Interoperabilität: ein Zungenbrecher für bessere Kommunikation

Interop Council

Advertorial

Artikel aus dem Handelsblatt Journal HEALTH vom 07.11.2022

Im Alltag erleben wir ständig, dass technische Systeme miteinander kompatibel sein müssen. So kann bspw. ein Laptop nur über einen Drucker drucken, wenn beide Systeme entsprechend eingerichtet sind und über kompatible Schnittstellen verfügen. Der Oberbegriff hierfür lautet Interoperabilität, wobei man zwischen organisatorischer, struktureller, syntaktischer und semantischer Interoperabilität unterscheidet. Das Ganze ist deutlich komplexer, als es auf den ersten Blick klingt, denn nur die umfassende Interoperabilität entscheidet letztendlich darüber, ob Informationen und Daten korrekt und zielgerichtet transportiert und interpretiert werden.

Warum interoperable Systeme in der Medizin so wichtig sind

Zur Verdeutlichung ein konkretes medizinisches Beispiel: Notfallsanitäter:innen wird es nicht gelingen, mit einem Funkgerät mitten in der Nacht auf dem Festnetzanschluss einer kardiologischen Ambulanz mit Öffnungszeiten von 8.00-17.00 Uhr eine:n Patient:in mit akutem HWI anzukündigen. Selbst wenn die Krankenhaus-Notfallzentrale als richtige Anrufempfängerin (organisatorische Interoperabilität) mittels passender Kommunikationstechnik, bspw. per Mobiltelefon (strukturelle) und in der richtigen Sprache (syntaktische Interoperabilität) erreicht wird, muss zweifelsfrei klar sein, ob der bzw. die Patient:in an einem Hinterwandinfarkt des Herzens (HWI) oder an einem Harnwegsinfekt (HWI) leidet. Es muss also auch die semantische Interoperabilität gegeben sein, denn eine Abkürzung könnte unterschiedliche Bedeutungen haben und bei einer Misskommunikation in diesem Fall sogar tödlich enden. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie essenziell Interoperabilität für die moderne, datenbasierte Medizin und die Patient:innensicherheit ist. Und das in jedem Versorgungssektor und insbesondere auch beim Übergang zwischen den Sektoren.

FHIR als einer der zentralen interoperablen Datenstandards

In einem Krankenhaus gibt es eine Vielzahl von Subsystemen, die Daten von Patient:innen speichern. Dazu zählen das Krankenhausinformationssystem, das Laborsystem, das radiologische Informationssystem sowie eine Vielzahl hochspezialisierter Systeme der Fachabteilungen. Um diese Daten miteinander zu verknüpfen und z. B. mittels Künstlicher Intelligenz (KI) verarbeiten zu können, müssen einheitliche Datenstandards, internationale Nomenklaturen und durchgängige interoperable Formate vorliegen. FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) ist solch ein internationaler, moderner, offener und bereits sehr verbreiteter Informationsstandard, der auch in der Universitätsmedizin Essen (UME) verwendet wird. Ein konkretes Beispiel ist die präoperative Planung, beispielsweise einer Leberlappenentfernung, die von einer Vielzahl von Faktoren (Laborwerte, Grunderkrankungen, klinische Symptome etc.) abhängt. Werden die Daten im interoperablen Format zusammengefügt, so kann mittels entsprechender KI-Algorithmen die Vorhersage zielgenau unterstützt werden, was unmittelbar der Versorgung der Patient:innen zu Gute kommt. Die Nutzung von interoperablen Daten eröffnet allgemein ein breites Anwendungsspektrum: von der Entscheidungsunterstützung bezüglich personalisierter Diagnostik und Therapie bis hin zum Einsatz in der Krankenhauslogistik oder dem Controlling. Es kommt letztlich darauf an, welche Daten mit welchen Methoden in welchem Kontext wie genutzt werden. Konkret kann durch die Unterstützung bei Routineaufgaben wie z. B. der schriftlichen Dokumentation die Arbeitsbelastung von Pflegekräften und medizinischem Personal verringert werden, um Zeit für das Wesentliche zu schaffen: den Menschen.

Auch die gematik GmbH (kurz: gematik) als verantwortlicher Player zum Aufbau der digitalen Infrastruktur im Gesundheitssystem (Telematikinfrastruktur) in Deutschland setzt auf FHIR, so z. B. in der bundeseinheitlichen E-Rezept App. Seit 2021 erarbeitet sie verbindliche Standards zur Übertragung von Gesundheitsdaten über eine standardisierte Schnittstelle für informationstechnische Systeme in Krankenhäusern, kurz ISiK. In der ersten Stufe wurde mit der Spezifikation „ISiKBasismodul“ über eigens entwickelte FHIR-Ressourcen eine Vielzahl von Anwendungsszenarien abgedeckt: die Suche nach Versicherteninformationen, die Abfrage der ICD-10 Diagnosen oder auch die Integration von Entscheidungsunterstützungssystemen. Mit den 2022 entwickelten Datenobjekten der Stufe 2 sind jetzt weitere, komplexere Interaktionen zwischen den Systemen möglich, die beispielsweise die UME nutzen wird, um mit den Patient:innen bidirektional und standardisiert Dokumente mit dem Schlaflabor zu teilen, Fragebögen zu beantworten und Termine zu bestätigen. Bei diesem Anwendungsfall werden das Schlaflabor und das System des Patientenportals die FHIR-basierte technische Brücke zwischen Krankenhaus und Patient:innen schlagen.

Das Interop Council als Expert:innenkreis auf oberster Ebene

Gesundheitsdaten fallen nicht nur in Krankenhäusern an, sondern bei allen medizinischen Leistungserbringern, wie den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder im therapeutischen und pflegerischen Bereich. Alle werden sukzessive an die digitale Datenwelt angebunden. Zudem generieren medizinisch zugelassene Apps, medizinische Geräte-Apps und sonstige GesundheitsApps viele Daten.

Insgesamt sind jedoch vielfach Systeme im Einsatz, die mitnichten interoperabel sind. Dabei wurde in der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) der Weg beschrieben, wie interoperable Systeme verpflichtend als Standards festgelegt werden. Der in der Verordnung definierte neue Expert:innenkreis Interop Council identifiziert und bearbeitet Probleme der Interoperabilität. Eine Internetplattform, der Interoperabilitätsnavigator für digitale Medizin (ina), schafft dabei Transparenz und veröffentlicht das Angebot.

Der erste abgeschlossene Arbeitskreis zeigte ungelöste Probleme bei der Datenkommunikation am Beispiel von Krebspatient:innen aus Entwickler:innensicht auf; u. a. fünf mögliche Schreibweisen für das Geburtsdatum. Diese müssen jetzt schnellstmöglich an den Schnittstellen bereinigt werden, damit eine effizientere, interoperable Kommunikation die Gesundheitsversorgung der Krebspatient:innen unterstützt. Langfristig muss dies auf viele andere Erkrankungen und relevante Interoperabilitätsprobleme übertragen werden.

Das Spielfeld der Präzisionsmedizin mit Patient:innen im Fokus

Die Corona-Pandemie zeigte einmal mehr in kritischem Maß, dass die deutsche Gesundheitsversorgung nicht auf interoperablen, digitalen und vor allem nutzerorientierten Standards beruht. Der Ausbau einer hochwertigen Telematikinfrastruktur ist hier ebenso wie der Ausbau der Digitalisierung von Leistungserbringern wie Krankenhäusern längst überfällig. Wichtig ist es, an dieser Stelle aufzuzeigen, dass es sich nicht um theoretische, technische oder gar wissenschaftliche Verbesserungen handeln muss, sondern um tatsächliche Nutzer:innenorientierung.

Dabei sind die Nutzer:innen nicht nur die verschiedenen Leistungserbringer wie Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, therapeutisches und pflegerisches Personal, sondern vor allem auch die Patient:innen selbst.

Denn essenziell ist: Patient:innen müssen vollumfänglich integriert werden, da sie die gleichen Rechte und Ansprüche auf Nutzung des Systems haben wie die anderen Beteiligten. Sie sind gleichwertige Mitspieler:innen auf dem Spielfeld der Gesundheitsversorgung, wobei die Regulatorik inklusive des Datenschutzes die Spielregeln bestimmen, die Industrie das Spielbrett errichtet und alle sich an die Regeln halten müssen, um gemeinsam ans Ziel zu kommen: eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung mit personalisierter Präzisionsmedizin, die auch präventiv und nachhaltig wirkt.

Dr. Anke Diehl, Chief Transformation Officer, Leiterin Stabsstelle Digitale Transformation, Universitätsmedizin Essen, Mitglied des Interop Councils
Dr. Jil Sander, Projektleiterin, Stabsstelle Digitale Transformation, Universitätsmedizin Essen
Dominik Bures, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Stabsstelle Digitale Transformation, Universitätsmedizin Essen

DAS INTEROP COUNCIL

Die Mitglieder des ersten Interop Councils (Nationales Expert:innengremium für Interoperabilität im Gesundheitswesen) wurden im Dezember 2021 von der gematik im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium berufen.

Das Gremium basiert auf der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) und umfasst sieben Sitze aus den sieben Bereichen IT-Anwender:innen, Industrie, Bundesländer, Standardisierungsorganisationen, Verbände, Fachgesellschaften sowie wissenschaftliche bzw. Patient:innenorganisationen.

Seine Aufgabe besteht darin, unabhängig, transparent und engagiert die Interoperabilität im deutschen Gesundheitswesen voranzutreiben.Das bedeutet konkret, dass neben einer flächendeckenden Konvergenz auch die Festlegung von internationalen Standards das Ziel sind.

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