Menschen und Interaktionen: Mit dem richtigen Betriebssystem zu mehr Kundenzentrierung

Die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln verändern sich derzeit schnell und umfassend. Um diesen Veränderungen gerecht zu werden, setzen Unternehmen auf Transformationsprogramme. Am Zauberwort „Agilität“ hängen dabei große Hoffnungen. Zugegeben: Der Begriff wurde in letzter Zeit etwas überstrapaziert. Umso wichtiger, ihn mit neuer Substanz zu füllen. Denn eine Transformation hin zu agilen Unternehmensstrukturen ist kein Selbstzweck, sondern soll echten Mehrwert für Kundinnen und Kunden, Mitarbeitende und das Unternehmen selbst schaffen. Im Zentrum stehen dabei Menschen und Interaktionen. Agilität kann im Unternehmenskontext in unterschiedlicher Tiefe gelebt und umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang müssen Unternehmen die Frage beantworten, was sie eigentlich mit einer Transformation zu einem agilen Betriebssystem erreichen wollen. Dabei sollte für den Anfang nicht zu kleinteilig gedacht werden. Um den Transformationsprozess und damit die Reise in die agile Zukunft zu starten, bedarf es im ersten Schritt einer Vision. Ohne diese große Vision hat der Prozess keinen roten Faden, der die Folgeschritte ordnet und verbindet. Ein konkretes Beispiel: Im Mittelpunkt der skalierten agilen Transformation von Signal Iduna steht das Ziel, sich als Unternehmen den wandelnden Kundenanforderungen dauerhaft besser anpassen zu können. Wir wollen gemeinsam mehr Lebensqualität für unsere Kundinnen und Kunden schaffen, das ist der Anspruch unseres Transformationsprogramms „Vision 2023“. In der nächsten Etappe unserer Reise haben wir definiert, wie wir diesem Anspruch mit unserer Unternehmensstruktur gerecht werden. Der Plan: Die von Silos geprägten Strukturen unseres Organisationsmodells sollen einer Ablauforganisation weichen, die die Kundin und den Kunden ins Zentrum unseres Wirkens stellt.

Das Ziel: Kundenzentrierung auf allen Ebenen
Mit der Transformation wird die Kundenzentrierung also zum Dreh- und Angelpunkt unternehmerischen Denken und Handelns. Wir haben daher zuerst die Arbeitsbereiche neu aufgestellt, von denen wir uns den größten positiven Effekt auf die Anpassungsfähigkeit und Umsetzungsgeschwindigkeit in Bezug auf die Qualität der Angebote für unsere Kundinnen und Kunden erwarteten. In den sogenannten „Delivery Units“, unserer Lieferorganisation, sollten cross-funktionale Teams neue Produkte und Lösungen vom Marketing bis zur Versicherungspolice entwickeln. Dafür haben wir zuerst auf sogenannte Journey-Teams gesetzt, die anhand von bestimmten Zielgruppen und Kundenanliegen optimale Kundenreisen erarbeiten sollten. Gleichzeitig sollten diese das erste Mal in agilen Strukturen arbeiten, um zu lernen und für die nächsten Schritte gut aufgestellt zu sein. So konnten wir als Organisation schnell unsere Ansätze für agiles Arbeiten mit der Ausrichtung auf die Kundenanliegen in der Praxis testen, diese iterativ anpassen und daraus lernen. Mit dem Wissen dieser Journey- Teams, in denen rund 200 Mitarbeitende unterwegs waren, konnten wir 2021 in einem ersten Schritt rund 1.000 Mitarbeitende in die agilen Strukturen der Delivery Units überführen. Derzeit befinden wir uns mitten in der nächsten Phase unserer Transformation: der Veränderung der Serviceeinheiten. War der Service bisher stark von der Trennung zwischen Schrift und Telefonie sowie von verschiedenen Fachlichkeiten geprägt, hält auch hier das Kundenbedürfnis als oberste Maxime Einzug und verändert die Art zu arbeiten. Unsere Serviceeinheiten, die „Customer Loyalty- Teams“, folgen dabei dem Prinzip der End-to-End- Verantwortung: Teammitglieder begleiten die Kundenreise in kleinen, agilen Teams vom Anfang bis zum Fallabschluss. Das verbessert das Serviceerlebnis der Kundinnen und Kunden: sie fühlen sich besser verstanden und ihre Anliegen werden schneller bearbeitet, denn die Ansprechpersonen wechseln weniger häufig. Die Antwort auf die Frage, was agiles Arbeiten in den Serviceeinheiten bedeutet, ist dabei eine andere als in der Lieferorganisation. Die tägliche Begleitung von Kundenanliegen erfordert eine stärkere Selbstorganisation der Teams und andere Rhythmen und Werkzeuge in der gemeinsamen Arbeit. Das bedeutet auch, dass Teams in ihren Kenntnissen und Fähigkeiten unterschiedlich aufgestellt sind, wie es die jeweilige Aufgabe erfordert. Hier wird deutlich, dass Agilität eben kein Selbstzweck sein darf, wenn sie tatsächlich beispielsweise zu höheren Fallabschlussquoten und reduzierten Wartezeiten im Kundenkontakt führen soll. In der nun kommenden Phase beschäftigen wir uns damit, wie die anderen Teile der Organisation – die Centers of Excellence und die Operations-Einheiten – mit in die Transformation eintreten können. Auch hier wird Agilität ein Teil der Gleichung sein; aber in einer der Aufgabe angemessenen und sinnvollen Art und Weise. Schlussendlich wollen wir ein Gesamtunternehmen kreieren, das zwar grundsätzlich ein gemeinsames Verständnis der agilen Arbeitsweise hat – im täglichen Tun jedoch, je nach Organisationsteil, sehr unterschiedliche Ausprägungen von Agilität lebt.

Die Struktur prägt die Kultur
Damit eine Transformation gelingt, ist unserer Erfahrung nach noch ein weiterer Faktor entscheidend: die Kultur, das Miteinander. Wir haben es durch unseren Transformationsansatz geschafft, dass unsere Organisation mittlerweile einen anderen, einen agilen Rhythmus hat. Dafür haben wir die organisatorische Anpassung von Strukturen und Arbeitsmodellen priorisiert, um Räume für die Entwicklung neuer Perspektiven und Verhaltensweisen zu schaffen. Die Organisationsstruktur bietet den Rahmen, um neue Verhaltensweisen täglich zu leben und damit auch zu festigen. Die Kultur folgt bei uns der Struktur – andersherum gedacht: Wer versucht, die Kultur des Unternehmens zu ändern, ohne die Struktur anzupassen, wird sich nicht erfolgreich transformieren. Die neuen Strukturen setzen auf mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit für alle Mitarbeitenden, um sich ganz darauf zu fokussieren, ein besseren Kundenerlebnis zu schaffen. Die Teams erhalten klare Ziele, bestimmen aber eigenständig den Weg, wie sie diese erreichen wollen. Sie nehmen auch darauf Einfluss, an welchen OKR sie sich messen wollen. Hinzu kommen Quarterly und Annual Business Reviews (QBR und ABR), in denen Mitarbeitende unterschiedlicher Bereiche gemeinsam Fortschritte reflektieren und weitere Ziele und Maßnahmen diskutieren und erarbeiten. In diesem Kontext erleben Mitarbeitende, dass sie als Persönlichkeiten und mit ihrer Arbeit einen wirksamen Beitrag zur Gestaltung der Organisation und zum Kundenerlebnis insgesamt schaffen. Diese neue Eigenverantwortung anzunehmen und zielführend einzusetzen, ist ein facettenreicher Prozess. Auf diesem Weg begleiten wir unsere Mitarbeitenden mit gezielten Weiterbildungen und unterstützen die selbstständige Teamarbeit mit regelmäßigen Feedbackschleifen, mit Scrum Mastern und Agile Coaches. In diesem Prozess zeigt sich, wie belastbar der eingangs erwähnte rote Faden ist. Eine tragfähige Vision sollte den Mitarbeitenden Orientierung bieten, welchen Beitrag sie zum Ganzen leisten. Fest steht: Eine so umfassende Veränderung einer Organisation braucht Zeit. Und ein solcher Wandel hat keinen vorgegebenen Endpunkt. Ein ‚fertig‘ transformiertes Unternehmen existiert in diesem Sinne nicht. Transformation ist vielmehr ein Modus, der das ständige Reflektieren und Anpassen des eigenen Betriebssystems ermöglicht. Auf diesem Weg sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Bis zum Jahr 2025 sollen alle Einheiten entlang der Kundenreise in Gänze neu aufgestellt sein. Damit wäre das erste Plateau des Transformationsvorhabens von Signal Iduna erreicht. Doch die Ambitionen reichen weiter: Wir wollen uns – mit der eigenen Vision vor Augen und in einem sinnvollen Rahmen – stetig weiterentwickeln und zu einem lernenden Unternehmen werden, das sich den zukünftigen Kundenbedürfnissen perfekt anpassen kann. Dazu zählt auch, Mitarbeitende als Teil dieser lernenden Organisation zu befähigen, sich kontinuierlich neues Wissen und neue Fähigkeiten anzueignen, um der Komplexität der zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Denn Wandel ist für uns ein fortwährender Prozess. ■

Eine Transformation hin zu agilen Unternehmensstrukturen ist kein Selbstzweck, sondern soll echten Mehrwert für Kundinnen und Kunden, Mitarbeitende und das Unternehmen selbst schaffen.

Timm Krieger
Timm Krieger CTO, SIGNAL IDUNA Gruppe

Titelbild: Getty

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