Methan vs. Wasserstoff – Klare Sache oder eine nicht geführte Diskussion?

Auslaufmodell Erdgas – Was kommt dann?

Spätestens mit der aktuellen Gaskrise wird das Thema Erdgas wohl zum Auslaufmodell – was aufgrund der fossilen Quellen angesichts immer ambitionierterer Klimaschutzziele eine ohnehin schon vorgezeichnete Entwicklung letztlich nur vorzieht.

SNG nicht zu vergessen

Dabei hat sich Wasserstoff in der öffentlichen Debatte als der langfristig primäre gasförmige Energieträger für die Zukunft etabliert und die Diskussionen betreffen vor allem die Abwägung, wo in der Zukunft Wasserstoff und wo Elektrifizierung zur erneuerbaren Energieversorgung genutzt werden soll (siehe hierzu z.B. die Diskussion zu Wasserstoff im Wärmesektor). Allerdings sind beide Optionen jeweils miterheblichem Umstellungsaufwand verbunden, da (bis auf gewisse Beimischungsquoten bei H2 zu Erdgas) sowohl Endanwendungen als auch Infrastruktur erst umgebaut, bzw. neu geschaffen werden müssen. Vor diesem Hintergrund verwundert allerdings, dass eine weitere Option nur noch eine deutlich untergeordnete Rolle zu spielen scheint: Die Umwandlung von Wasserstoff in Verbindung mit einer erneuerbaren Kohlenstoffquelle zu synthetischem Methan (SNG), das – ähnlich wie Biomethan – als direkter Ersatz für Erdgas dienen kann.

Zu der Zeit, als die Umsetzung der Sektorenkopplung bei vielen politischen Akteuren insbesondere als Planungen in Richtung einer „all-electric society“ interpretiert wurde, war es gerade auch SNG, das zunächst als Argument für einen Erhalt der Gasinfrastruktur angeführt wurde. Viele der zwischen 2017 und 2019 veröffentlichten Systemanalysen (siehe z.B. die Frontier Economics Studie für den FNB Gas oder die dena „Leitstudie Integrierte Energiewende“), haben – auch unter Verweis auf die Vorteile von SNG – dazu beigetragen, dass heute gasförmige Energieträger und die dafür notwendige Speicher- und Transportinfrastruktur als essenziell für eine zielführende Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien gelten. Insofern war SNG einer der Wegbereiter, hat aber in der öffentlichen Debatte über die Zeit gegenüber Wasserstoff deutlich an Popularität verloren.

Zeitgeist vs Fakten

Dabei sollen die potentiellen Vorteile einer direkten Nutzung von Wasserstoff (und auch Elektrifizierung) nicht in Abrede gestellt werden: Bei der direkten Wasserstoffnutzung ist kein weiterer Umwandlungsschritt und kein CO2e Kohlenstoffquelle erforderlich, und sie ermöglicht – in Form der Brennstoffzelle – sehr hohe Wirkungsgrade in der Endanwendung. Es verwundert nur, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Entscheidung hin zu einer möglichst weitreichend nativen H2 Nutzung schon gefallen zu sein scheint. Es gilt sicherzustellen, dass eine solche Entscheidung faktenbasiert erfolgt und nicht mediale Popularitätsaspekte einem effizienten Technologiemix im Weg stehen. 

Synthetisches Erdgas SNG würde ebenfalls auf der Etablierung einer Wasserstoffversorgung aufsetzen, aber gerade in den Verteilnetzen zu einer indirekten Nutzung führen: Wasserstoff würde entweder zentral oder dezentral mit einer erneuerbaren Kohlenstoffquelle verbunden, um synthetisches Methan zu gewinnen. Dieses könnte dann Erdgas 1:1 ersetzen, und zwar ohne Anpassungsnotwendigkeiten in Netzen und Endanwendungen.

Die Mischung macht‘s

Im Rahmen eines technologieneutralen Vorgehens wären Vor- und Nachteile aller Optionen zunächst abzuwägen, um dann – je nach Verteilung – einen optimalen Mix von Lösungen zu etablieren. Wie auch schon bei parallel geführten Elektrifzierung vs. Wasserstoff – Diskussionen droht dabei – wieder einmal – ein falsches Verständnis von Effizienz das Ergebnis zu leiten:

Unstrittig sind native Wasserstoffanwendungen energetisch effizienter, da sie eben keinen zusätzlichen, mit Verlusten verbundenen, Umwandlungsschritt benötigen. Aber physische Effizienz ist nur ein – und oft nicht einmal der ausschlaggebende – Parameter von vielen bei der Technologiewahl. Auch berücksichtigt werden müssen z.B. die notwendigen Anpassungen von Infrastruktur und Endanwendungen, die ebenfalls Kosten verursachen – und damit für die Frage der ökonomischen Effizienz relevant sind – und die vor allem den Hochlauf mit vielen technischen Vorbedingungen zeitlich beschränken.

Zentrale SNG Bereitstellung bietet Vorteile

Dabei verspricht eine zentrale Bereitstellung von SNG anstelle einer nativen Nutzung von Wasserstoff durchaus einige konkrete Vorteile:

  • Kosten – Letztlich ist es ein Rechenexempel, ob die Mehrkosten für eine Weiterverarbeitung von H2 zu SNG die vermiedenen Umstellungskosten der Netze und Endanwendungen aus Wasserstoffkompatibilität aufwiegen. Hierzu liefern jüngste Studien des DVGW und der FVV, die diese Frage mit einem Fokus auf gasmotorischen Anwendungen analysiert, eine interessante Perspektive: Szenarien, in denen Erdgas durch  100 % SNG ersetzt wurde, können geringere Gesamtkosten verursachen im Vergleich zu Szenarien mit einer Umstellung auf hohe Anteile direkter H2-Nutzung. (Allerdings basierten die Analysen auf Szenarien mit hohen gasmotorischen Anwendungen, sodass diese Ergebnisse für praxisrelevantere Szenarien konkretisiert werden müssten.)
  • Lokale Verfügbarkeit von CO2 – Auch bei einer zukünftig ambitionierten Verfolgung von Klimaschutzzielen verbleiben absehbar in der Fläche viele Produktionsprozesse, bei denen lokal hohe CO2 Emissionen auftreten – z.B. aus der Nutzung von Biomasse oder im Kontext von Anwendungen, die auch zukünftig prozessbedingt CO2 freisetzen werden, wie z.B. in der Zementindustrie. Diese CO2 Punktquellen sind dabei über ganz Deutschland verteilt, wie die Karte zeigt. Das bedeutet, mit Errichtung eines Wasserstoff – Ferngasnetzes werden in der Fläche an vielen Orten sowohl Wasserstoff als auch CO2 verfügbar sein, die über SNG vor Ort in den Gasnetzen unmittelbar nutzbar wären.

Ausgewählte CO2-Punktquellen in Deutschland (Quelle: Frontier auf Basis öffentlicher Daten)

  • Geschwindigkeit und Akzeptanz – Der mutmaßlich wichtigste Faktor ist, dass über SNG eine Umstellung von existierenden Gasanwendungen auf erneuerbare Energiequellen ohne jegliches Eingreifen mit Endanwendungen erfolgen kann. Gerade im Hinblick auf die ambitionierten Klimaschutzziele und die sich kumulierenden laufenden THG – Emissionen haben schnelle Lösungen einen großen Vorteil. Angesichts der Erfahrungen mit der laufenden L-H-Gasumstellung fällt es nicht schwer, sich auszumalen, wie zeit- und ressourcenaufwändig eine umfassende Umstellung aller Gas – Endanwendungen auf Wasserstoff wäre und welche Widerstände dies in der Bevölkerung auslösen würde. Eine sukzessive Umstellung von lokalen Teilnetzen auf SNG (wie es im Übrigen auch als eine Option des im Rahmen der H2 vor Ort Initiative von DVGW / VKU entwickelten Gasnetzgebietstransformationsplans skizziert wird) könnte aufgrund der direkten Substitution von Erdgas ohne Einbeziehung der Endanwendungen „im Hintergrund“ erfolgen..

Alles im Blick in turbulenten Zeiten

Es spricht also durchaus einiges dafür, dass SNG im Vergleich zu Wasserstoff je nach Anwendungsfall durchaus die bessere Option sein könnte – wobei dieser Artikel nicht als Plädoyer für oder wider einer Technologie verstanden werden soll. Im Gegenteil: Er soll dafür werben, in einer umfassenden Betrachtung stets alle Optionen im Blick zu behalten.

Je turbulenter die Zeiten, desto eher tendiert die öffentliche Debatte dazu, vermeintlich einfache Lösungen zu präferieren. Aber wäre der umgekehrte Weg nicht viel naheliegender? In Zeiten großer  Unsicherheiten sollten entsprechend viele  Optionen parallel weiterverfolgt werden. Umso mehr  verwundert es, dass es um das Thema SNG auffallend ruhig geworden ist.