Fernwärme – der Wärmeträger der Zukunft

Dr. Michael Maxelon

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 18.01.2022

Kassel erneuert die Wärmeerzeugung systematisch

Schon seit langem setzt Kassel auf die Fernwärmeversorgung. Was noch vor einigen Jahren als angestaubt und technisch wenig modern eingestuft wurde, erlebt heute, im Zuge einer weltweiten Energiekrise, ein Comeback. Der Wunsch nach einer von Erdgas unabhängigen Versorgungssicherheit hat eine unerwartet starke Nachfrage nach einer Fernwärmeversorgung ausgelöst. Die Städtische Werke AG begrüßt diesen Trend natürlich, dennoch stellt er eine Herausforderung dar, denn die Erwartungen unserer Kunden sind groß.

Der Zuspruch an lokal, klimaschonend erzeugter Fernwärme nimmt rasant zu. Im Gegensatz dazu schränken begrenzte materielle wie auch personelle Ressourcen einen flächendeckenden Ausbau ein. Unterbrochene oder verzögerte Lieferketten, verursacht durch den russischen Angriffskrieg, erschweren eine schnelle angebotsorientierte Umsetzung von Ausbauvorhaben. Andererseits gilt es sich personell neu, breiter aufzustellen, um der gestiegenen Nachfrage kundenorientiert zu begegnen.

Schließlich ist die Angebotspalette an klimaschonender, sicherer Wärmeversorgung ganzheitlich zu betrachten, denn nicht immer ist der Fernwärmeanschluss das geeignetste Mittel der Wahl. Der Anschluss von Siedlungsgebieten, die sich durch einen hohen Anteil an freistehenden Einfamilienhäusern auszeichnen, ist aus wirtschaftlichen Gründen oft schwer realisierbar. Ebenso wie der Fernwärmeausbau muss deshalb der Ausbau der erneuerbaren Energien forciert werden. Ziel ist es, neue Energie- und Wärmewelten gemeinsam mit den Kunden zu entwickeln und umzusetzen. Dabei kann, sollte die Fernwärme als moderner, sauberer und wirtschaftlicher Wärmeträger eine entscheidende Rolle spielen.

Effekte der Energiekrise

Bereits im Herbst 2021 sind die Preise für Strom und Erdgas extrem gestiegen, in Folge des Ukrainekrieges geradezu explodiert. Die gesunkenen Verbräuche sowohl auf Seiten der Industrie als auch bei den Privathaushalten, das erfolgreiche Erschließen von neuen Gaslieferanten und schneller als erwartet kommende LNG-Terminals ließen die Preise zwar auf ein weniger kritisches Niveau sinken. Dennoch bleibt festzuhalten: Energie ist ein knappes, teures Gut. Dass die Energieversorgung der Zukunft eine andere sein wird, sein muss, liegt auf der Hand.

Die Politik handelt, vor allem für die Verbraucher: Gas- und Strompreisbremse, die Aussetzung der Dezemberabschläge für Erdgas und Wärme, weitere Unterstützungspakete. Dennoch bleibt aus Kundensicht vor allem eines: Verunsicherung. Verunsicherung über die weitere Entwicklung der Preise und Verunsicherung über den Stand der Versorgungssicherheit. Hinzu kommen der Klimawandel und die damit verbundene Notwendigkeit der Umstellung auf eine saubere Energieerzeugung. Wir bewegen uns also im klassischen Dreieck der Versorgungswirtschaft: Ökonomie, Ökologie und Versorgungssicherheit.

Dem Ausbau der Erneuerbaren Energien kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Ohne sie ist die Energieversorgung der Zukunft nicht denkbar. Konkret bezogen auf die Wärmeversorgung, sehen wir aktuell eine rasante Nachfrage nach einem Austausch von fossilbetriebenen Heizungsanlagen, einen Boom bei Wärmepumpen sowie den großflächigen Ausbau von Photovoltaik-Anlagen. Das ist der richtige Weg. Doch in den Großstädten, im innerstädtischen hochverdichteten Raum, ist das Ausbaupotenzial gerade bei Wärmepumpen begrenzt. Hier ist der Ausbau der Fernwärme der sinnvollere Weg. Denn schon jetzt, auch ohne den Einsatz von CO2-neutralen Brennstoffen, ist Fernwärme die saubere Wahl als Wärmeträger. Schließlich wird sie im Regelfall in der Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt und zeichnet sich durch einen Brennstoffausnutzungsgrad von über 80 Prozent aus – Strom und Wärme werden in einem Prozess erzeugt.

Aktuell betreibt die Städtische Werke AG als Teil der Unternehmensgruppe der Kasseler Verkehrs und Versorgungs-GmbH Kraftwerke an zwei Standorten. Das Kraftwerk Kassel, das durch ein Kombikraftwerk mit zwei Gasturbinen ergänzt wird, sowie ein Müllheizkraftwerk. Beide werden gerade auf die steigende Bedeutung der Fernwärme vorbereitet.

Kohleausstieg 2025

Das Kraftwerk Kassel wird bisher hauptsächlich mit Braunkohle betrieben. Doch schon vor rund zehn Jahren wurden die Weichen zur Umstellung auf CO2-neutrale Brennstoffe gestellt. So ging vor gut zweieinhalb Jahren eine Klärschlammbandtrocknung in Betrieb, die zum einen den ganzjährigen Einsatz des Kraftwerkes ermöglicht, zum anderen die ganzjährige Abnahme von Klärschlamm, was für die Lieferanten des Ersatzbrennstoffes wichtig ist. Das zentrale Ziel in Kassel ist dabei: Der Ausstieg aus der Kohleverbrennung durch den vollständigen Einsatz der CO2-neutralen Brennstoffe Klärschlamm und Altholz im Kraftwerk. Und das bereits im Jahr 2025, deutlich früher als der vom Bund angestrebten Ausstieg aus der Kohle im Jahr 2038. Doch der Weg dahin ist komplex und voller Herausforderungen. Denn die Städtische Werke AG ist Vorreiter für den frühen Kohleausstieg. Gute Beispiele, die als Vorbild dienen könnten, sind überschaubar. Zumal die weltweiten Lieferengpässe und fehlende Ressourcen seitens der technischen Dienstleister uns dazu zwingen, einen Großteil der planerischen und operativen Arbeiten mit der eigenen Mannschaft zu realisieren – und das parallel zum Regelbetrieb der Kraftwerke. Nach der erfolgreichen Fertigstellung der Klärschlammbandtrocknung folgen in den kommenden Jahren die Inbetriebnahme einer neuen Entnahmekondensationsturbine, die Erneuerung der Rauchgasreinigung und der Umbau des Wirbelschichtkessels.

Nachhaltige Ressourcenwirtschaft

Gleichermaßen spielt das Müllheizkraftwerk eine Schlüsselrolle für eine sichere Fernwärmeversorgung und eine künftige sinnvolle Ressourcenwirtschaft. Zum einen steht es für einen großen Teil der in Kassel verbrauchten Strom- und Wärmemengen. Andererseits kommt ihm eine wichtige Rolle für regionale Verwertung der erwartbar steigenden Volumina an Siedlungs- und Industrieabfällen durch die demographische und wirtschaftliche Entwicklung der kommenden Jahre zu. Die Kapazitätsausweitung des Kraftwerks durch ein Retrofit um 20 Prozent ist bereits angestoßen.

Schließlich dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass das Netz ebenfalls wachsen muss. Es müssen mehr Privathaushalte und mehr Industriebetriebe ans Netz angeschlossen werden. Unser Ziel ist, bis zum Jahr 2030 bei einem Brutto-Zubau von 232 GWH den jährlichen Netto-Fernwärmeabsatz um 100 GWh zu steigern und den Anteil des Gesamtverbrauchs an Wärme in der Stadt von heute 21 auf dann 31 Prozent zu erhöhen. Dazu bedarf es einer weiteren systematischen Verdichtung und gezielter Ausbaumaßnahmen im gesamten Stadtgebiet. Flankiert werden der Umbau des Kraftwerkparks und der Ausbau des Fernwärmenetzes von Überlegungen, die über die konventionelle Erzeugung hinausgehen. Aktuell in Prüfung ist ein großer saisonaler Wärmespeicher oder wie Flusswasserwärme genutzt werden kann.

Im Ergebnis steigt durch den Ausbau der Fernwärme die Versorgungssicherheit sowohl bei Strom und Gas signifikant, er leistet einen hohen Beitrag für die Treibhausgas-Minderungsziele der gesamten KVVGruppe und er sorgt für eine langfristige Kundenbindung. Kurz, in Kassel genießt die Fernwärme absolute Priorität unter den Wärmeträgern.

Ohne den Ausbau der Erneuerbaren Energien ist die Energieversorgung der Zukunft nicht denkbar.

Dr. Michael MaxelonCEO, Städtische Werke AG
Das aktuelle Handelsblatt Journal Energiewirtschaft
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