Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 30.08.2022
Ob selbstlernende Chatbots, Programme zum automatischen Ausfüllen von Formularen oder Roboter in der Produktion – KI-Systeme begegnen den Menschen schon heute im Büro oder in der Produktionshalle. Sie können Prozesse beschleunigen, Beschäftigten monotone und körperlich anstrengende Aufgaben abnehmen und die Arbeit reichhaltiger machen. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen; wir werden uns höherwertigen, kreativen Aufgaben widmen und unseren Tätigkeiten mobiler und flexibler nachgehen können.
KI hat großes Potenzial für Unternehmen und Belegschaften. Der Schlüssel zu guter Arbeit im KI-Zeitalter liegt in der Qualifizierung. Die Beschäftigten müssen in die Lage versetzt werden, neue und eventuell höherwertige Aufgaben zu übernehmen. Darüber hinaus sollen sie kompetent und sicher mit den KI-Systemen umzugehen lernen.
Kompetenzen, die die KI-geprägte Arbeitswelt erfordert, variieren nach Branchen und Tätigkeit der Beschäftigten. Manche Fähigkeiten werden jedoch künftig in beinahe jeder Position benötigt. Nicht alle Beschäftigten müssen sich zu KI-Expert:innen weiterentwickeln, aber ein Grundverständnis der Technologie, ihrer Grenzen und Möglichkeiten ist auch außerhalb der IT-Abteilungen notwendig.
Welche Kompetenzen im KI-Zeitalter gefragt sind
Eine Unternehmensbefragung der Plattform Lernende Systeme aus dem Herbst 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass es Unternehmen vor allem an Fach-, KI- und Digitalkompetenzen fehlt. Befragt wurden 50 Unternehmensvertreter:innen verschiedener Branchen, von denen etwa die Hälfte angab, dass in ihrem Unternehmen bereits KI-Anwendungen eingesetzt werden. Die Ergebnisse der Befragung sind im Projektbericht „KIKompetenzentwicklung bei Sach- und Produktionsarbeit“ der Plattform Lernende Systeme zusammengefasst.
Informatiker:innen werden zukünftig noch gefragter sein. Insbesondere, wenn sie die Methoden des maschinellen Lernens und der Data Science beherrschen. Dennoch müssen diese Kenntnisse um weitere Expertisen ergänzt werden, das sogenannte Domänenwissen. Möchte man beispielsweise die Vorteile von KI in der Produktion ausschöpfen, sind neben Data Analyst:innen auch Expert:innen für Fertigungsverfahren, Qualitätssicherung oder Intralogistik gefragt. Besonders selten sind Fachkräfte, die sowohl die Digitalkompetenzen als auch das Domänenwissen auf sich vereinen.
Neben Expert:innenwissen gibt es auch KI-Kompetenzen, die für alle Beschäftigten relevanter werden, beispielsweise wenn es darum geht, die Ergebnisse von KISystemen zu beurteilen und verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen. Im Kontext von KI gewinnt die agile Projektarbeit an Bedeutung, da Arbeit kleinteiliger, flexibler und interdisziplinärer wird. Hier sind soziale und kommunikative Kompetenzen sowie Selbstkompetenzen gefragt. Außerdem nimmt die Relevanz von eigenständigem, problemfindendem und -lösendem Verhalten zu. Gleichzeitig verlieren Kompetenzen, die zur Erfüllung gleichförmiger Routineaufgaben erforderlich sind, an Bedeutung.
Die Datenbestände von KI-Systemen müssen außerdem auf Validität und Plausibilität überprüft werden, was ein rudimentäres Wissen über die Funktionsweise des Systems erfordert. „Erklärbare Künstliche Intelligenz“, oder kurz XAI (Explainable AI), ist dafür notwendig. Sie beschreibt die Funktionalität eines KI-Modells, seine erwartete Wirkung und seine systematischen Fehler. Auf Grundlage dieser Erklärbarkeit müssen für den Menschen dann Entscheidungs- und Handlungsspielräume bestehen, die es ermöglichen, das Ergebnis zu ändern oder eine Entscheidung des Systems zu revidieren.
Praxisbeispiel zur Kompetenzentwicklung: Facharbeiter:innen und Mitarbeiter:innen in Finance und Controlling
Im Whitepaper „Kompetenzentwicklung für KI“ zeigt die Plattform Lernende Systeme anhand konkreter Beispiele, wie sich Kompetenzen im KI-Zeitalter für unterschiedliche Rollen in Unternehmen weiterentwickeln müssen. Im Bereich Finance und Controlling kann KI etwa in der Budgetverwaltung, im operativen und strategischen Controlling und in der Markt- und Nachfrageanalyse eingesetzt werden. Für die Controllerin aus einem der Praxisbeispiele bedeutet das, dass sie künftig weniger Fachwissen für die Budgetverwaltung benötigt, da diese operativen Aufgaben nun ein KI-System übernimmt. Hingegen sollte sie ihre Kompetenzen in der Mensch-Maschine-Interaktion ausbauen, um KI-Systeme selbstständig nutzen zu können. Neben einer erhöhten Anpassungs- und Prozessfähigkeit rückt auch die Kommunikationskompetenz durch die Anwendung von KI-Systemen in den Fokus, beispielsweise, um Daten und Kennzahlen aus anderen Abteilungen einzuholen oder Ergebnisse der Unternehmensleitung zu präsentieren. Um die Relevanz der Ergebnisse zu strukturieren, ist die Mitarbeiterin auf Reflexions- und Entscheidungskompetenzen angewiesen sowie auf Fähigkeiten zur Problemlösung, um den Herausforderungen neuer Technologien gerecht zu werden.
Auch Facharbeiter:innen in der Industrieproduktion werden künftig mit KI-Systemen zusammenarbeiten. Ein neues Aufgabengebiet ist dabei, die Roboterwerkzeuge durch Handführung zu trainieren und zu bedienen. Dafür ist ein grundlegendes Wissen über Maschinelles Lernen notwendig. Zudem sind Kenntnisse in der Mensch-Maschine-Interaktion zentral: Der Facharbeiter aus dem Fallbeispiel des Whitepapers lernt mit den Roboterwerkzeugen, indem er Arbeitsschritte vorführt, den Lernfortschritt des Systems kritisch prüft, bei Fehlern Rekalibrierungen vornehmen und bei einigen Aufgaben mit den Roboterwerkzeugen kollaborieren kann. Ebenso wie im vorherigen Beispiel werden auch für den Facharbeiter die Anpassungs- und die Kommunikationsfähigkeit wichtiger, hinzu kommen neue Ansprüche an Entscheidungsfähigkeit und Reflexion. Auch die Problemlösung gewinnt an Bedeutung: Beispielsweise bei der Behebung von Fehlfunktionen der KI-Systeme oder durch eigenständige Überlegungen zur Verbesserung von Abläufen oder dem bestmöglichen Einsatz der Roboterwerkzeuge.
Legende zur Quantifizierung: 1. Die Kompetenz hat für das Aufgabenprofil keine oder nur verschwindend geringe Bedeutung. 5: Die Kompetenz nimmt eine Schlüsselposition ein und kann nicht substituiert werden.
Quelle Infografiken: Plattform Lernende Systeme
Arbeitsplatznahes Lernen
Die Unternehmensbefragung der Plattform Lernende Systeme zeigt, dass durch den Einsatz von KI-Systemen nicht weniger Arbeit anfallen wird. Nur etwa ein Fünftel der befragten Unternehmen gab an, dass sie einen Wegfall von Aufgaben erwarten. Etwa die Hälfte der Unternehmen geht davon aus, dass neue Anforderungen hinzukommen. Mehrheitlich wurde damit gerechnet, dass sich die Tätigkeiten der Beschäftigten durch den Einsatz von KI verändern werden und dadurch erheblicher Weiterbildungsbedarf besteht. Qualifikationslücken sehen die Befragten insbesondere bei Fach- und Führungskräften. Die nötige Weiterbildung von gering Qualifizierten darf allerdings nicht unterschätzt werden.
Für Unternehmen bestehen zwei herkömmliche Wege, die Qualifizierung in den KI-Kompetenzen in ihrem Betrieb zu stärken. Zum einen können sie qualifizierten Nachwuchs oder erfahrene Experti:nnen auf den Arbeitsmärkten rekrutieren. Zum anderen besteht die Möglichkeit, durch innerbetriebliche Fortbildungen die betreffenden Kompetenzen im bestehenden Personal zu fördern.
Viele Unternehmen legen Wert auf die Integration von arbeitsplatznahem Lernen und Handeln. Für die KIQualifizierung eignen sich besonders Seminare am Standort der Beschäftigten und aufgabenspezifische „Onthe-job-trainings“, also Ausbildung, die durch stetiges Lernen und praktische Erfahrungen am Arbeitsplatz erfolgt. Geeignete Technologien der Wissensvermittlung wie Virtual Reality-Anwendungen unterstützen diesen Ansatz. Des Weiteren kann auf das umfangreiche Angebot an Online-Kursen und -Schulungen zurückgegriffen werden. Insbesondere öffentliche Einrichtungen bieten Hilfestellungen für die Transformation in die Arbeitswelt im KI-Zeitalter. Erleichternd für die KI-Qualifizierung ist, dass Beschäftigte hier eine hohe intrinsische Motivation zur Weiterbildung haben, wohl auch wegen der exzellenten Karrierechancen. Die Kompetenzentwicklung in Sachen KI ist also sowohl eine Bereicherung für Unternehmen als auch für die Beschäftigten.