Kluge Regulierung unterstützt die nachhaltige Transformation der Wirtschaft

Jede Analyse der wirtschaftlichen Situation beginnt dieser Tage zwangsläufig mit der Feststellung, dass die Agenda von schlechten Nachrichten dominiert wird. Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die anhaltend hohe Inflation fordern Politik und Wirtschaft jeden Tag aufs Neue. Da ist es umso wichtiger, dass wir jetzt bei den großen Zukunftsaufgaben vorankommen. Um nur einige zu nennen: der Kampf gegen den Klimawandel, die Bewahrung der natürlichen Ressourcen, den Standort Europa fit für die Zukunft machen, die nachhaltige Transformation der Wirtschaft.

Dazu bedarf es Leitplanken von der Politik, denn richtige Regulierung unterstützt diese Ziele. Umgekehrt gilt aber auch: Eine gut gemeinte, aber schlecht gemachte Regulierung kann sich dabei zum Hemmschuh für Fortschritt entwickeln.

Regulatorik – Enabler oder Hemmschuh?
Lassen Sie mich meine These anhand einiger praktischer Beispiele aus dem Versicherungssektor erläutern: Um die nachhaltige Transformation der Wirtschaft mit Investitionen zu unterstützen, sind für Versicherungsunternehmen zwei Dinge notwendig.

Erstens brauchen sie Transparenz und ein einheitliches Verständnis davon, welche Investitionen nachhaltig sind. Das Fundament dafür hat die Europäische Union (EU) mit ihrer Taxonomieverordnung geschaffen. Es gibt aber noch viel zu tun. Im Moment gilt die Taxonomie nur für 67 ausgewählte Wirtschaftsaktivitäten. Das muss mehr werden. Und sie sollte perspektivisch auch auf Staaten angewendet werden, da wir Versicherer viele Staatsanleihen in den Portfolios haben.

Zweitens brauchen Versicherer vergleichbare und hochwertige Daten zur Taxonomie -Konformität der Kapitalanlagen. Dafür soll ab 2025 die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sorgen. Auch Versicherer werden nach CSRD berichten. Die besten Berichte nützen aber nichts, wenn sie nicht gelesen werden. Daher gilt auch hier: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung muss intelligent designt werden. An einen kleinen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sollten nicht die gleichen Berichtsanforderungen gestellt werden wie an einen börsennotierten Konzern.

Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Bereich der Solvenzregulierung. Das sind Vorschriften, mit denen sichergestellt werden soll, dass Versicherer jederzeit ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen können. Man muss sich dazu klarmachen: Zum Jahresende 2021 befanden wir uns noch in einem ausgesprochenen Niedrigzinsumfeld. Die Inflation war zwar bereits zu spüren, sie war aber noch lange nicht auf dem heutigen Niveau. Jetzt, gut zehn Monate später und nach mehreren Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, leben wir in einer veränderten Welt. Für unser Aufsichtssystem Solvency II heißt das: Es muss mit dem volatilen Umfeld zurechtkommen. Zur besseren Veranschaulichung breche ich es noch weiter herunter, auf die Extrapolation eines langfristigen Gleichgewichtszinses über 30 oder 40 Jahre aus einem aktuellen Zinssatz heraus. Dieses Verfahren ist in der Niedrigzinsphase in die Kritik geraten, wegen des angeblich zu großen Abstands zwischen hergeleitetem Zins und den wenigen verfügbaren Marktdaten. Nun sehen wir, dass dieser Abstand wieder sehr klein geworden ist. Die Annahme eines langfristigen Gleichgewichtszinses war plausibel. Es zeigt sich: Regulierung muss manchmal einen längeren Atem haben und darf sich nicht (nur) an kurzfristigen Einflüssen orientieren.

Beste Absichten führen nicht automatisch zum besten Ergebnis
Gute Regulierung schafft Sicherheit und Vertrauen. Schlechte Regulierung kann Innovationen ausbremsen. Darum geht es kurz zusammen gefasst bei der aktuellen Debatte um eine europäische Regulierung der künstlichen Intelligenz, meinem nächsten Beispiel. Die EU arbeitet gegenwärtig am weltweit ersten Regulierungsrahmen für künstliche Intelligenz, dem Artificial Intelligence Act (AI-Act). Dieser sollte zur Blaupause für einen weltweiten Standard werden, damit Europa im globalen Wettlauf nicht weiter zurückfällt. Dazu brauchen wir einen Rahmen, der innovative Entwicklungsprozesse und Freiräume für deren Erprobung bestärkt. Er sollte auch regulatorische Verpflichtungen verhältnismäßig und kohärent zu bestehenden Vorschriften und Aufsichtsstrukturen halten. Die EU-Kommission ist mit ihrem risikobasierten Ansatz dabei auf einem richtigen Weg.

Bei meinem letzten Beispiel geht es darum, dass Regulierung nicht als politische Kosmetik benutzt werden sollte. Nehmen Sie den Klimawandel, der längst zu spüren ist. Insbesondere die Überflutungen entlang von Flüssen treten häufiger und heftiger auf.

Trotzdem planen, bauen und sanieren wir den Gebäudebestand in Deutschland aber noch immer mit einem Vorschriftenkatalog, dem der Schutz vor Klimafolgen weitgehend fremd ist. Die Bundesländer rufen nach einer Elementarschaden-Pflichtversicherung. Dabei geht es ihnen aber in erster Linie darum, Investitionen in die Schadenprävention zu vermeiden und die Klimawandel- Anpassungskosten auf die Versicherungskundinnen und -kunden abzuwälzen. Unbequeme Maßnahmen wie eine Änderung des Baurechts, die mit Investitionskosten für den Staat verbunden wären, werden damit vermieden. Wir Versicherer fordern dagegen entschiedene Maßnahmen, um durch Prävention und Anpassung die Weichen für Bevölkerungs- und Sachwertschutz zu stellen. ■

Gute Regulierung schafft Sicherheit und Vertrauen.

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