Mehr Smartness im Stromnetz – mit emanzipierten Verbrauchern

Marion Nöldgen

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Damit die Energiewende gelingt, müssen wir stärker darüber nachdenken, wie wir Energie intelligenter nutzen können. Dabei geht es nicht nur darum, wie viel wir verbrauchen, sondern auch darum, wann wir verbrauchen. Mit steigender Elektrifizierung spielt dies vor allem im Strommarkt eine entscheidende Rolle. Privathaushalte werden bisher wenig berücksichtigt. Höchste Zeit, dass sich das ändert – mit Hilfe von Digitalisierung.

Bis 2050 will Europa klimaneutral werden. Das klappt nur, wenn wir die Mobilitäts- und Wärmewende vorantreiben, also den Umstieg von Verbrennern auf Elektroautos und den Wechsel von Gas- oder Ölheizungen auf beispielsweise Wärmepumpen. Für die Energiewirtschaft bedeutet das unter anderem, Strom nur noch aus regenerativen Quellen zu gewinnen.

Doch die steigende Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien, gepaart mit einer steigenden Anzahl intensiver Großverbraucher, haben erhebliche Auswirkungen auf das Stromnetz. Weil das Angebot an Strom aus Sonne und Wind schwankt und sich schwer voraussagen lässt, müssen wir unser Verbrauchsverhalten stärker anpassen und lernen, wie wir die Volatilität des Stromangebots zu unserem Vorteil nutzen können. In Zukunft wird es daher immer wichtiger, wie viel Strom wir wann verbrauchen.

„Wie hängen diese Schwankungen denn mit meinem Stromverbrauch zusammen?”, mögen sich Verbraucher: innen fragen. Um das zu beantworten, lohnt sich ein Blick an die Strombörse, wo unser Strom abhängig von Angebot und Nachfrage gehandelt wird. Es zeigt sich, dass Strom nicht immer gleich viel kostet, sondern der Preis stündlich schwankt. Je mehr Strom im Netz ist, desto grüner ist der Strommix (in der Regel) und desto günstiger ist der Preis.

Schwankende Strompreise nutzen

Von den Schwankungen an der Strombörse können auch private Haushalte profitieren. Dafür braucht es jedoch ein entsprechendes Tarifmodell, das die stündlich schwankenden Preise auch an Nutzer:innen weitergibt. Bisher gibt es nur wenige Anbieter von dynamischen Stromtarifen, also solchen, die sich am Börsenstrompreis orientieren. Obwohl Stromanbieter seit 2022 verpflichtet sind, solche Tarife ab einer Kundenzahl von 100.000 anzubieten. Im aktuellen Gesetzesentwurf zum „Neustart der Digitalisierung der Energiewende” wird diese Grenze sogar auf 50.000 herabgesetzt. Auch die Bundesregierung hat also erkannt, dass dynamische Tarife einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten.

Sich an die Preissignale der Strombörse anzupassen, klingt für viele im ersten Moment abschreckend. Doch Stromverbräuche an den Schwankungen der Stromproduktion auszurichten, hat einen entscheidenden Vorteil: Wer Strom verbraucht, wenn das Angebot groß ist, profitiert von günstigeren Preisen.

Dazu braucht es vor allem eins: Transparenz. Nur wer weiß, wann die Preise günstig sind, kann variablen Verbrauch auch in diese Zeiten verschieben und sich entsprechend netzdienlich, also im Sinne des Stromnetzes, verhalten. Der aktuelle Strompreis kann für Verbraucher: innen einfach in einer App visualisiert werden.

Natürlich macht es keinen großen Unterschied, den Stromverbrauch der Kaffeemaschine am Börsenstrompreis auszurichten. Aber die Frage, ob etwa das E-Auto direkt nach Feierabend geladen werden sollte, wenn gerade viele Menschen zu Hause einkehren und alle gleichzeitig Strom verbrauchen, hat da schon mehr Gewicht. Da wird es bedeutender, das Stromnetz nicht noch mehr zu strapazieren, sondern nach Möglichkeit intensive Stromverbräuche in andere Zeiten zu verlagern. Per intelligenter Ladefunktion am E-Auto oder der Wallbox könnte man zum Beispiel automatisiert nachts laden, wenn der Strom günstig und grün ist. Alles ohne Komfortverlust, Hauptsache, das E-Auto ist am nächsten Morgen wieder voll geladen.

Verbraucher:innen sind weiter als Deutschlands Smart Meter-Rollout

Höchste Zeit also für das Voranbringen der Digitalisierung des deutschen Stromnetzes mit smarten Zählern – in der Fachsprache auch intelligente Messsysteme oder Smart Meter genannt. Sie legen den Grundstein dafür, stundenvariable Tarife flächendeckend zu ermöglichen. Dank dem geplanten „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende” werden nun endlich Maßnahmen umgesetzt, die zu einer Beschleunigung des Smart Meter-Rollouts beitragen. Denn die intelligenten Zähler geben Aufschluss darüber, in welchem Zeitraum wie viel Strom verbraucht wurde. Mit den neu gewonnenen Daten über das eigene Verbrauchsverhalten, dynamischen Tarifen sowie Einblicken in die Preisentwicklung erhalten Verbraucher:innen endlich die notwendigen finanziellen Anreize, ihren Verbrauch am Stromangebot auszurichten.

In vielen anderen europäischen Ländern ist das bereits seit vielen Jahren üblich. Ein Vorbild könnte Norwegen sein: Das Land hat seinen Smart Meter-Rollout seit 2017 konsequent vorangetrieben und fast vollständig auf E-Mobilität umgestellt. 2022 waren 75 Prozent der in Norwegen neu zugelassenen Pkw E-Autos. Dynamische Stromtarife haben sich in dem skandinavischen Land bereits in der Breite durchgesetzt. Wie unsere eigenen Erfahrungswerte zeigen, begrüßen es Verbraucher:innen, wenn sie informierte Entscheidungen treffen können, insbesondere, wenn sie damit sogar einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten. Wie wir anhand des Nutzungsverhalten in der Tibber App beurteilen können, liefert die Möglichkeit zur smarten Steuerung des gesamten Hauses einen besonderen Anreiz, die eigene Energienutzung zu optimieren und an der Entwicklung des Börsenstrompreises auszurichten.

Tatsächlich sind Verbraucher:innen auch hierzulande für diese neue Stromwelt bereit: Laut einer Bitkom-Umfrage vom April 2022 haben 69 Prozent der Befragten Interesse an einem variablen Stromtarif, bei dem sich der Preis an der Dynamik von Angebot und Nachfrage orientiert. Eine Umfrage aus Oktober 2022 ergab zudem, dass sich ganze 78 Prozent der Befragten einen intelligenten Stromzähler wünschen.

Smarter Energieverbrauch hilft, teure Lastspitzen zu vermeiden

Wenn wir von unserer Gesellschaft erwarten, die Energiewende mitzutragen, müssen die Menschen Instrumente an die Hand bekommen, mit denen sie eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können. Entscheidungen, die nicht nur ihnen, sondern auch dem Netz und der Umwelt als Ganzes helfen. Diese Instrumente sind, zusammen mit dem nötigen Wissen über den eigenen Stromverbrauch, nötig, um von reinen Stromkonsument:innen zu smarten Verbraucher:innen zu werden.

Wenn genug Haushalte mitmachen, helfen sie sich auf diese Weise sogar gegenseitig. Teurer wird der Strom für alle nämlich dann, wenn das Angebot an erneuerbarer Energie und der Grundlast aus Kohle- und Kernenergie nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. In diesen sogenannten Lastspitzen müssen oft die besonders teuren Gaskraftwerke hochgefahren werden – schlecht nicht nur für das Klima, sondern auch für alle Verbraucher:innen, denn sie treiben den Preis. Gelingt es uns hingegen als Gesellschaft, Strom smarter zu verbrauchen, also dann, wenn der Energiemix grüner und folglich günstiger ist, werden die Lastspitzen seltener werden.

Von einem smarteren Netz und Verbrauch profitieren daher alle: Die Kund:innen sparen dadurch, dass sie große Verbräuche in günstige Stunden legen. Vor allem aber werden sie in die Lage versetzt, einen aktiven Beitrag zum Gelingen der Energiewende zu leisten: für ein stabiles Netz, den eigenen Geldbeutel und den Klimaschutz.

In Zukunft wird es immer wichtiger, wie viel Strom wir wann verbrauchen.

Marion NöldgenGeschäftsführerin, Tibber Deutschland
Das aktuelle Handelsblatt Journal Energiewirtschaft
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
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