Den Blick nicht verengen – dafür ist das Thema Carbon Foot Print viel zu wichtig.

Roland Mauss

Nicht selten werden große, zukunftsrelevante Themen in der öffentlichen und politischen Diskussion verengt. Klimaschutz, Elektro-(Mobilität), Pandemie, Migration und viele mehr könnte man hier exemplarisch nennen. Das mag der Komplexität geschuldet sein, die sich leider dann doch hinter vielen Fragestellungen verbirgt, kann aber auch Ausdruck einer Unsicherheit sein, wenn es um Wissen und mitunter auch Wissenschaft geht. Da ist es häufig einfacher (und vielleicht auch sicherer), sich auf scheinbar klare wie plausible Zusammenhänge zu reduzieren. Die allgemein gesunkene Aufmerksamkeitsspanne tut ihr Übriges. Das ist nicht gut, denn damit gehen Potenziale verloren oder führen zumindest in der Öffentlichkeit nur ein Schattendasein, obwohl mehr Aufmerksamkeit und Vielfalt wichtig wären.

So ist es auch bei „grünem“ Stahl respektive der grünen, klimafreundlichen Transformation der Stahlindustrie. Wenn man die Diskussionen und auch Statements von Ministern in der Vergangenheit verfolgte, schien es außer Wasserstoff nicht viele Heilsbringer zu geben. Und manchmal prägten eher ersehnte Visionen als Fakten den Diskurs. Dass es in diesen Zusammenhängen auch Kapazitätsengpässe und sonstige Restriktionen zu beachten gibt, wurde gerne verdrängt. Besser als Wasserstoff war nur mehr Wasserstoff, auch wenn es weder auf der Zeitachse noch hinsichtlich der Kosten realistisch ist. Dabei leisten nicht wenige europäische Hersteller von Stahl und Edelstahl bereits heute einen großen Beitrag zur Einsparung von CO2. Der Einsatz von Schrott als hochwertiger und nachhaltiger Recyclingrohstoff führt anders als die äquivalenten Primärrohstoffe bereits zu einer massiven CO2 Reduktion, auch und gerade im Vergleich zu den neuen asiatischen Wettbewerbern.

Was lange Zeit ausgeblendet wurde, findet nun endlich den Weg in die Foren und den Expertenaustausch, aber leider immer noch nicht so richtig in die Öffentlichkeit. Dabei ist die Bedeutung der eingesetzten Rohstoffe, neben der in einer Anlage verbrauchten Energie, für die Treibhausgasemissionen und weitere negative externe Effekte enorm. So wird bei einer umfassenden Betrachtung des Carbon Footprints eines Elektrofahrzeugs die ganze Sache plötzlich nicht mehr ganz so rund wie die Reifen. Abgesehen von der wesentlichen Bedeutung des Energiemixes zur Stromerzeugung (Stichwort: Kohle) sind es vor allem die Batterierohstoffe, die den Ökobilanzierern der Automobilhersteller den Schweiß auf die Stirn treiben. Denn dieser schwere, ökologische Rucksack aus der Produktion ist durch die Vorteile der niedrigeren Emissionen über die Nutzungsdauer erst nach sehr langer Zeit zu kompensieren.

Und was für die Autos gilt, gilt auch für den Stahl und Edelstahl. Neben Wasserstoff müssen auch die eingesetzten metallischen und sonstigen Rohstoffe mindestens ebenso im Mittelpunkt stehen, dass sie für einen ganz wesentlichen Teil der Treibhausgase verantwortlich sind. Schon heute werden in der europäischen Edelstahlproduktion deutlich über 80% des Rohstoffinputs über hochqualitative Edelstahlschrotte abgedeckt. Die mit hohem Schrotteinsatz produzierten Edelstähle unterscheiden sich qualitativ in keiner Weise von einem Stahl, der nur aus Primärrohstoffen hergestellt wird. Pro Tonne Schrotteinsatz in der Edelstahlproduktion werden nach Untersuchungen des Fraunhofer IMWS deutlich mehr als 4 Tonnen CO2 im Vergleich mit entsprechenden Primärrohstoffen eingespart, beim Kohlenstoffstahl sind es immerhin 1,67 Tonnen CO2. Gewaltige Mengen also.

Und es wird noch besser. Elektrolichtbogenöfen, als die modernen Aggregate zur Stahlschmelze, werden mit Strom betrieben, der bei ausreichender Verfügbarkeit komplett aus nachhaltiger Erzeugung stammen könnte. Es handelt sich also bei der europäischen Edelstahlproduktion um einen Leuchtturm nachhaltiger und grüner Stahlerzeugung. Auch in der hinsichtlich Schrotteinsatz nicht idealen Hochofenroute schlummern noch erhebliche Möglichkeiten. Nur leider ist das einer breiteren Öffentlichkeit gar nicht bekannt. Wurde der Blick lange Zeit zu einseitig nur auf den Wasserstoff gelenkt, weil das aufgrund der deutschen Hochofeninfrastruktur so geboten war?

Langsam finden die Rohstoffe und Schrott den Weg in das Bewusstsein. Dennoch fehlen derzeit noch Anreize für einen fairen Wettbewerb der Rohstoffe. Die negativen externen Klimakosten der zumeist importierten Primärrohstoffe werden bislang weder im Emissionshandelssystem der EU noch in dem unbedingt notwendigen Grenzausgleichsmechanismus CBAM ausreichend berücksichtigt. Daher wird der Rohstoffeinsatz aktuell weiter vor allem nach dem Preis entschieden. Das könnten die Stahlnachfrager und Konsumenten ändern, aber wären diese auch bereit mehr zu bezahlen? Es braucht vermutlich doch eine Mischung aus Regulierung und monetären Anreizen.

Wenn Sie mehr über die Potenziale, aber auch die Hürden des Stahl- und Edelstahlschrottrecyclings erfahren wollen, können Sie den Impulsvortrag „Carbon Footprint reduzieren – Leverage Stahl- und Edelstahlschrotteinsatz“ auf der Handelsblatt Tagung Zukunft Stahl 2023 am 7. März 2023 besuchen. Ferner sind folgende Links zu den zitierten Werten von Fraunhofer IMWS/IMW sowie zum Newsletterarchiv und den wissenschaftlichen Studien der Oryx Stainless Group weiterführend:

https://www.bdsv.org/unser-service/publikationen/studie-schrottbonus/

https://www.bdsv.org/unser-service/publikationen/studie-schrottbonus-konkret/

https://www.oryx.com/newsletter-studien