Durchstarten in der betrieblichen Altersversorgung

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „Betriebliche Altersversorge und Kapitalanlage“ vom 24.05.2023

Die betriebliche Altersversorgung hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Mittlerweile beinhalten viele moderne Vergütungsmodelle eine Betriebsrente. Auch politisch hat die bAV hohe Priorität. Fast alle politischen Parteien wollen sie als Ergänzung zur gesetzlichen Rente weiter ausbauen. Um das „Wie“ wird gerungen.

Denn trotz der positiven Entwicklung: Luft nach oben gibt es. Die Verbreitungsquote tritt bei wachsender Beschäftigung auf der Stelle. 53,5 Prozent Ende 2021 nach 53,4 Prozent im Dezember 2019. Überraschend ist das nicht: Corona-Krise, der russische Angriffskrieg und der Inflationsschub waren alles andere als ein idealer Nährboden für ein kraftvolles Wachstum. Immerhin: In absoluten Zahlen ging es um 340.000 nach oben.

Ein Grund für die stagnierende Verbreitung. Insbesondere in Kleinunternehmen, in Unternehmen mit hoher Fluktuation sowie in Unternehmen ohne Tarifbindung hat es die betriebliche Altersversorgung oftmals schwerer. Frauen erreicht die bAV weniger als Männer. Bei Entgeltumwandlung sind außerdem die eigenen Beiträge deutlich geringer – mit Folgen für die Versorgung.

Die Versicherer sind mit 16,5 Millionen Verträgen stark in der betrieblichen Altersversorgung engagiert. Jeder fünfte Beitrags-Euro der Lebensversicherung fließt mittlerweile in einen Vertrag der betrieblichen Vorsorge – Tendenz steigend. Versicherer bieten dabei das volle Leistungsspektrum: sichere Versorgung im Alter, Schutz für Hinterbliebene und Renten bei Invalidität.

Rückenwind für Sozialpartnermodelle

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat 2018 zahlreiche Verbesserungen auf den Weg gebracht. Dazu gehört eine bessere Unterstützung, gerade für Menschen mit geringen Einkommen – über eine Millionen Beschäftigte in dem Bereich profitieren heute davon. Zugleich wurde ein völlig neues Instrument eingeführt: die reine Beitragszusage im Rahmen von sogenannten Sozialpartnermodellen auf tarifvertraglicher Basis.

Neu dabei: Der Rechtsrahmen lässt Spielräume für die Gestaltung durch die Sozialpartner, überträgt aber auch mehr Verantwortung auf beide Seiten. Ohne Garantien steht höheren Risiken die Chance auf höhere Leistungen gegenüber. Künftige Renten können außerdem je nach Ergebnis schwanken. Gewerkschaften müssen ihren Mitgliedern diese Herausforderungen vermitteln, die es so bislang in der Altersvorsorge nicht gab. Die Arbeitgeber übernehmen mit „pay and forget“ keine Haftung mehr für die Leistungen. Zugleich müssen sie aber Sicherheitsbeiträge finanzieren, die beim Sozialpartnermodell zum Aufbau von Reservepuffern erforderlich sind.

Angelaufen sind bislang erst zwei Modelle: Neben einem Energieunternehmen setzt als erste große Branche die Chemieindustrie einen solchen Tarifvertrag für die bAV um. Dass es noch nicht mehr sind, hat Gründe: Innovation braucht Zeit, in der Tarifpolitik stehen aktuell vor allem Lohnerhöhungen im Mittelpunkt, teilweise muss noch ausgelotet werden, wie weit die Verantwortung bei Durchführung und Steuerung für die Sozialpartner reicht und wie sie gut ausgefüllt werden kann. Thema bleibt auch, wie sich nicht tarifgebundene Unternehmen und ihre Mitarbeiter beteiligen können.

Die gute Nachricht: An weiteren Sozialpartnermodellen wird offenbar gearbeitet. Für eine leichtere Umsetzung ist zu prüfen, ob es rechtliche Klarstellungen zu den Mitwirkungspflichten der Tarifvertragsparteien geben kann und sollte, die gleichzeitig die Handlungsspielräume für kreative Lösungen erhalten. Auch bei der Einbeziehung von weiteren Arbeitgebern und Arbeitnehmern soll sich etwas tun: Ein Tarifvertrag bleibt Grundlage von Sozialpartnermodellen, muss aber vielleicht nicht mehr „einschlägig“ sein. Bislang können sich Nichttarifgebundene einem Sozialpartnermodell nur dann anschließen, wenn ansonsten genau dieser Tarifvertrag für sie gelten würde.

Auch die Versicherungswirtschaft geht bei Sozialpartnermodellen neue Wege. Die Branchenlösung in der Chemie läuft mit maßgeblicher Beteiligung eines Versicherers. Mehrere Anbieter stehen mit maßgeschneiderten Lösungen für die Sozialpartner bereit.

Stärkung auch an anderer Stelle

Gut ist: Die Bundesregierung hat den Dialog zur betrieblichen Altersversorgung bereits intensiviert. Mitte 2023 könnte ein Gesetzgebungsverfahren starten. Auch an anderen Stellen muss die betriebliche Vorsorge gestärkt werden. Drei naheliegende Vorschläge:

  1. Niedrigverdienende weiter konsequent zu unterstützen und deren spezielle Förderung doppelt zu dynamisieren, ist notwendig. Zum einen gilt es, die Verdienstgrenzen im Fördermodell an die allgemeine Lohnentwicklung zu koppeln. So bleibt die Förderung auch dann erhalten, wenn die Nominallöhne zwar ansteigen, sich die Kaufkraft wegen der Inflation aber nicht nennenswert verbessert. Bei den derzeit starren Euro-Grenzen würde sonst ein Teil aus der Förderung fallen, obwohl faktisch immer noch förderwürdig. Auch sollte die Förderhöhe dynamisiert werden, um deren Wert im Verhältnis zu den Löhnen zu erhalten.
  2. Internationale Erfahrungen zeigen, dass „Nudging“ mehr bAV-Beteiligung bringt. Als „nudging“ bezeichnet die Verhaltensökonomie die eine Strategie, die Menschen dazu bringt, sich für eine bestimmte Verhaltensweise zu entscheiden, ohne dass dazu Zwang ausgeübt wird. Vorgabe für diese internationalen Modelle mit automatischer Entgeltumwandlung und Opt-out für Arbeitnehmer ist aber auch ein Tarifvertrag. Gerade KMU, die vielfach bewusst nicht tarifgebunden sind und die nicht auf Sozialpartnermodelle setzen, könnten davon profitieren. Deshalb sollte auch den Betriebsparteien ohne Tarifvertrag die Einführung freiwilliger Opting-out-Modelle ermöglicht werden.
  3. Die Modifizierung von Garantien außerhalb von Sozialpartnermodellen steht mit dem Koalitionsvertrag auf der Agenda. Konkret betrifft dies die „Beitragszusage mit Mindestleistung“, für die  Renditechancen und Sicherheit zugunsten der Vorsorgenden ebenfalls neu austariert werden sollten.

Ein weiteres wichtiges Thema bleibt die Portabilität von bAV-Ansprüchen. Nicht trivial in der arbeitsrechtlichen Umsetzung, weil es immer eine enge Bindung der bAV an das jeweilige Arbeitsverhältnis gibt. Aber immer wichtiger in Zeiten flexibler Arbeitsmärkte und oftmals unterbrochener Erwerbsverläufe. Die Portabilität ist aber in Einklang zu bringen mit einem zentralen unternehmerischen Ziel und auch Triebfeder der bAV: Die Bindung der Beschäftigten an den Betrieb, die angesichts des steigenden Fachkräftemangels noch an Bedeutung gewinnt. Die Versicherungswirtschaft trägt mit ihrem Übertragungsabkommen schon heute zur Fortsetzung von Verträgen bei Jobwechseln bei. Es ist darüber hinaus alle Anstrengung wert, bei dem Thema Voraussetzungen zu hinterfragen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Insgesamt gilt: Die betriebliche Altersvorsorge ist bereits ein Erfolgsmodell, sie kann aber noch besser werden. Ideen für eine Weiterentwicklung gibt es genug. Die Beteiligten haben es jetzt in der Hand, sie nachhaltig voranzubringen.´

Die betriebliche Altersvorsorge ist bereits ein Erfolgsmodell, sie kann aber noch besser werden.

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