Interview mit Oliver Schoeller, Vorstandschef der Gothaer Finanzholding

Interview mit Oliver Schoeller

Der Bedarf an Unterstützung bei der nachhaltigen Transformation ist groß

Die Gothaer Versicherung will die Kunden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft mit Beratung und Finanzierung unterstützen. Die neue EU-Taxonomie sieht Vorstandschef Schoeller dabei nur als einen Baustein an.

Wie verändern Nachhaltigkeit und Klimawandel das Geschäftsmodell Ihrer Versicherung?

Das Thema Nachhaltigkeit begleitet uns schon seit Jahrzehnten. Wir waren 1995 einer der ersten Versicherer von Windkraftanlagen. Inzwischen versichern wir ein etwa ein Drittel des Marktes in Europa und sind damit mit deutlichem Abstand Marktführer. Zugleich sind wir mit Investments von 1,4 Milliarden Euro relativ zum gesamtem Kapitalanlagevolumen auch einer der größten Investoren im Bereich Erneuerbare Energien.

Durch den Klimawandel entstehen neue Risiken, andere werden virulenter – etwa wetterbedingte Risiken – und neue Geschäftsfelder kommen hinzu. Zum Beispiel die E-Mobilität, die neue Herausforderungen beim Versichern von E-Autos mit sich bringt.

Ihr Unternehmen strebt eine klimaneutrale Gesellschaft an. Ist die kürzlich beschlossene EU-Taxonomie nach Ihrer Einschätzung für die Gothaer dabei eine gute Leitschnur für die Anlagepolitik?

Die EU-Taxonomie ist zwar noch nicht ganz ausgereift, mit vielen Unklarheiten behaftet und der bürokratische Aufwand ist groß. Dennoch bietet sie einen guten Orientierungsstartpunkt bei der Suche nach nachhaltigen Investitionen. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer einheitlichen Definition für die ökologische Nachhaltigkeit und somit Eingrenzung der Greenwashing-Möglichkeiten. Trotz aller Schwachpunkte und Verbesserungspotentiale, die mitunter der hohen Komplexität des Themas geschuldet sind, war es ein richtiger Aufschlag der EU. Es bedarf aber einer deutlichen Komplexitätsreduktion.

Man darf nicht vergessen, dass derzeit nur ein sehr kleiner Teil des Anlageuniversums den hohen Anforderungen der Taxonomie genügt (je nach Einschätzung zwei bis neun Prozent). Aus diesem Grund ist es unsere Pflicht als Investor, nicht nur nach Taxonomie-konformen Investitionen zu suchen, sondern auch in die Unternehmen zu investieren, die die Taxonomie-Konformität mittel- bis langfristig anstreben. Nur so kann die Transformation der Realwirtschaft vorangetrieben werden. Solche Investitionen zu finden und dies auch den Stakeholdern glaubhaft zu erläutern, ist eine große Herausforderung. Hierfür bietet die Taxonomie aber keine Hilfe. Sie ist insofern nur einer der vielen Bausteine, die notwendig sind, um die Transition in nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.

Wie kann eine Versicherung die Resilienz des Mittelstandes gegen die Folgen des Klimawandels stärken?

Naturgemäß erst einmal, indem wir ihnen über den Versicherungsschutz ermöglichen, sich gegen aus dem Klimawandel resultierende Risiken abzusichern. Zum anderen begleiten wir unsere Kunden aber auch aktiv bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft.

Dazu haben wir im letzten Jahr unsere Initiative 500-50-5 ins Leben gerufen, im Rahmen derer wir 500 Unternehmen dabei begleiten, ihren CO2 Ausstoß in den nächsten fünf Jahren um 50 Prozent zu reduzieren. Diesen Unternehmen bieten wir Zugang zu einem Ökosystem aus Nachhaltigkeitsspezialisten, die ihnen vielfältige Unterstützung bieten – von der Analyse ihres Carbon Footprints über die Energieberatung bis hin zur Entwicklung geeigneter Maßnahmen zur Senkung des CO2--Ausstoßes. Das umfasst dann auch Pakete zur CO2-Reduktion, unter anderem durch die Elektrifizierung von Flotten, die Installation von Solaranlagen oder energetische Sanierung.

Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen damit?

Der Bedarf an Unterstützung bei der nachhaltigen Transformation im Mittelstand ist groß. Hier können wir mit unseren langjährigen Erfahrungen als Versicherer von alternativer Energieerzeugung die Lücke glaubwürdig schließen.

Die Gothaer will ihre Kunden bei der klimaneutralen Transformation unterstützen. Aber wie gehen sie mit bestimmten Branchen und Unternehmen um, denen diese Transformation langfristig nicht gelingt?

Wir sehen uns als Unterstützer bei der Energietransformation und wollen unsere Kundinnen und Kunden auf diesem Weg begleiten und so einen aktiven Beitrag leisten. Deshalb ist der Ausschluss bestimmter Branchen für uns immer nur die Ultima Ratio. Wir betrachten das eher auf Unternehmensebene. Nur wenn dort tatsächlich keine Bereitschaft zur Transformation vorhanden ist, ziehen wir die Konsequenzen. Lieber aber unterstützen wir sie auf dem Transformationspfad.

Sie haben angekündigt, dass alle Gebäude der Gothaer bis 2024 klimaneutral sein sollen. Wo liegen da die wichtigsten Herausforderungen und welchen Anteil muss der Konzern voraussichtlich am Ende durch Klimaprojekte kompensieren?

Unsere Zentrale in Köln sowie alle größeren Standorte in Deutschland sind bereits CO2-neutral, allerdings zum Teil noch über Kompensationszahlungen. Den größten Hebel bei der Senkung der Emissionen der Gruppe haben wir bei der Steigerung der Energieeffizienz sowie beim Thema Mobilität. Daher prüfen wir gerade die Installation von Solaranlagen und setzen bei Dienstwagen immer stärker auf Elektrofahrzeuge. Durch Anreize für die Mitarbeitenden wie Job-Tickets, Bike-Leasing oder auch die Möglichkeit, bis zu 60 Prozent der Arbeitszeit das Home-Office zu nutzen, reduzieren wir die Emissionen durch Pendlermobilität kontinuierlich.

Unser Ziel ist es, nur noch unvermeidbare Emissionen kompensieren zu müssen.

Wie wollen Sie die Mitarbeiter der Gothaer bei der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft mitnehmen?

Die Themen Nachhaltigkeit und Kampf gegen den Klimawandel sind bei den Menschen in unserem Unternehmen beeindruckend positiv besetzt. Wenn wir neue Initiativen aufsetzen, haben wir kein Problem, Talente für deren Umsetzung zu finden. Viel wichtiger ist aber, dass die Initiativen aus der Mitte der Belegschaft kommen. Die Gothaer hat die gesellschaftliche Verantwortung für die Klimawende an die Mitarbeitenden delegiert und genau von dort kommt auch die Energie. Bei den Führungskräften sind bereits zehn Prozent der variablen Vergütung an Nachhaltigkeitsziele geknüpft.

Um gleichzeitig die Nachhaltigkeitskompetenz zu erweitern, bieten wir Online-Schulungen an, überarbeiten gerade die Ausbildungsordnung und haben mit der Deutschen Maklerakademie Schulungen für den Vertrieb erarbeitet.

Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter wird damit zum Teil unserer Nachhaltigkeits-DNA.

Die Fragen stellte Sabine Haupt