Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022
Die Energiewende weiter stark voranzutreiben, ist ein Imperativ im Sinne des Klimaschutzes, aber auch maßgeblich, um die energiepolitische Unabhängigkeit Europas weiter zu forcieren. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stellt sich die Frage nach der Energieversorgungssicherheit nochmals drastischer. Neben dem Ausbau Erneuerbarer Energien, ist es ebenso essenziell, Schlüsseltechnologien, wie die Solartechnologie, zurück nach Europa zu holen, um die globale Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen.
Solartechnologie nach Europa zurückholen
Ohne China ist der Ausbau der Photovoltaik heute unmöglich – dabei waren es deutsche Unternehmen, die der Solarindustrie zum globalen Durchbruch verhalfen. China dominiert den Weltmarkt für Solarzellen und -module. Rund zwei Drittel der heute standardmäßig eingesetzten Silizium-Solarzellen sind made-in-China. Asien insgesamt erreicht sogar einen Anteil von knapp 95 Prozent. Europa kommt auf einen Marktanteil von weniger als ein Prozent.
In der Blue Minds Group haben wir uns der Aufgabe „driving the energy transition“ verschrieben. Wir fördern Innovationen im Energiebereich durch unsere zahlreichen Investments in internationale High Tech Start-ups. Eines davon ist Foresight Energy. Das Start-up ist ein führender israelischer Softwareanbieter, der hochpräzise KI-Lösungen für die Prognose und Optimierung des Energieportfolios anbietet. Unser Technologie-Beteiligungsportfolio umfasst weiter Unternehmen, die sich mit dem effizienteren Laden von E-Autos beschäftigen, die das Recycling und Tracking von Batterien für EAutos ermöglichen, die innovative Finanzierungsmodelle von Photovoltaik-Projekten fördern, die Plastiktaschen durch organische Alternativen ersetzen oder die Bahn vor Cyberattacken schützen. Darüber hinaus haben wir auch begonnen uns im Photovoltaikmarkt zu engagieren. Gemeinsam mit einem börsennotierten Glasproduzenten aus Indien, der Borosil Renewables, sind wir in Europa Marktführer für Solarglas, mit der GMB Interfloat Corporation in Brandenburg.
Zeitenwende in der Energiewirtschaft?
Viele reden von einer Zeitenwende: politisch, sozial, wirtschaftlich. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach gar von einem „Wechsel der Epochen“. Der Klimawandel, die Pandemie und jetzt auch noch ein weiterer Krieg in Europa und dessen Folgen – hohe Inflation, signifikanter Rückgang bei Produktion und Kaufkraft sowie rückläufige Beschäftigungszahlen – werden uns noch eine Zeit lang beschäftigen. Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sagte vor kurzem in einem Interview mit der NZZ: „Ja, es trifft zu, dass momentan die Bewegung stockt, die selbstverständlich gewordene Erwartung permanenter Verbesserung hat einen kräftigen Dämpfer erhalten. Daraus eine Zeitenwende zu konstruieren, scheint mir zu hoch gegriffen.“ Das deckt sich mit der Beobachtung, dass das beschriebene Marktumfeld den weiteren Umbau des Energiesystems nicht massiv hemmt; im Gegenteil. Trotz der Gerüchte über einen Abschwung zu Beginn dieses Jahres zeigten sich die Investitionen in Klimatechnologien stabil. Der Wert der Venture Capital Deals im zweiten Quartal ist sogar um etwa 15 Prozent zum Vorquartal gestiegen (Quelle: PitchBook), was darauf hindeutet, dass der Abschwung mehr oder weniger an der Klimatechnologie vorübergegangen ist. Es wird prognostiziert, dass dieser Markt in fünf Jahren bei 1,4 Billionen Dollar liegen wird, was einer jährlichen Wachstumsrate von 8,8 Prozent entspricht. Das ist ein positiver Ausblick, wird aber auf Basis dessen, was wir heute wissen, nicht ausreichen. Nach Schätzungen von BNEF und McKinsey muss die Welt im Durchschnitt zwischen 3 und 9 Billionen Dollar pro Jahr investieren, um bis 2050 eine klimaneutrale Wirtschaft zu erreichen. Da es Zeit braucht, bis die Investitionen anlaufen, ist in den kommenden Jahrzehnten wohl mit einem deutlichen höheren Anstieg der Investitionszahlen zu rechnen.
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur könnte bis 2050 fast die Hälfte der Emissionssenkungen, die erforderlich sind, um eine globale Nettonullstellung zu erreichen, aus Technologien stammen, die sich derzeit im Demonstrations- oder Prototypenstadium befinden.
Innovationen marktfähig machen
Die vielleicht größte Chance ist die direkte Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft (Direct Air Capture). Bei dieser Technologie wird CO2 direkt aus der Atmosphäre entnommen, konzentriert und dann an anderer Stelle gelagert oder verwendet. Es handelt sich um die Art von Terraforming-Technology, die wir wahrscheinlich brauchen, um die am schwierigsten zu reduzierenden Industrieemissionen zu senken. Sie ist aber immer noch unglaublich teuer. Ein führendes Unternehmen in Island gab vor einigen Jahren an, dass es 500 bis 600 Dollar für die Entfernung einer Tonne CO2 ausgibt. Die Vereinigten Staaten sind mit der Verabschiedung des Inflation Reduction Act im August mit gutem Beispiel vorangegangen. Eine Bestimmung in diesem Act, die eine Steuergutschrift bis 2032 verlängert und von 50 Dollar pro Tonne auf 180 Dollar anhebt, hat Investoren in diesen Bereich gelockt. Das isländische Unternehmen geht davon aus, dass es seine Kosten bis dahin halbieren kann, was bedeutet, dass seine Ausgaben nach der Steuergutschrift eher bei 80 bis 150 Dollar pro Tonne liegen würden.
Dieser Inflation Reduction Act dürfte auch der Bauund Nachrüstungsindustrie einen erheblichen Auftrieb geben. Das neue Gesetz bietet amerikanischen Hausbesitzern großzügige Steuergutschriften für die Installation von Wärmepumpen und geringfügige Steuergutschriften für die Anbringung von Isolierungen, den Austausch von Fenstern und Türen usw. Auch wenn die Steuergutschriften für Isolierung und Luftabdichtung nicht so bahnbrechend sind, dürften sie doch vielen Start-ups, die innovative Baumaterialien oder neue Ansätze zur Verbesserung der Gebäudeeffizienz erforschen, den Weg ebnen. Wenn diese Materialien das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, können Start-ups, wie Enerkem und Novoloop, die Abfallstoffe chemisch recyceln und aufbereiten, um kohlenstoffarme Bausteine für neue Projekte zu schaffen. Der Recycling-Sektor, zu dem auch das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien gehört, dürfte laut PitchBook in den nächsten fünf Jahren eine jährliche Wachstumsrate von 10 % aufweisen.
Wasserstoff und Kernfusion als Hoffnungsträger?
Wasserstoff ist ein weiterer Bereich, in dem es ein großes Innovationspotenzial für den Übergang zu sauberer Energie gibt und wird als Teil der meisten Netto-Null- Emissionsszenarien angesehen. Die Produktion dieses Kraftstoffs wird sich bis Mitte des Jahrhunderts mindestens verfünffachen. Auf einer Ebene ist die Begeisterung verständlich. Wenn Wasserstoff frei verfügbar wäre, wäre er eine Art Dekarbonisierungswunder. Mit ihm lassen sich kohlenstofffreie Kraftstoffe für Transport und Heizung herstellen und einige energieintensive Industrien betreiben, die sich nicht so leicht elektrifizieren lassen, wie die Stahl- oder Düngemittelherstellung. Das Problem ist, dass Wasserstoff nicht frei verfügbar ist. Dieser vielseitige Kraftstoff ist nur in dem Maße kohlenstoffarm, wie er auf kohlenstoffarme Weise hergestellt wird. So verlockend Wasserstoff auch aussehen mag – und so real die Chancen beispielsweise bei der Dekarbonisierung der Schwerindustrie auch sein mögen – die Antwort ist oft nicht Wasserstoff.
Diversität, auch bei Investitionen
Was auch immer die Versprechen sein mögen, wir sollten uns nicht zu sehr auf eine technologische Lösung verlassen. Über unsere Beteiligung am, vom israelischen Staat nach einem selektiven Prozess ausgewählten und finanziell unterstützten Climate Tech Accelerator NetZero, suchen wir gemeinsam mit lokalen Technologieund Venture Capital Experten nach Teams, die die schwierigsten Technologieprobleme in Zusammenhang mit der Energietransformation mutig angehen. Zusammen mit europäischen und internationalen Schwergewichten wie TotalEnergies, EREN Renewables, Schneider Electric und Delek wollen wir diesen dadurch zum Durchbruch verhelfen.
Selbst wenn neue Technologien die beste und vielleicht einzige Chance für die Welt sind, die globalen Emissionen auf Null zu begrenzen, dürfen wir nicht zögern, heute bereits verfügbare Lösungen einzusetzen, in der Hoffnung, dass eine zukünftige technologische Lösung uns retten wird. Wenn wir dies tun, riskieren wir die Zukunft der jüngeren Generationen und derjenigen, die noch nicht geboren sind. Deutschland beweist heute, dass mit Gestaltungswillen mehr möglich ist, als wir uns bisher zutrauten. Wenn wir im Schnellverfahren LNGTerminals errichten können, die fossile Brennstoffe aus neuen Quellen zu uns bringen, gibt es analog also keinen Grund, vernünftige Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern, die jetzt erfolgen können und müssen, wie der zügige Ausbau der Erneuerbaren, allen voran Photovoltaik und der Windenergie. Der Schulterschluss, all jene erneuerbaren Projekte nun unverzüglich zur Errichtung zu bringen, die in unserer selbstauferlegten Bürokratie vor sich hin Schlummern, ist fällig, und zwar pronto.