Artikel aus dem Handelsblatt Journal Future Workplace vom 30.08.2022
Wie wir starke Unternehmenskulturen in einer hybriden Arbeitswelt etablieren
Schon Goethe wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Genauso geht es Unternehmenslenkern heute, die sich tagtäglich die Frage stellen müssen, was zu tun ist, damit ihre Unternehmenskultur, ihre Corporate Soul, das Fundament ihres Erfolgs, nicht im hybriden Nirwana verschwindet.
Hier drängt sich die leise Vermutung auf, dass dieser genuine Zusammenhalt wohl eher nicht durch die Digitalisierung vorangetrieben wird, sondern durch das menschliche Miteinander. Die Redewendung, jemanden nicht riechen zu können, ist seit jeher bekannt. Wir Menschen nehmen unser Gegenüber anders wahr, wenn wir es mit all unseren Sinnen live erleben– und zwar deutlich schneller und präziser.
Also alle wieder zurück ins Büro? Da geht bereits der erste Aufschrei durch die Belegschaft. Viele wollen den Zugewinn an Freiheit im Homeoffice um keinen Preis aufgeben, während andere zu Hause vereinsamen. Auch hier kein „One size fits all“. Die Antwort wird sein: Hybrid, alles verhandelbar, ein sowohl als auch, kein entweder oder.
Unternehmen brauchen eine Seele
Ohne eine starke Unternehmenskultur, eine unverwechselbare Corporate Soul, werden Unternehmen in dieser hybriden Arbeitswelt früher oder später allerdings scheitern. Langfristige Bindung und Attraktivität als Arbeitgeber entstehen dann, wenn gerade nicht alles austauschbar ist, wenn Mitarbeitende ihre eigene Wertestruktur als ähnlich zu der des Unternehmens erleben und sich mit dessen langfristigen Zielen, der gemeinsamen Vision, identifizieren.
Was können Menschen mit Führungsverantwortung nun tun, um zu verhindern, dass im hybriden Arbeitskontext die Unternehmensseele erodiert? Wenn wir darauf schauen, wie sich Empathie zusammensetzt, stoßen wir unter anderem auf vier Säulen: Wahrnehmung, Verständnis, Antizipation und Resonanz. Virtuell ist die Wahrnehmung massiv eingeschränkt. Die Antwort auf dieses Problem liegt nahe: die anderen Komponenten stärker in den Fokus rücken. Beispielsweise das Verstehen, das proaktive Eingehen auf andere.
Bewusstsein schafft Raum für Neues
Eine einfache, fast schon banale Gleichung, und doch so schwer in der Umsetzung. Neues zu etablieren und Altes gehen zu lassen, erfordert Bewusstsein. Um dieses herzustellen, braucht es hin und wieder eine Pause. Der Psychiater und Neurologe Viktor Frankl sagte einst: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Gelingt es Führungskräften, diesen Raum zu schaffen, durch absichtliches Innenhalten, Reflektion, Sich-Zeit-Nehmen für jeden Einzelnen, kommen sie in unserer schnelllebigen Welt wieder in ihre Selbstwirksamkeit und damit vom Getrieben-Sein ins bewusste Gestalten.
Mitarbeitende möchten Zugehörigkeit spüren, sich als Teil des großen Ganzen begreifen. Das setzt voraus, dass jeder Einzelne weiß, was sein Beitrag zur Vision des Unternehmens ist. Aufgabe der Führung ist es auch, diesen Zusammenhang immer wieder aufzuzeigen. Menschen wollen gesehen und wertgeschätzt werden, ganz gleich ob vor oder hinter dem Bildschirm. Wer das nicht versteht, tat sich offline schon schwer und verliert online seine Mannschaft.
„3B-Framework“ von Building Corporate Soul basierend auf dem Soul SystemTM.
8 Dinge, um Ihre Corporate Soul in einer hybriden Arbeitswelt zu stärken:
1. Always put people first
Eine Organisation ist mehr als die Summe ihrer Teile. Da die Wahrnehmungskomponente im digitalen Raum massiv eingeschränkt ist, sollte mehr Fokus auf das aktive Verstehen-Wollen gelegt werden. Das bedeutet, sich Zeit zu nehmen, nachzufragen und sich zu interessieren.
2. Kultur von Organisationsklima unterscheiden
Kultur basiert auf Werten und Überzeugungen, die eine Gruppe von Menschen von einer anderen trennen. Das Klima ist die tägliche Atmosphäre in einem Team. Das Vorhandensein von klaren Unternehmenswerten und Verhaltensweisen, die die Werte unterstützen, ermöglicht es auch im Remote-Kontext, die Kultur zu leben, selbst wenn sie sich außerhalb des Klimas befindet.
3. Purpose, Vision, Mission klar definieren und den Beitrag jedes Einzelnen sichtbar machen
Wenn Mitarbeitende wissen, was ihr Beitrag zum großen Ganzen ist, wofür sie wertgeschätzt und gesehen werden, erhöht das ihr Gefühl von Zugehörigkeit und schließlich ihre Loyalität. Aufgabe der Führung ist es, diesen Bezug herzustellen und besonders auch die emotionale Bindung an das Unternehmen zu stärken.
4. Teams Zeit ohne Agenda geben
So entsteht Raum, um mit Führungskräften zu interagieren und Diskussionen darüber zu führen, ob die Entscheidungsfindung stets auf die Unternehmenswerte gestützt ist. Konsistenz stellt Vertrauen und Glaubwürdigkeit nach innen wie nach außen her.
5. Als Führungskraft eine Pause zwischen Reiz und Reaktion setzen, um die eigene Reflektionsfähigkeit/das eigene Bewusstsein zu erhöhen
Winston Churchill sagte einst: „Fear is a reaction, courage is a decision“. Sinnvolle Entscheidungen werden dann getroffen, wenn Menschen aus ihrer Selbstwirksamkeit heraus handeln. SAP geht mit gutem Beispiel voran und etabliert ganz selbstverständlich die Rolle des Chief Mindfulness Officers. Meditation und Achtsamkeitsübungen können sowohl die Sensitivität gegenüber sich selbst wie auch gegenüber anderen erhöhen.
6. Soul Driver im Unternehmen fördern und denen Sichtbarkeit geben, die inspirieren
Vielleicht kommen manche von allein öfter ins Büro, wenn es dort Menschen gibt, die Quell ihrer Inspiration sind. Menschen streben nach Wachstum und am schnellsten wächst man durch direkte Interaktion und Resonanz. Die besten Lernerfolge werden dann erzielt, wenn Information und Emotion gekoppelt sind.
7. Wahrhaftigen zwischenmenschlichen Austausch in der hybriden Arbeitswelt schaffen
Veränderung beginnt im Kopf. Geradezu zwanghaft wird versucht, Momente aus der Offline-Welt ins Virtuelle zu verfrachten – mit mäßigem Erfolg. Der gutgemeinte digitale Kaffeeklatsch wird nach etlichen Stunden VideoKonferenz zur Qual. Bewährt haben sich hingegen Walk & Talk-Telefonate, die noch dazu Wohlbefinden und Fitness fördern.
8. Walk your talk and keep your promises