternehmen takten zudem ihre Strategiearbeit schnell, überprüfen die Zukunftsoptionen immer wieder und stellen sich mit variantenreichen Szenarien auf gute wie schlechte Zeiten ein. Sie entwickeln dabei ein feines Gespür für die Auswirkungen negativer Entwicklungen auf sensible KPIs, können den Charakter einer Krise schnell bestimmen und managen die verschiedenen Effekte mit einem Frühwarnsystem. Sie haben Trigger-Punkte für konkrete Maßnahmen definiert und Reaktionspläne fertig in der Schublade. Das beschleunigt und präzisiert ihre Krisenmanagement.

Interessant ist, dass in der ewigen Diskussion um „Spezialisierung versus Diversifizierung“ das Pendel klar zu einer Seite ausgeschlagen ist. In den vergangenen Jahre haben sich Unternehmen, die im Portfolio und geografisch breiter aufgestellt sind, nach Einschätzung meiner Gesprächspartner:innen und meiner eigenen Erfahrungen deutlich besser behaupten können. Es ist das Prinzip der mehreren Standbeine. Schwächen in einzelnen Märkten konnten sie in anderen ebenso ausgleichen wie Schwächen in einzelnen Vertriebskanälen oder Produktbereichen.

Mit Verstand und Sinn

„Probleme lösen, Chancen offenhalten, das Momentum zurückgewinnen“ – so könnte man das Motto resilienter Unternehmen zusammenfassen. Das gilt auch für Investitionen. Sind Zukunftsthemen betroffen, wird versucht, diese so gut es geht weiterlaufen zu lassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Resilienz immer auch „unterwegs“ entsteht, im Prozess der Krisenreaktion. Wie in einer Katharsis werden die Unternehmen auf sich selbst und ihren Kern zurückgeworfen – und entdecken neue Handlungsoptionen und Geschäftsmodelle.

Nicht zuletzt agieren widerstandskräftige Unternehmen in ihren Strukturen und Systemen, in Führung und Kultur auf der Höhe der Zeit. Diversität gewinnt bei ihnen an Bedeutung. Nachhaltigkeit durch Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität wird mit Nachdruck in die Abläufe und Produktion implementiert. Sie optimieren ihre Prozesse bis zu dem Punkt, an dem sich traditionell funktional aufgestellte Organisationen zu strikt prozessorientierten Einheiten wandeln. Sie haben bereits einen IT-Backbone und einen Digitalisierungsgrad eingezogen und damit alle Parameter des Unternehmens unter Kontrolle – oder sie arbeiten daran.

Bei all dem folgen sie, durch dick und dünn, einem Leitstern, der die Werte und die Bedeutung des Unternehmens ausstrahlt. Ein intelligent gesetzter Purpose – den manche Unternehmen überhaupt nicht so nennen – schaltet die Belegschaft im Krisenfall praktisch auf Autopilot. Die Menschen im Unternehmen trauen sich mehr zu, haben weniger Abstimmungsbedarf und legen zielgerichtet und intuitiv richtig los. Nach dem Motto: „Entschuldigen kann ich mich später.“ Wer diese mentale Stärke in seinen Teams verankert hat, dem braucht vor der nächsten Krise nicht bange zu sein.

Über den Autor
Dr. Thomas M. Fischer ist Gründer und CEO der Allfoye Managementberatung, Mitglied im Aufsichtsrat der Bauer Gruppe, Chairman des Institute for Leadership & Transformation sowie Startup-Gründer, Coach und Investor. Seine Expertise liegt auf dem Gebiet von Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsstrategien, um damit das Rückgrat unserer Wirtschaft resilient für die Zukunft aufzustellen: den Mittelstand.