Aufklärung, Auswertung, Prävention

NACHRICHTENDIENSTE ALS INSTRUMENT DER RESILIENTEN DEMOKRATIE

von Thomas Haldenwang

Resilienz ist das Modewort der Stunde – und als neues Kriterium für die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften in aller Munde. Die steile Karriere des Begriffes ist plausibel, denn in den vergangenen 20 Jahren mussten Politik und Gesellschaft reaktiv mehreren großen Krisen trotzen. Internationaler Terrorismus, eine Finanzkrise, der Klimawandel und die aktuelle Pandemie haben die Verwundbarkeit interdependenter Gesellschaften schmerzhaft offengelegt. Es verbreitet sich ein Bedürfnis nach vorausschauenden Strategien zur Krisenbewältigung – und ein neues Bewusstsein für die Notwendigkeit robuster Sicherheitsarchitekturen.

Aus dem Blickwinkel der Resilienz wird „robust“ dabei zunehmend als Fähigkeit verstanden, Risiken zu antizipieren und die eigenen Ressourcen flexibel auf erkannte Bedrohungen auszurichten. Es gilt, Schäden frühzeitig zu verhindern oder auf ein kontrollierbares Maß einzugrenzen.

In diesem Sinne ist das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits durch seinen gesetzlichen Auftrag ein effizienter Dienstleister für die Widerstandskraft einer offenen, aber wehrhaften Demokratie. Für den Schutz aller in Deutschland lebenden Menschen und die Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist es unabdingbar, dass Extremismus und Terrorismus sowie Spionage, Sabotage und illegitime Einflussnahme fremder Mächte frühzeitig aufgeklärt werden. Dafür arbeiten wir als Inlandsnachrichtendienst im Bedarfsfall auch mit verdeckten Mitteln – sei es in der sogenannten Realwelt oder im Cyberraum.

Unsere Auswertungserkenntnisse bleiben jedoch nicht im Verborgenen, sondern informieren und  sensibilisieren in vielfältigen Produkten politische Entscheidungsträger, zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit. Denn wir verstehen uns als dienender Akteur der wehrhaften Demokratie – und den informierten Bürger als Grundbaustein einer resilienten, demokratischen Sicherheitsarchitektur. Nur wenn ein ausreichend valides Bild der Sicherheitslage zur Verfügung steht, können entsprechende Entscheidungen getroffen, Maßnahmen verabschiedet und Ressourcen mobilisiert werden.

Bekanntlich mobilisiert das Bundesamt für Verfassungsschutz seit vielen Jahren enorme Ressourcen im Bereich der Cyberabwehr. Die hohe Attraktion potenzieller Spionageziele im Vorfeld der Bundestagswahl oder im Bereich der Impfstoffentwicklung rechtfertigten an dieser Stelle jede weitere Anstrengung. Infolge der Pandemie hat sich durch die intensivierte Nutzung von Fernzugriffstools im Homeoffice eine ohnehin uferlose Angriffsfläche nochmals sprunghaft ausgedehnt. Und so bleibt das Niveau der Bedrohung hoch. Ungebrochen sind Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, Forschung und Kritische  Infrastrukturen begehrte Hochwertziele von Cyberangriffen. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Vielmehr beunruhigt die hohe Komplexität und Raffinesse zahlreicher Kampagnen. Beispielhaft dafür ist der im Dezember 2020 medienwirksam gewordene, großangelegte Supply-Chain-Angriff auf einen US-amerikanischen IT-Dienstleister. Nachdem der Schadcode in eine Netzwerk-Monitoring-Software eingeschleust worden war, erfolgte über legitime Updates die Auslieferung manipulierter Software an Firmenkunden. Betroffen war auch deutsche Kundschaft aus der Wirtschaft, Verwaltung sowie Bundesbehörden. Während hinter diesem Vorfall ein staatlicher Akteur vermutet wird, beobachten wir grundsätzlich mit Sorge, dass sowohl in der analogen als auch in der digitalen Sphäre Grenzen zwischen staatlichen und privaten Protagonisten verschwimmen – und damit eine quantitative wie qualitative Entgrenzung einhergeht.

Um in einer solchen Lage Spionage-, Sabotage- oder auch illegitime Einflussnahmeaktivitäten wirksam abwehren zu können, ist sowohl die internationale Kooperation mit anderen Diensten als auch der intensive Informationsaustausch im Nationalen Cyberabwehrzentrum unverzichtbar. Darüber hinaus umfasst die ganzheitliche Agenda des Bundesamtes für Verfassungsschutz neben der nachrichtendienstlichen Fallbearbeitung auch eine Vielzahl von Sensibilisierungsmaßnahmen. Denn um die Resilienz aller gefährdeten Stellen zu stärken, detektieren wir nicht nur staatliche Cyberangriffe und bemühen uns um eine Zuordnung, sondern ermöglichen durch gezielte Präventionsarbeit auch die Teilhabe an unseren Erkenntnissen zu den Modi Operandi der Angriffskampagnen. So brachten wir etwa in die Erstellung eines bundesweiten Lagebildes zur möglichen Gefährdung der Bundestagswahl unsere langjährige Expertise ein. Zahlreich erkannte Phishing-Angriffe der Cybergruppierung GHOSTWRITER mit Fokus auf private E-Mail-Adressen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Landesparlamente veranlassten uns, gemeinsam mit anderen Behörden auch kurzfristig intensive Sensibilisierungen im politischen Raum durchzuführen. Obwohl die Gefahr einer Desinformations- oder Einflussnahmekampagne abstrakt blieb, gaben wir unsere Erkenntnisse an die relevanten Zielgruppen weiter. Denn im Hinblick auf eine erfolgreiche Prävention gilt für Nachrichtendienste die Ausnahme: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold.

Damit alle Potenziale zugunsten einer Demokratie mit hoher Resilienz abgerufen werden, bedarf es  jedoch auch der strengen Selbstprüfung aller beteiligten Kräfte. Auf die anhaltend dynamische Sicherheitslage reagiert das Bundesamt für Verfassungsschutz ebenfalls mit anhaltender, innerer Dynamik. Nur in Bewegung und in konsequenter Fortentwicklung können die mannigfaltigen Herausforderungen gemeistert werden. Angesichts stetig steigender Datenmengen investieren wir in zukunftsfähige Technologie – etwa in Big Data-Infrastrukturen und den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Um technisch hoch versierten Angreifergruppierungen auf Augenhöhe begegnen und Forensik- oder Malwareanalysen durchführen zu können, ist für unsere Cyberabwehr eine adäquate technische Ausstattung essenziell.

Diese Schritte sind notwendig und rentabel, denn es gilt der Grundsatz, dass nur durch Technik und harte Arbeit aus Daten valide Erkenntnisse werden – und aus Erkenntnissen eine gewinnbringende Information für Entscheidungsträger. Deshalb ist unser Anspruch ein reaktionsschneller Nachrichtendienst, der volatilen Lageentwicklungen agil entgegentritt – und die Resilienz unserer Demokratie stärkt.

Wir verstehen uns als dienender Akteur der wehrhaften Demokratie – und den informierten Bürger als Grundbaustein einer resilienten, demokratischen Sicherheitsarchitektur

Als Inlandsnachrichtendienst arbeiten wir im Bedarfsfall auch mit verdeckten Mitteln – sei es in der sogenannten Realwelt oder im Cyberraum

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Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „CYBER SECURITY & DATENSCHUTZ“ erschienen. Das vollständige Journal können Sie sich hier kostenlos herunterladen:
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