Künstliche Intelligenz – Transformation von Recht und Rechtsberatung

Dass künstliche Intelligenz das Recht, die Rechtsberatung und ihre Berufe grundlegend verändern wird, steht außer Zweifel. Aller Voraussicht nach werden die Änderungen dabei deutlich weiter reichen, als wir uns dies derzeit vorstellen. Wie schwierig und facettenreich diese Aufgabe beispielsweise für den Gesetzgeber tatsächlich ist, soll anhand einiger besonders aktueller und intensiv diskutierter Beispiele erläutert werden.

Ein erstes Beispiel kann hierbei dem Bereich des geistigen Eigentums entnommen werden. Wem soll das Recht an einer Erfindung zustehen, die im Wesentlichen von künstlicher Intelligenz konzipiert und formuliert worden ist? Wem soll das Recht an einem Bild oder Video-Sequenz zustehen, die das Ergebnis eines allgemein formulierten Prompts darstellt? Und: Machen diese Fragen überhaupt noch Sinn, da ja die entsprechenden Rechte (wie z.B. das Patent- und Urheberrecht für die Beispiele von soeben) überhaupt nur geschaffen wurden, um einen menschlichen Beitrag zu inzentiveren, der langfristig der Gesellschaft insgesamt zu Gute kommen soll?

Völlig anders gelagerte, aber nicht minder schwierige Fragen stellen sich im Bereich des Haftungsrechtes und damit auch im Risikomanagement: Muss sich ein Roboter an den gleichen Haftungsmaßstäben messen lassen wie ein Mensch? Kann für ihn also erklärt werden, dass er auf Grund einer Art Notstands oder moralischen Dilemmas einen Schaden nicht zu „verschulden“ habe?

Wiederum andere, aber nicht minder schwere Fragen stellen sich z.B. auch im Arbeitsrecht: Wie soll eigentlich eine diskriminierungs-freie und faire Beurteilung bei Einstellung, Kündigung und Beurteilung sichergestellt werden– Eingedenk des Umstandes, dass kein Datensatz und kein Training in der Lage ist, unter jedem Blickwinkel diskriminierungsfreie und faire Entscheidungen zu treffen?

Was die Arbeit des Gesetzgebers in diesem Bereich noch weitergehend ganz erheblich erschwert, ist der Umstand, dass Antworten idealer Weise rasch und über Landes- und EU-Grenzen hinweg gefunden werden sollten. Sowohl die zeitliche also auch die geographische Komponente bringen dabei ganz eigene Herausforderungen für den Gesetzgeber mit sich – wie die Bemühungen, relevante KI-Fragen auf EU-Ebene zu regeln, nur allzu deutlich zeigen. Mit jedem neuen Entwurf des geplanten AI-Act der EU (dem Regelungswerk, mit dem die Gefahren von KI-Systemen für die gesamte EU adressiert werden sollen) müssen die dann jeweils neuesten Erkenntnisse über die fortschreitende technologische Entwicklung und deren vermeintliche Risiken eingearbeitet werden. So mussten beispielsweise in diesem Frühjahr eilig neue Formulierungen erdacht werden, um die vermeintlichen Risiken von generativer KI und anderen Allzweck-KI-Systemen (Foundation Models) in den Griff zu bekommen. Bereits jetzt kann prognostiziert werden, dass wenn der AI-Act demnächst in Kraft tritt, eine Reihe dann neuer KI-Aspekte keine hinreichende Berücksichtigung gefunden haben werden. Was die Probleme angeht, die sich aus der begrenzten geographischen Reichweite von deutschen oder EU Gesetzen ergeben, mag hier als (willkürlich gewähltes) Beispiel dienen, dass das weitgehende Verbot von biometisch-unterstützter Überwachung öffentlicher Plätze zwar Erstrebenswert für die von der Überwachung andernfalls betroffenen Personen sein mag, hiermit aber unweigerlich die Konsequenz einhergeht, dass Länder, in denen dies großzügiger gehandhabt wird, über eine erheblich größeres Datenaufkommen verfügen, dass dann wiederum zur Entwicklung besserer Systeme genutzt und für weitere Innovationen eingesetzt werden kann.

Völlig anders sehen nun wiederum die KI-bezogenen Fragen aus, mit denen sich Richter und Gerichte bei ihrer Rechtsfindung in Zukunft auseinandersetzen werden müssen. Inwieweit darf sich ein Gericht auf die Vorbereitung und gar die Formulierung eines Urteils oder einzelne seiner Teile durch Künstliche Sprachmodelle verlassen? Inwieweit macht eine Urteilsfindung im derzeitigen Rahmen überhaupt noch Sinn, wenn doch die Parteien eines Rechtsstreits ihre Eingaben im Wesentlichen durch künstliche Intelligenz generieren lassen werden?

Aller Voraussicht nach werden diese und weitere Änderungen im Bereich der Rechtsprechung noch etwas auf sich warten lassen. Wesentlich schneller wird die KI-getriebene Transformation demgegenüber im Bereich der Rechtsberatung voranschreiten, und zwar in Anwaltskanzleien ebenso wie in den Rechtsabteilungen der Unternehmen. Begonnen hat dieser Wandel schon seit längerem – durch die Errungenschaften von LegalTech, mittels derer eine Reihe von rechtlichen Beratungsleistungen erleichtert, verbessert und beschleunigt werden. Typische Errungenschaften von LegalTech in diesem, bisherigen Sinne beziehen sich dabei beispielsweise auf die Verarbeitung von großen, juristisch relevanten Datenmengen, auf die es beispielsweise beim Kauf eines Unternehmens oder der Führung großer bzw. massenhafter Prozesse ankommen mag. Auch sind im Bereich des traditionellen LegalTech bereits mehr oder weniger kreative Leistungen angelegt, wie beispielsweise die automatisierte Erstellung von Formularen oder gar Verträgen. Trotz all dieser und vieler weiterer Errungenschaften von LegalTech in diesem Sinne besteht kein Zweifel, dass gerade auch in diesem Bereich generative künstliche Intelligenz, insbesondere in Form von large language models, die Spielregeln grundlegend ändert. Mit der Anwendung generativer künstlicher Intelligenz nimmt die digitale Transformation in allen rechtsberatenden Berufen und in all ihren Organisationen (wie Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien) eine völlig andere Beschleunigung auf und ihre Qualität erreicht ein völlig anderes Niveau. Darin bestehen Chancen, aber auch Risiken, die Anwaltskanzleien aber auch Unternehmen adressieren müssen.

Nachrichten, wie diejenige der Stanford Law School, dass GPT-4 im April dieses Jahres das US-amerikanische Anwaltsexamen mit Leichtigkeit bestanden hat, mag dabei als eher beiläufige Illustration des Umstandes dienen, dass Künstliche Intelligenz den Bereich der Sachbearbeitung und juristischer Hilfstätigkeit verlassen hat und im Bereich der individuellen Anwaltsarbeit angekommen ist. Welche Folgen werden sich hieraus ergeben? Was heißt das für die einzelnen Bereiche der juristischen Arbeit? Welche Vorteile hieraus werden Kanzleien und Unternehmen nutzen, welche Möglichkeiten werden wegen möglicher Risiken abgelehnt?

Der naheliegendste Bereich, der schon auf rasche Sicht zu einem guten Stück von künstlicher Intelligenz übernommen werden wird, ist die Beantwortung von rechtlichen Fragen zu jedwedem Thema, wie z.B. nach dem Erbteil bei einer bestimmten Familienkonstellation, den Auswirkungen des Mindestlohns für ein bestimmtes Arbeitsverhältnis, den für eine Firmengründung zu ergreifenden Schritten oder den Einfuhrbestimmungen für ein konkretes Gefahrenprodukt. Diese Funktionen werden typischer Weise unter dem Stichwort legal chatbot zusammengefasst. Wie die jüngsten Entwicklungen dabei nahelegen, werden diese legal chatbots in der Lage sein, Dialoge zu führen und Informationen aus Fall-spezifischen Dokumenten für ihre Antworten berücksichtigen können. Schwierigkeiten wird hier vor allem die Frage bereiten, wie in diesem Zusammenhang mit vertraulichen Informationen umzugehen sein wird, mit welchen Informationen die KI zur Verbesserung ihrer Antworten „trainiert“ werden, kann und wie gut diese Funktionen außerhalb des englischen Sprachraums auch für deutsche und andere Rechtssysteme angepasst werden können. Wenngleich hier im Detail noch an einer Reihe von Fragen gearbeitet werden muss, steht die relativ kurzfristige Verfügbarkeit solcher Funktionen außer Zweifel.

Ebenfalls von erheblicher Relevanz ist künstliche Intelligenz für den gesamten Bereich der juristischen Verträge – von der Erstellung neuer Verträge, über die Analyse bestehender Verträge bis hin zu deren umfassender Verwaltung, einschließlich des hiermit einhergehenden Execution- und Risk-Managements. In dem letzt-genannten Bereich (Vertragsverwaltung) hat LegalTech schon bisher sehr gute Lösungen vorgehalten. Was allerdings die Möglichkeit angeht, genuin neue, individuelle Verträge zu entwerfen, hat sich die Situation, durch die durch large language models geschaffenen Möglichkeiten noch einmal ganz erheblich verbessert. Wohingegen sich die automatisierte Vertragserstellung bisher eher auf Standartverträge bezog, lassen sich nunmehr sehr individuelle, auf die jeweilige Situation zugeschnittene Texte erstellen. Auch hier wiederum wird eine der Kernfragen lauten, inwieweit die Modelle zur Vertragserstellung mit den Daten eines oder mehrerer Unternehmen verbunden werden können, auf deren Kenntnis es für den Vertragsinhalt besonders ankommt.

Im Bereich der Prozessführung vermögen bisherige LegalTech Lösungen bereits jetzt große Daten- bzw. Dokumentenmengen zu Zwecken der Tatsachenklärung und Beweisverwertung auszuwerten und auf bestimmte Inhalte hin filtern. Mit den Mitteln generativer Künstlicher Intelligenz werden diese Möglichkeiten noch einmal deutlich erweitert. Dies gilt vor allem für den Bereich der Erstellung und Analyse von Schriftsätzen bzw. allen vorgelagerten Tätigkeiten wie zum Beispiel (1) der systematische Analyse aller relevanten Rechtsquellen, von Verordnungen über Urteile bis hin zu Kommentaren von Gesetzgebern und aus der Wissenschaft, (2) der Erstellung von Argumentationsmustern auf Grundlage der hierfür nötigen unternehmensinternen ebenso wie allgemein Verfügbaren Informationen und (3) der Prüfung der eigenen ebenso wie der gegnerischen Schriftsätze auf deren Plausibilität und Argumentationsstärke hin. Auch in diesem Bereich liegt die derzeit größte Herausforderung in der Dienstbarmachung und der Verknüpfung aller relevanten Daten und Datenbanken.

Mit etwas Abstand lässt sich sagen, dass mit den Möglichkeiten der generativen künstlichen Intelligenz jede Rechtsabteilung und jede Kanzlei unausweichlich mit der Frage konfrontiert ist, wie sie deren Vorteile in einer Art und Weise dienstbar machen kann, die so sinnhaft, nutzbringend und effektiv wie möglich ist. Dies ist gerade deshalb nicht ganz einfach, weil – für Juristen nicht untypisch – oftmals eine gewisse Scheu besteht, sich mit derlei Themen zu beschäftigen, die Themen ohnehin schwierig sind und dann auch noch einer ausgesprochen schnellen Entwicklung unterliegen. Jedenfalls in größeren Organisationen kann dies nur erfolgreich funktionieren, wenn man diese Herausforderung als ein „change management“ Projekt versteht, bei dem es ganz zentral darauf ankommt, sich auf die folgenden Aspekte zu konzentrieren: (1) eine klare, managementseitige Kommunikation, dass digitale Transformation im Fokus des Unternehmen, der Abteilung bzw. der Kanzlei steht, (2) die Schaffung der technischen und organisatorischen Infrastruktur mit entsprechend aufzubauenden Teams und zu erweiternder IT Systeme, (3) ein auf  AI & Data Governance fokussierte Firmenpolitik und vor allem: (4) die Schaffung einer Kultur des ständigen Lernens und der Begeisterung für Themen der digitalen Transformation.

Die Herausforderungen, denen das Recht und deren Berater in Zeiten digitaler Transformation ausgesetzt sind, müssen auf jeden Fall angegangen werden. Die Chancen hieraus können – auch um wettbewerbsfähig zu blieben, nicht ignoriert werden. Gleichzeitig muss jedoch eine Balance gefunden werden, um keine unnötigen Risken für Unternehmen und Kanzleien zu generieren.