Digitale Transformation: The Race Goes On

Bericht von der Handelsblatt Jahrestagung «Strategisches IT-Management 2022»

von Walter Brenner und Barbara Brenner

Gesamteindruck: Das digitale Wettrennen geht wirklich weiter

Wenn man die Referate und Diskussionen der drei Tage im Januar zusammenfasst, bestätigt sich der Titel der Veranstaltung «Digitale Transformation – The Race Goes On». Alle Referentinnen und Referenten haben, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, dargestellt, was sie unter digitaler Transformation verstehen, wie sie diese erfolgreich angehen, welche Erfolge sie erzielt haben und welche Herausforderungen auf sie zukommen.

Das Spektrum der Vorhaben ist breit und wird in den verschiedenen Branchen unterschiedlich angegangen. Die CIOs, die traditionellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung, sind sich einig, dass sie im Rahmen der digitalen Transformation eine aktive, treibende Rolle einnehmen können und damit zu den Gewinnern der Digitalisierung gehören werden. Diese positive und selbstbewusste Haltung der CIOs ist sicher auch ein Ergebnis ihrer Erfolge während der Pandemie und der gesteigerten Wahrnehmung ihrer Aktivitäten durch Geschäftsleitung, Fachbereiche und teilweise sogar der Öffentlichkeit. Einige CIOs tragen inzwischen in ihren Unternehmen die Gesamtverantwortung für Technologiefragen. Dabei spielt die Transformation in die Cloud und die Einführung zu S/4 Hana eine grosse Rolle. Sicherheit war, wie zu erwarten, ein zentrales Thema und wird von vielen CIOs als ihr derzeit wichtigstes Thema gesehen.

Die CIOs als Treiber der Digitalisierung

Die Frage nach der Rolle von CIOs in den Unternehmen wurde an der diesjährigen Handelsblatt Jahrestagung nur selten explizit diskutiert. Die CIOs, die aufgetreten sind, sehen sich als Treiber der Digitalisierung und haben auch keinen Zweifel, dass dies in ihren Unternehmen so gesehen wird. Sie blicken, wie eine Umfrage an der Veranstaltung ergeben hat, mit großer Mehrheit positiv in die Zukunft. Sie sind sich auch einig, dass digitale Innovation eine zentrale Aufgabe der CIOs ist. Diese Ausrichtung in Zweifel ziehende oder gar bestreitende Aussagen gab es – im Gegensatz zu vielen Veranstaltungen in der Vergangenheit – dieses Jahr nicht. Das Ziel ist klar: «Positiv, mit Hochdruck vorwärts in die digitale Zukunft». Besonders deutlich wird diese Neuausrichtung, wenn CIOs entscheidende Verantwortung für die Digitalisierung in ihren Unternehmen übernehmen. Jan Brecht, CIO der Mercedes-Benz Group AG (zum Zeitpunkt der Tagung noch Daimler AG), ist für die gesamte digitale Transformation seines Unternehmens verantwortlich und Hanna Hennig, CIO der Siemens AG, spielt ebenfalls eine prominente Rolle bei der Transformation ihres Unternehmens. Trotz dieser insgesamt positiven Grundstimmung darf nicht vergessen werden, dass die Fachbereiche, die CTOs und natürlich auch die CEOs eine wesentliche Rolle bei der Digitalisierung spielen und die CIOs, auch wenn er oder sie durch die Erfolge bei der Bewältigung der Pandemie, eine gute Position haben, immer wieder beweisen müssen, dass sie wirklich Treiber der digitalen Transformation sind. In einer Podiumsdiskussion mit Jan Brecht von Daimler, Hanna Henning von Siemens, Dr. Quirin Görz von Kuka und Thomas Kleine von Pfizer wurde die neue, aktive und innovative Rolle herausgearbeitet. Thomas Rückert, CIO Lufthansa Group und Olivier Krüger CEO Lufthansa Systems GmbH & Co. KG zeigten in ihrem gemeinsamen Vortrag, wie die IT in der Lufthansa zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor geworden ist. Agilität in der Softwareentwicklung spielt eine entscheidende Rolle, wenn der CIO und die IT, aktiv bei der Digitalisierung mitspielen wollen. Richard Hofer von der PostFinance AG aus der Schweiz hat dies in seinem Vortrag anschaulich dargestellt. In einer Diskussion zur Mobilität mit Jana Bartes von Wunder Mobility, Dr. Annette Hamann von der Beiersdorf AG und Sabine Scheunert von der Mercedes-Benz AG wurde darüber diskutiert, wie Startups und bestehende Unternehmen voneinander lernen können. In der anregenden Diskussion wurden die unterschiedlichen Erfahrungen ausgetauscht.

Erstaunlich ist, dass Kostensenkungen in der IT von keiner Referentin und von keinem Referenten thematisiert wurden. Die CIOs gehen eher davon aus, dass in den nächsten Jahren sowohl die Ausgaben wie auch der Headcount in der IT steigen wird. Erste CIOs, beispielsweise Hanna Hennig von der Siemens AG, zeigten in ihren Vorträgen auf, dass Sustainability und Diversity auch für CIOs in den nächsten Jahren zu wichtigen Themen werden. Iris Plöger vom BDI stellte in Ihrem Vortrag «Innovationskraft im Digitalen braucht Vielfalt – She TransformsIT» eine Initiative weiblicher Führungskräfte vor mit dem Ziel, den Anteil an Frauen in der IT zu erhöhen.

Die Umsetzung der Digitalisierung ist in vollem Gange

Bei der Handelsblatt Jahrestagung wurden eindrucksvolle Beispiele für erfolgreiche Digitalisierungs­projekte vorgestellt. So haben die CIOs von BMW AG, der Mercedes-Benz AG, der Volkswagen AG und eine Vertreterin von Wunder Mobility auf der einen Seite dargestellt, wie digitalisierte Mobilität aussehen wird und auf der anderen Seite wie es mit der Digitalisierung von Fahrzeugen und ihrer Produktion, beispielsweise durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz für Visual Inspection weitergehen wird. Die Siemens AG investiert massiv im Internet of Things und hat eine eigene Plattform geschaffen. Der CIO von Pfizer Deutschland GmbH hat dargestellt, welchen Beitrag die Informatik zur Entwicklung des Impfstoffes gegen das COVID-Virus geleistet hat. Tobias Günthör, CIO der Stada Group, hat sich in seinem Referat mit dem scheinbaren Widerspruch von Innovation und Regulation in der pharmazeutischen Branche auseinandergesetzt. Ines Varela, von der Stadtwerke Düsseldorf AG und Ralf Werner, CIO von der Open Grid Europe GmbH zeigten, vor welchen Herausforderungen die Energie­wirtschaft in Zeiten der Digitalisierung steht. Dr. Thomas Abrell von der Volkswagen AG hielt einen methodischen Vortrag. Er zeigte, wie in seinem Konzern Design Thinking als menschen­zentrierte Methode erfolgreich zum Einsatz kommt. Carsten Priebs, CIO und CDO von Randstad Deutschland GmbH & Co. KG lieferte in seinem Vortrag ein Beispiel für eine App, die Gamification und Menschzentrierung verbindet. Die App steigert die Motivation des Verkaufs ohne Ängste vor übergrosser Transparenz gegenüber den Vorgesetzten zu erwecken.

Digitalisierung: Die öffentliche Verwaltung zieht mit

In der Veranstaltung traten drei Vertreter aus der Politik und öffentlichen Verwaltung auf. Dr. Markus Richter, Bundes-CIO in Deutschland, setzte den Schwerpunkt auf Umsetzung bei der Digitalisierung. Er plädierte für ein gut abgestimmtes Vorgehen zwischen Aufgaben, die zentralisiert durch den Bund angegangen werden sollten, und Aufgaben, die in der Hoheit der Länder durchgeführt werden sollten. Audrey Tang, Digitalministerin von Taiwan, zeigte, wie in Taiwan die Bürgerinnen und Bürger selbständig an Daten kommen und wie stark Taiwan den Datenschutz betont. Taiwan stellt digitale soziale Innovation im Sinne von digitaler Innovation der Regierung für die Bevölkerung in den Vordergrund. Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Digitales, zeigte wie stark der Freistaat auf Digitalisierung als Mittel zur Stärkung der Wirtschaftskraft setzt.

Technologie: Cloud und SAP S/4 Hana dominieren

Die Transformation in die Cloud und die Einführung von SAP S/4 HANA sind nach wie vor die zentralen technologischen Herausforderungen für die CIOs. Die viele Jahre bestehenden Vorbehalte gegen die Cloud, insbesondere die «Public Cloud», scheinen bei den CIOs überwunden zu sein. Die sogenannten «Hyperscaler» sind die präferierten Partner der CIOs. Petra Finke berichtete wie Rhenus Freight Logistics und Helge-Karsten Lauterbach wie Bilfinger in die Cloud gehen. Benjamin Hermann von der ZOI GmbH und Henning Rahe von NetApp Deutschland GmbH zeigten in einem gemeinsamen Vortag wie bei der Kärcher AG eine Multicloud-Strategie unter Nutzung von Software von NetApp umgesetzt wurde. Michael Mors von BOX zeigte eine weitere content-orientierte Lösung, die bei der Transformation in die Cloud hilfreich sein kann. Bei den Vorträgen über die Einführung von SAP S/4 HANA standen in mehreren Vorträgen die Standardisierung von Prozessen im Vordergrund. Ein CIO berichtet, dass es in seinen Unternehmen gelungen sei die Anzahl der Prozessvarianten von ca. 500 auf ca. 50 Standardprozesse zu reduzieren. Blockchain wurde von Dr. Bettina Uhlich, CIO von Evonik Industries AG, in die Diskussion gebracht. Dr. Roland Schütz, CIO von Phoenix Pharma SE, zeigte auf, wie durch den Wechsel zu SAP S/4 HANA die Komplexität der Warenwirtschaftssysteme in seinem Unternehmen stark reduziert werden konnte. Jan Brecht von der Daimler AG berichtete in seinem Vortrag, dass sein Unternehmen ein neues Betriebssystem für Fahrzeuge als einen zentralen Baustein der Digitalisierung des Unternehmens entwickeln wird. Alexander Buresch, CIO der BMW Group, zeigte an einem Beispiel aus der Produktion, wie Künstliche Intelligenz, konkret Bilderkennung in der Qualitätssicherung der Produktion zum Einsatz kommt. In einer Diskussion zur digitalen Souveränität von Europa wurde auf Anregung von Dr. Bettina Uhlich, CIO der Evonik Industries AG, Blockchain als eine veritable Option diskutiert, um Europa digitale Eigenständigkeit zu geben. Der unternehmensübergreifende Austausch von Daten ist nach wie vor ein zentrales Thema in einer digitalisierten Wirtschaft. Francesco Bonfiglio, CEO von GAIA-X, European Association for Data and Cloud, sprach in seinem Referat über den aktuellen Stand der Umsetzung und weitere Entwicklung von GAIA-X.

Cybersicherheit ist die Herausforderung der Stunde

Cybersicherheit ist für die CIOs und ihre Unternehmen eine zentrale Herausforderung. Auf der Tagung berichteten Dr. Ralf Schneider, CIO der Allianz AG, Jean-Claude Flury von der V-ZUG Gruppe, Frank Fischer, CISO Deutsche Bahn AG und Sandeep Sen von Linde Group über ihre Anstrengungen im Bereich Cybersecurity. Sebastian Schreiber von Syss GmbH erklärte, wie er mit den Cyberangreifern umgeht, insbesondere wie der Transfer von Lösegeld bei einer Cyberattacke funktioniert. Die Unsicherheit in den Unternehmen ist nach wie vor sehr gross. Das Auftauchen der Sicherheitslücke in Log4J Ende 2021 hat den CIOs und den Unternehmen wieder dramatisch vor Augen geführt, wie fragil die Situation ist und wie hoch die Sicherheitsrisiken derzeit sind. Eine Gruppendiskussion mit Ralf Kleinfeld, CISO von Otto, Peter Meyerhans, CIO von Drees & Sommer Group sowie dem Internetaktivisten Manuel Atug, im Internet «Honkhase» genannt, hat gezeigt, dass die Open-Source-Politik auf den Prüfstand gestellt werden muss. Es gilt mehr Transparenz zu erzielen, welche Softwarekomponenten in den Unternehmen verwendet werden. Das Spektrum der Lösungsmöglichkeiten umfasst vertragliche Regelungen mit Lieferanten, Softwarestücklisten und Open Development. Einer der CIOs berichtet, dass er im zweiten Halbjahr 2021 50% seiner Zeit für Cybersecurity eingesetzt hat. Christoph Heidler und Kevin Schwarz von Zscaler sprachen in ihrem Referat von einer neuen Herausforderung im Bereich Cybersecurity in der Zukunft. Mit der Einführung von 5G-Netzerken entstehen neue Gefährdungspotentiale, die aktives Eingreifen der CIOs und CISOs erfordern. Neben Cybersecurity spielt die Umsetzung der DSGVO nach wie vor eine grosse Rolle in den Unternehmen. Dr. Anna Zeiter LL.M., Chief Privacy Officer von eBay zeigt in ihrem Referat, wie viel Aufwand ihr Unternehmen leisten muss, um beim internationalen Datentransfer compliant zu sein.

Work of the Future: Die Zeit nach der Pandemie

In einer Umfrage, die während der Veranstaltung online durchgeführt wurde, gaben 48% der Befragten an, dass in ihren Unternehmen in Zukunft drei Tage Home-Office möglich sein werden und 35% der Befragten gehen davon aus, dass die Mitarbeitenden in Zukunft frei wählen können, wie viel Zeit sie im Home-Office verbringen wollen. In einer Podiumsdiskussion mit Heike Scheckel von der MBCC Group, Markus Bentele von Mahle International GmbH und Dr. Roland Schütz von Phoenix wurde klar, dass es kein Zurück in die Zeit vor der Pandemie geben wird und dass die Unternehmen ihre Prozesse und Regelungen der neuen Wirklichkeit anpassen müssen. Oliver Bendig, CEO von Matrix42 AG bestätigte in seinem Referat diese These.

Ausblick in die Zukunft: Cybersecurity, Künstliche Intelligenz und Metaverse

In der Veranstaltung befragten wir die Teilnehmenden nach Ihren größten Herausforderungen in den nächsten Jahren. Abbildung 1 zeigt die Antworten der Teilnehmenden.

Abbildung 1: Herausforderungen der IT in den nächsten 3 Jahren

Mit überwältigender Mehrheit wurde Cybersecurity genannt. Daneben wurden Prozessdigitalisierung, Erhöhung der Geschwindigkeit, Datenmanagement und das Entwickeln digitaler Produkte als Herausforderungen für den CIO und die IT erwähnt. Die Dominanz von Cybersecurity kommt nicht unerwartet, steigen doch die Angriffe auf Unter­nehmen fast täglich.

Bei der Frage an die Zuschauerinnen und Zuschauer nach den in den nächsten Jahren wichtigsten Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik hat sich ein Bild ergeben, das mit vielen Prognosen von Beratungsunternehmen und eigenen Befragungen der Autorin und des Autors dieses Beitrags nicht übereinstimmt. Abbildung 2 zeigt die Antworten der Teilnehmenden.

Abbildung 2: Wichtige Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik
in den nächsten 3 Jahren

Quantum Computing wird als wichtigste Technologie der Zukunft gesehen. Ebenso von grosser Bedeutung sind Künstliche Intelligenz, Data Analytics, Cloud, IoT-Plattformen. Auf die Frage, welches Thema an der nächsten Veranstaltung «Strategisches IT-Management» schwerpunktmässig behandelt werden sollte, wurde mit überwältigender Mehrheit «Metaverse» genannt. Abbildung 3 zeigt die thematischen Wünsche und Anregungen für die Jahrestagung «Handelsblatt Jahrestagung Strategisches IT-Management 2023».

Abbildung 3: Wünsche und Anregungen für die Jahrestagung 2023

Der positive Blick in die Zukunft, verbunden mit einer aktiven Rolle der CIOs und der IT bei der digitalen Transformation, führt zu einem erhöhten Bedarf in den Unternehmen, sich mit neuen Technologien auseinander­zusetzen, deren Potential heute noch nicht abgeschätzt werden kann. Der «Job» der CIOs und der IT wird auch in den nächsten Jahren nicht an Spannung verlieren.