Bis zum Netto-Null gibt es noch viel zu tun

Die Nachhaltigkeits-Vorständin der Allianz-Versicherung begrüßt die EU-Taxonomie, weil sie bei Anlagen für mehr Transparenz sorgt. Sie will das Ziel der Klimaneutralität in alle Geschäftsbereiche der Versicherung integrieren.  

Ihre Versicherung wird bis 2050 klimaneutral werden. Ist die gerade beschlossene EU-Taxonomie nach Ihrer Einschätzung für die Allianz-Anlagen eine gute Leitschnur?

Lassen Sie mich das größere Bild aufmalen: Wir haben eine Klimakrise, laut letzten UN-Daten sind wir auf dem Weg zu einer globalen Erwärmung von 2,7 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau – weit über dem, was sich die Welt laut Wissenschaft als Ziel setzen sollte. Wir müssen also die Wirtschaft transformieren; und dazu müssen alle Beteiligten einen Beitrag leisten.

Die Regulierung ist hier von entscheidender Bedeutung – das bringt uns zur Taxonomie: Der Green Deal, eine Reihe von Umweltinitiativen, die von der Europäischen Union ins Leben gerufen wurden, um bis 2050 den ersten kohlenstoffneutralen Kontinent der Welt zu schaffen, erfordert massive Finanzmittel. Der Investitionsplan, der ihn unterstützt, sieht Investitionen in Höhe von 1 Billion Euro (1,2 Billionen Dollar) über zehn Jahre vor. Davon soll etwa die Hälfte aus dem europäischen Emissionshandelssystem und dem EU-Haushalt stammen. Der Rest beruht auf der Mobilisierung privater Investitionen.

Die Taxonomie trägt dazu bei, Kapital in relevante Projekte zu lenken, indem sie Investoren mehr Sicherheit gibt, dass das, in das sie investieren, nachhaltig ist, also mit den EU-Umweltzielen übereinstimmt. Sie will eine Reihe von Standardkriterien bereitstellen, die Investoren und Finanzunternehmen bei der Prüfung potenzieller Investitionen verwenden können. Finanzunternehmen verfügen über Teams und Instrumente zur Messung der Umweltfreundlichkeit, jedoch fehlt ein gemeinsamer Kriterienkatalog, sodass die Bewertungen subjektiv und in der Branche uneinheitlich sind. Das wiederum verwirrt die Investoren.

Die Taxonomie schafft hier Abhilfe. Es handelt sich nicht um eine verbindliche Liste wirtschaftlicher Aktivitäten für Investoren, dennoch können Finanzunternehmen die Taxonomie nutzen, um glaubwürdige grüne Finanzprodukte zu entwickeln, die den Übergang zu einer Netto-Null-Zukunft finanzieren helfen. Ein Wörterbuch, in dem wir nachschlagen können, ob eine Investition als grün bezeichnet werden kann, gibt darüber hinaus allen den gleichen Bezugspunkt.

Die Maßnahmen der Europäischen Union zur nachhaltigen Finanzierung werden dazu beitragen, dass Europa ein lebensfähiger Wirtschaftsstandort bleibt. Wir begrüßen die EU-Taxonomie, da sie für institutionelle und private Anleger mehr Transparenz bei nachhaltigen Investitionen schafft.

Bis 2025 sollen die Allianz-Investments auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens hin untersucht werden. Wie sehen die bisherigen Ergebnisse aus? Wo sind die schwierigsten Klimaprobleme?

Wir haben schon viel erreicht, aber es gibt noch viel zu tun, um Netto-Null zu erreichen. Hier ein kurzer exemplarischer Überblick:

2019 hatten wir uns bereits Netto-Null-Ziele für die Anlage der Versichertengelder gesetzt, die wir bis 2050 erreichen wollen.

Anfang 2021 haben wir die ersten Zwischenziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in unserem eigenen Anlageportfolio bekannt gegeben: Bis 2025 werden die Emissionen aller Aktien und Unternehmensanleihen im Vergleich zu 2019 um 25 Prozent reduziert. Außerdem werden alle Immobilien, in die die Allianz investiert, bis 2025 in Bezug auf die Gesamtemissionen dem wissenschaftlich fundierten 1,5-Grad-Pfad entsprechen. Erste Ergebnisse zeigen, dass wir dabei auf einem sehr guten Weg sind.

Als Teil unserer Netto-Null-Umstellung haben wir angekündigt, den Schwellenwert für kohlebasierte Geschäftsmodelle für Sachversicherungen und Investmentportfolios zu senken, im Jahr 2022 haben wir die Umsetzung ihrer Klimastrategie beschleunigt und neue ehrgeizige Verpflichtungen sowohl im Kerngeschäft als auch im operativen Geschäft angekündigt, ein Teil davon sind neue Richtlinien mit Geschäften in Öl und Gas. Wir haben den Dialog mit Unternehmen über ihre Klimastrategien geführt und werden dies auch weiterhin tun, indem wir uns direkt an ihnen beteiligen und Plattformen nutzen.

Herausforderungen sind zum Beispiel fehlende zukunftsweisende Daten von Unternehmen, in die investiert werden soll. Es gibt viele verschiedene Klimaprobleme, und wenn wir Chancen wahrnehmen wollen, brauchen wir Daten, um faktenbasierte Entscheidungen zu treffen und die Fortschritte, die wir machen, zu messen.

Wie wollen Sie die Allianz-Mitarbeiter bei der nachhaltigen Transformation mitnehmen?

Seit gut eineinhalb Jahren bin ich nun Chief Sustainability Officer; mein Ziel ist es, Nachhaltigkeit vollständig in alle unsere Geschäftsbereiche und in die Art und Weise zu integrieren, wie wir die Allianz als Organisation führen, d.h. dieses Unternehmen mit seinen 150.000 Mitarbeitern. Konkret heißt das: Menschen, die Schadensfällen bearbeiten, sollten dahin kommen, Bearbeitung von Ansprüchen umweltfreundlicher zu gestalten, oder jemand, der im Betrieb arbeitet, muss verstehen können, wo die höchsten Emissionen generiert werden.

Viele der Allianz Mitarbeiter sehen also Nachhaltigkeitselemente zunehmend in ihrer eigenen Arbeit – je weiter die Integration von Nachhaltigkeit im Unternehmen voranschreitet, desto mehr. Gleichzeitig ist für viele unserer Mitarbeiter Nachhaltigkeit sehr relevant, auch privat. Ich bin seit fast 30 Jahren Teil der Versicherungsbranche und beobachte, dass die Menschen wirklich an Nachhaltigkeit arbeiten und ihre Kompetenz erhöhen wollen. Das Thema Nachhaltigkeit wird ein riesiges Weiterbildungs- und Aufwertungsthema sein, denn jeder Mitarbeiter wird es in seine spezifischen Jobs integrieren wollen und müssen.

Um sich mit diesem breiten Thema vertraut zu machen und den Wandel auch im eigenen Bereich vorantreiben zu können, haben wir zunächst ein E-Learning für unsere Mitarbeiter entwickelt. Es beantwortet die wichtigsten Fragen zur Nachhaltigkeit. Wir sind gerade dabei, es an alle Mitarbeiter zu verteilen.

Zudem haben wir natürlich auch eine globale, große Community, die ständig Informationen austauscht und verschiedene Aspekte wie die neuen Klimaberichte oder ganz konkrete Kundenlösungen wie Versicherungen für E-Autos diskutiert – im Intranet, in den sozialen Medien oder in Veranstaltungen.

Wenn Kollegen in verschiedenen Ländern an ähnlichen Themen arbeiten, bringen wir sie zur Zusammenarbeit und zum Ideenaustausch zusammen – oder starten an vielen Orten auf der Welt am selben Tag eine gemeinsame Aktion, wie den World Cleanup Day, eine Bewegung zur Abfallvermeidung.

In vielen Ländern engagieren sich unsere Mitarbeiter zudem in sozialen Initiativen und Corporate Volunteering-Aktivitäten.

Was für nachhaltige Produkte gibt es bei der Allianz und wie planen Sie die Produktpalette auszubauen?

Wir investieren seit über einem Jahrzehnt strategisch in kohlenstoffarme Anlagen. Dazu gehören erneuerbare Energien, zertifizierte grüne Gebäude und grüne Anleihen. Unser Programm Sustainable Solutions bietet Produkte und Dienstleistungen an, die darauf abzielen, einen gemeinsamen Wert zu schaffen, indem sie das Leben der Menschen verbessern und/oder einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben. Die Allianz ist einer der führenden Versicherer von kohlenstoffarmen Technologien. Im Rahmen unseres Sustainable-Solutions-Ansatzes bieten wir standardisierte und maßgeschneiderte Versicherungsprodukte an und versichern erneuerbare Energien in 70 Ländern.

Außerdem wollen wir die Auswirkungen von Klimarisiken reduzieren und Anreize für Präventivmaßnahmen schaffen, um die Widerstandsfähigkeit unserer Kunden zu erhöhen und klimabedingte Schäden zu kompensieren. Beispiele hierfür sind die von AGCS angebotenen Risikoberatungsdienste, unsere aktive Unterstützung der InsuResilience Global Partnership und unsere Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zur Erprobung innovativer Versicherungslösungen in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Ihre Versicherung wird die Kunden bei der klimaneutralen Transformation unterstützen. Aber müssen bestimmte Branchen und Unternehmen, denen diese Transformation bis 2050 nicht gelingen kann, nicht von Allianz-Versicherungsprodukten ausgeschlossen werden?

Die Allianz engagiert sich sehr für Nachhaltigkeit, insbesondere für die Bekämpfung des Klimawandels und die Unterstützung des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Dies ist für uns alle wichtig, nicht nur für die Allianz als Unternehmen. Der jüngste Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erinnert uns erneut daran, wie dringend wir handeln müssen. Die neuesten Erkenntnisse zeigen, dass die Emissionen bis 2025 ihren Höhepunkt erreichen müssen, es bleiben also nur noch weniger als drei Jahre, um zu handeln. Dies ist eine Herausforderung für viele Unternehmen.

Wir wollen der langfristige Partner auf der Versicherungs- und Anlageseite für den Wandel der Unternehmen sein.  Wir als Allianz stehen bereit, mit Finanzierungs- oder Versicherungslösungen zu unterstützen, um diesen notwendigen Übergang zu ermöglichen. Da der Schwerpunkt unserer Arbeit darin besteht, den Wandel voranzutreiben, erwarten wir auch Veränderungen. Deshalb steht zum Beispiel im Mittelpunkt unseres Ansatzes, in Öl- und Gasunternehmen zu investieren und sie zu versichern, die Erwartung, dass Unternehmen sich zu Netto-Null-Treibhausgasemissionen verpflichten, ähnlich wie bei unserem ersten Schritt im Rahmen der Net-Zero Allianzen.

Ihr Heimatland ist auf dem Weg zur Klimaneutralität schon besonders weit. Was kann Deutschland von Norwegen lernen?

Die Norweger haben das hohe Niveau der deutschen Autos schon immer etwas bewundert. Mein 85-jähriger Vater zum Beispiel hatte immer von einem cremegelben deutschen Mercedes Benz geträumt (lächelt). Deshalb werde ich ein Beispiel aus der norwegischen Automobilindustrie anführen, weil es gut zeigt, wie Regierungen Veränderungen vorantreiben können.

Die norwegische Regierung hat zusammen mit dem Privatsektor begonnen, große Anstrengungen zu unternehmen, um die Transformation der Automobilindustrie voranzutreiben. Dies geschah etwa durch Subventionierung von Elektroautos, Steuererleichterungen oder kostenlose Parkplätze. Parallel dazu wurde und wird in Norwegen das Ladenetz ausgebaut. Heute kann man mit einem E-Auto vom Süden des Landes in den Norden fahren, ohne in Schwierigkeiten zu geraten, denn es gibt ein gutes Netz an Ladestationen.

Infolgedessen verlagern sich die Norweger auf Elektrofahrzeuge: Ende 2021 waren rund 65% der Neuwagen elektrisch, 25% hybrid und 10% basierten auf fossilen Brennstoffen. Die meisten der zugelassenen E-Autos sind übrigens Privatfahrzeuge. Und der Trend für E-Autos wird noch stärker: Von 2020 bis 2021 stieg der Anteil von Elektrofahrzeugen an der Gesamtzahl der zugelassenen Autos um 36%, der von Hybridautos um 19%.

Gleichzeitig machen klassische Gasfahrzeuge 31% aller Personenkraftwagen aus, ein Rückgang von 6% gegenüber 2020. Das finde ich großartig, weil es den Wandel, der möglich ist, so gut beschreibt.

Die Fragen stellte Sabine Haupt