Der digitale Euro
Wie bleiben Währungen im digitalen Zeitalter stabil?

Interview mit Katharina Paust-Bokrezion

Warum befassen sich Zentralbanken weltweit mit digitalen Zentralbankwährungen?

KPB: Digitalisierung ist mittlerweile in fast jedem Winkel unserer Wirtschaft und Gesellschaft angekommen und wird unser Miteinander langfristig verändern – in manchen Bereichen schon sehr spürbar, in anderen noch verhalten.

Der Zahlungsverkehr profitiert bereits seit vielen Jahren von dieser Entwicklung und es entstehen immer bessere Lösungen dafür, Geld sicher und nutzerfreundlich zu bewegen.

Den Zentralbanken kommt im Zahlungsverkehr eine grundlegende Rolle zu: Sie sind zum einen Hüterinnen der nationalen Währung und sorgen mit geldpolitischen Maßnahmen für deren Stabilität und Kaufkraft. Zum anderen haben die meisten Zentralbanken, auch die Europäische Zentralbank, das Mandat, die Zahlungssysteme zu beaufsichtigen, um deren Funktionieren zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund wäre die Einführung des digitalen Euro ein wichtiger Schritt für geldpolitische Stabilität im digitalen Zeitalter.

Wird Bargeld nun abgeschafft?

KPB: Mitnichten: Der digitale Euro ergänzt Bargeld. Die Nutzung von Bargeld als Zahlungsmittel geht im digitalen Zeitalter immer mehr zurück. Zuletzt auch sehr beschleunigt durch die Pandemie. Es wird aber schon allein aus Resilienzgründen erhalten bleiben, beispielsweise damit immer ein Zahlungsmittel zur Verfügung steht, auch wenn es beim digitalen Euro mal eine technische Störung geben sollte.

Die Verfügbarkeit von Bargeld stellt einen wichtigen, wenn auch oft unbewussten Vertrauensfaktor in die Kaufkraft des Euros dar. Dieses Vertrauen ist eine essenzielle Voraussetzung für die Stabilität des Euro – und damit das Funktionieren der Wirtschaft auch in Krisenzeiten. Die Einführung des digitalen Euros wird somit den Bedürfnissen des digitalen Zeitalters gerecht. Damit hätten wir zwei zentralbank-gesicherte Geldarten.

Was wissen wir über die Auswirkungen eines digitalen Euros?

KPB: Es wird komplex sein, den digitalen Euro einzuführen. Das ist keine reine geldpolitische Entscheidung, sondern muss von allen EU-Institutionen und EU-Mitgliedsstaaten getragen werden, um die Belange von Bürger*innen und Wirtschaft gleichermaßen zu berücksichtigen.

Zusätzlich wird die Verfügbarkeit von digitalem Zentralbankgeld auch neue Herausforderungen für Banken darstellen: Deren Kreditvergabekapazitäten hängen unter anderem von den Einlagen der Verbraucher:innen und Unternehmen ab. Wenn diese nun rund um die Uhr in digitales Zentralbankgeld abfließen können, und damit die Bankbilanz verlassen, müssen Liquiditätsberechnungsmodelle neu gedacht werden.

Zentralbanken müssen außerdem fest im Blick behalten, dass ein neues Zahlungsmittel den europäischen Zahlungsverkehr aus dem Takt bringen kann. Das heutige Zahlungssystem basiert auf einer gut etablierten Partnerschaft zwischen den privaten Zahlungsdienstleistern und dem Eurosystem.

Darüber hinaus dienen Daten aus Zahlungsströmen der Vermeidung von Finanzkriminalität. Zahlreiche Überwachungs- und Erkennungsprozesse in Banken basieren auf diesen Informationen – Banken spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Der Zugang zu diesen Transaktionsdaten ist essenziell für die Effektivität dieser Maßnahmen.

Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten muss daher sein, dass der digitale Euro einen Mehrwert schafft und effizient integriert wird, damit der Markt in ein neues Gleichgewicht findet, ohne Stabilität und Resilienz der europäischen Wirtschaft zu beeinträchtigen.

Was hat der digitale Euro mit der Unabhängigkeit des europäischen Zahlungsverkehrs zu tun?

KPB: Wir verfügen mit dem Euro in 20 Staaten zwar über eine gemeinsame, starke Währung, im täglichen Zahlungsverkehr aller 27 EU-Mitgliedsstaaten fehlt allerdings eine länderübergreifende, eigenständige Zahlungslösung. Dies führt zu Bedenken für die Resilienz der EU im geopolitischen Kontext, die seit einiger Zeit mit verschiedenen Maßnahmen adressiert wird:

Mit der European Payments Initiative (EPI) hatten die Europäische Kommission und EZB der europäischen Kreditwirtschaft aufgetragen, die fehlende Lösung zur Zahlung an der Ladenkasse und im Online-Handel für ganz Europa zu entwickeln. Diesem Zweck dient unter anderem auch die vorgesehene Pflicht der Kommission für Zahlungsdienstleister, Echtzeit-Zahlungen anzubieten. Sobald die europäische Kreditwirtschaft flächendeckend echtzeit-fähig ist, können sich neue Zahlungslösungen für diese Anwendungsfälle entfalten.

In diesem gleichen Kontext plant die EZB eine dedizierte Zahlungslösung für den digitalen Euro, die jedoch Nicht-Euro-Länder der EU außenvorlassen wird.

Daher kann der digitale Euro nur einer von vielen Bausteinen sein, die den europäischen Zahlungsverkehr unabhängig machen. Um erfolgreich zu sein, muss man ihn im Gesamtkontext aller Lösungsansätze und Initiativen betrachten.

Was ist der Unterschied zwischen einer Zahlung mit dem digitalen Euro und per Echtzeitüberweisung

KPB: Ganz einfach: die Geldart. Der digitale Euro ist Zentralbankgeld, bei einer Echtzeitüberweisung wird Geschäftsbankengeld (auch: Giralgeld) übertragen. Das eigentliche „Bezahlerlebnis“ ist allerdings gleich.

Genau hier ist eine entscheidende Frage für das gesamte europäische Zahlungssystem: Wenn unklar ist, wie der digitale Euro und Echtzeit-Zahlungen zusammenwirken, können sich diese Zahlungslösungen gegenseitig behindern – so warnte kürzlich unter anderem eine Studie des Internationalen Währungsfonds.

Typischerweise bedienen diese beiden Zahlungslösungen die gleichen Anwendungsfälle und konkurrieren um Marktanteile. Schlechte Startbedingungen in einem Markt, in dem Verbraucher*innen bereits ausreichend bequeme Zahlungslösungen auf ihrem Smartphone oder in der Geldbörse haben.

Ohne breite Akzeptanz der Bevölkerung reizt es Händler nicht, neue Zahlungsmethoden zu akzeptieren. Der Erfolg beider EU-Großprojekte wäre somit von Anfang an in Gefahr.

Ist der digitale Euro eine Alternative für neue digitale Geldarten, wie zum Beispiel Stablecoins?

KPB: Nach heutigem Fokus des EZB-Projekts nicht.

Stablecoins werden in der EU künftig unter anderem definiert als E-Geld-Tokens und im Rahmen der „Markets in Crypto-Assets“-Verordnung (MiCA) reguliert. Sie basieren auf der „Distributed Ledger Technology“ (DLT), einem dezentralen Transaktionsregister.

Diese relativ neue Technologie hat viele Potentiale über alle Industriezweige hinweg, in Kapitalmärkten und kann auch in der Verwaltung Mehrwert schaffen. So zum Beispiel bei der Digitalisierung von Grundbuchprozessen.

Es ist also klar, dass es auch Zahlungslösungen geben muss, die effizient in diese DLT-basierten Infrastrukturen integriert werden können oder mindestens mit ihnen kompatibel sind. Daran arbeitet die private Kreditwirtschaft bereits.

Ein wichtiger Beitrag der EZB für diese künftigen Zahlungsdienstleistungen wäre die Implementierung von DLT-Infrastrukturen für Zentralbankgeld. Das heißt, nicht für den digitalen Euro an der Ladenkasse, sondern für den Zahlungsverkehr zwischen den Banken, der heute bereits in Form von digitalem Zentralbankgeld stattfindet.

Wie finden die verschiedenen Elemente nun zusammen?

KPB: Der öffentliche Sektor und die private Kreditwirtschaft müssen eng zusammenarbeiten, damit die einzelnen Bausteine optimal ineinandergreifen. Es gilt auszuloten, bis zu welchem Punkt gesetzliche Vorschriften einen Mehrwert schaffen, wie weit politische Ziele in die Marktwirtschaft eingreifen und wo die Privatwirtschaft verantwortlich ist, Nachfrage und Angebot zusammen zu bringen.

Einen Schlüssel dazu können Zahlungslösungen wie EPI bieten: Sie haben zum Ziel, verschiedenen Zahlungsmethoden und -infrastrukturen bis hin zu digitalen Währungen auf den Smartphones der EU zusammenzubringen.

Es ist also eindeutig, dass eine Public-Private-Partnership am besten zum Erfolg führt, wie auch unser heutiges Ökosystem beweist: Abwicklung, Clearing und Settlement funktionieren reibungslos. Die perfekte Grundlage für eine effektive Zusammenarbeit von privatem und öffentlichem Sektor.

Diese Erfahrung und die bestehende Zusammenarbeit sollten erhalten bleiben, um gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern.