Den Netzausbau zu beschleunigen, heißt die Energiewende voranzubringen

Artikel aus dem Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ vom 31.08.2022

Wir brauchen und wollen die Energiewende. Das ist weitestgehend Konsens. Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und der Notwendigkeit, unabhängig von russischen Energieträgern zu werden, hat diese Erkenntnis eine noch höhere Dringlichkeit bekommen. Aber selbst ohne die außenpolitische Dimension machen die Klimakrise und ihre verheerenden Folgen den Umstieg auf Erneuerbare Energien zu einer Frage des Eigeninteresses.

Die Energiewende lässt sich nicht ohne einen Netzausbau denken. Der muss nun deutlich schneller vorankommen. Die politischen Weichen dafür sind gestellt.

Den Netzausbau bundesweit voranbringen
Reden wir zunächst über Windkraft. Diese „heimische“ Energie müssen wir vom windreichen Norden vor allem in den Süden und Westen des Landes transportieren. Dort ist die Abschaltung der Kohle- und Kernkraftwerke weit fortgeschritten, gleichzeitig gibt es in den Regionen viele große Verbraucher aus der Industrie. Der Südwesten ist deshalb wirtschaftlich so stark, weil er viele Automobilhersteller und deren Zulieferer beherbergt, eine starke Chemie-Industrie, aber auch mit einem eindrucksvollen Mittelstand aufwarten kann. Der Ausbau der Photovoltaikanlagen läuft gut, wird aber allein nicht ausreichen. Die Idee, kleinere und dezentrale Anlagen zu errichten, ist richtig und förderungswürdig. Doch kann sie nicht an die Stelle des bundesweiten Netzausbaus treten.

Im Bundesbedarfsplangesetz sind die Anfangs- und Endpunkte für die dringend benötigten  Stromleitungen festgeschrieben. Die Bundesnetzagentur hat inzwischen die großen Korridore der wichtigen Gleichstromtrassen Ultranet, SuedLink, A-Nord und SuedOstLink vollständig festgelegt. Die Bundesfachplanung ist damit abgeschlossen. Die Prozesse befinden sich nun im Planfeststellungsverfahren. In diesem Schritt genehmigt die Bundesnetzagentur den genauen Leitungsverlauf innerhalb des Trassenkorridors.

Jenseits dieser sperrigen Fachbegriffe und der juristischen Prozedur, die sie meinen, bedeutet Trassen zu bauen auch, in die Landschaft einzugreifen. Oft steht Eigentum – Grund und Immobilien – den Korridoren im Weg. Deshalb gehen dem Bau Debatten, Abstimmungen und Kompromissvorschläge voraus. Das ist gut so. Hier hat die Demokratie ihre Stärke. Und nun können wir selbstbewusst vermelden, dass der Prozess gut vorankommt.

Hemmnisse abbauen und Prozesse verschlanken Zwischen Anfang und Ende liegt ein Weg. Eine Streckea aus Stromleitungen, die irgendwo hinmüssen. Zwar hört man viel über Proteste von Bürgerinnen und Bürgern, die sich gegen Leitungen über ihren Köpfen und Grundstücken wehren. Aber Viele sehen auch die Notwendigkeit und bieten eine konstruktive Zusammenarbeit an. Und die brauchen wir.

Der Netzausbau und damit die Energiewende gelingen nur gemeinsam. Gesetzgebung, Netzbetreiber und Kommunen müssen auf das gleiche Ziel hinsteuern. Das Osterpaket, das das Kabinett Anfang April verabschiedet hat, ist eine der größten energiepolitischen Novellen seit Jahrzehnten. Hier ist nicht der Platz, alle Maßnahmen zu erläutern. Klar ist jedoch, der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze wird beschleunigt, indem Hemmnisse abgebaut und Planungs- und Genehmigungsverfahren verschlankt werden.

Der Bundesbedarfsplan für den Ausbau der Übertragungsnetze wird aktualisiert und es werden neue Projekte aufgenommen, damit die Netze mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien Schritt halten können. Kurz gesagt: Es wird schnell gehen. Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren bezogen werden.

Erdverkabelung als Lösung?
Die großen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) wie die oben erwähnten Sued-Link und Ultranet werden seit 2015 als Erdkabel geplant. Wechselstromleitungen ebenfalls unter der Erde zu verlegen, erscheint Vielen attraktiv. Das ist nachvollziehbar. Kabel, die unter der Erde liegen, sieht man nicht. Hierzu sei allerdings gesagt, dass das in der Praxis schwer umzusetzen ist. Aus gutem Grund ist die Erdverkabelung gesetzlich geregelt. Ob Leitungen an Strommasten hängen oder unter der Erde liegen, obliegt also weder den Behörden noch den Netzbetreibern.

Die Vorteile von Freileitungen liegen auf der Hand: Die Kosten und die Bodeneingriffe sind deutlich geringer. Der zweite Punkt ist vor allem für Landwirte von Bedeutung. Außerdem sind Freileitungen leichter zu warten und somit im Betrieb günstiger. Im Wechselstrom-Bereich ist die Freileitung eine über Jahre bewährte Technik.

Eine Erdverkabelung hingegen ist nicht nur technisch sehr anspruchsvoll, sondern kostet ein Vielfaches der herkömmlichen Leitungen. Einen gesetzlich verankerten Anspruch für alle Ausbaumaßnahmen halte ich nicht für realistisch. Was es aber gibt, sind Pilotprojekte zur Erdverkabelung im Drehstrom-Bereich. Hierbei haben die Vorhabenträger bei entsprechend gekennzeichneten Vorhaben die Möglichkeit, eine Teil-Erdverkabelung zu beantragen. Aus diesen Piloten wollen wir lernen. Die Erfahrungen können uns bei weiteren Ausbauvorhaben helfen, neue Techniken und Lösungen anzuwenden. Die Bundesnetzagentur ist eine unabhängige und neutrale Behörde. Sie setzt politische Vorhaben und Gesetze um. Weil es aber in diesem Haus sehr viel Kompetenz und Erfahrung gibt, geben wir natürlich der Politik Empfehlungen. Klar ist jedoch, dass die Entscheidungen auf politischer Ebene getroffen werden. Wir begleiten das Thema Erdverkabelung intensiv und haben die Interessen der Kommunen, auch der Verbraucherinnen und Verbraucher im Auge.

Wasserstoff als Alternative zum Netzausbau?
Ein zentrales Thema der Zukunft ist der Wasserstoff. Immer öfter wird er als Lösung für Probleme bei der Energieversorgung ins Spiel gebracht. Natürlich ist es möglich, Strom in Form von Wasserstoff oder Methan in das Erdgasnetz einzuspeisen. Der Wirkungsgrad von Power to Gas mit Rückverstromung hat allerdings nur einen Wirkungsgrad von 30 bis 50 Prozent, es gehen also 50 bis 70 Prozent der Energie verloren. Im Vergleich dazu verfügt ein Pumpspeicher über einen Wirkungsgrad von 75 bis 85 Prozent. Wird Strom direkt übertragen, liegen die Verluste nur bei unter 10 Prozent. Bei Gleichstrom sind sie sogar noch geringer. Auch die Kosten und die Leistung der bisherigen Anlagen liegen noch nicht in einem Bereich, der für den flächendeckenden Einsatz, also als Alternative zum Netzausbau, geeignet und wirtschaftlich wäre. Daher ist die direkte Übertragung über das Stromnetz vorzuziehen.

Die Bundesnetzagentur beobachtet allerdings die aktuellen Entwicklungen bei Power to Gas und tauscht sich fortwährend mit Unternehmen und Forschenden darüber aus. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Pilotanlagen, die der Bund fördert, um die Technologie weiter zu entwickeln.

Technische Innovationen im Blick behalten Während die Energiewende vorangetrieben wird, läuft die Forschung an neuen Technologien, die uns schneller in die Klimaneutralität bringen. Der Netzausbau fordert uns heraus. Alle Beteiligten müssen bereit sein, für das große gemeinsame Ziel Zugeständnisse zu machen. Der Bundesnetzagentur kommt dabei eine besondere Rolle zu, die das Osterpaket explizit erwähnt: Unsere Aufsichtsmöglichkeiten über Energielieferanten werden ausgeweitet. Das wiederum stärkt die Rechte der Endverbraucherinnen und -verbraucher und schützt sie noch besser.

Noch etwas ist mir wichtig: Wir wollen die Öffentlichkeit an unseren Entscheidungen und Plänen beteiligen. Wir wollen die Stimmen derjenigen hören, die zweifeln. Ja, beim Netzausbau wird der Turbo eingeschaltet. Das darf aber nicht heißen, dass die Menschen übergangen werden. Meine Erfahrung ist: Je besser wir unser Handeln erklären, desto mehr sind bereit, uns zu folgen.

Die Energiewende lässt sich nicht ohne einen Netzausbau denken.

Das aktuelle Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „ENERGIEWIRTSCHAFT“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
Zum Journal