3 Fragen an Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang

Frage 1)       
Wovon geht aus Ihrer Perspektive derzeit eine höhere Bedrohung für Unternehmen und Organisationen in Deutschland aus: Von Cyberattacken, die von Kriminellen als Geschäftsmodell betrieben werden oder von staatlichen Angriffen und Spionageaktivitäten?

Verfassungsschutzrelevant und damit im Fokus des BfV sind lediglich staatlich gesteuerte Cyberangriffe. Wir nehmen aber wahr, dass die Grenzen zwischen Cyberspionage und Cybercrime zunehmend verschwimmen. Wir müssen uns auf neue Herausforderungen einstellen, etwa wenn Spionageaktivitäten „outgesourct“ werden oder staatliche Stellen vermeintlich kriminelle Cyberangriffe als Deckmantel für eigene Operationen nutzen. Auch ihr Zielspektrum wechseln staatliche Akteure flexibel, von Wirtschaft zu Politik und umgekehrt. Im Austausch mit unseren internationalen Partnern und durch Erkenntnisse aus operativen Maßnahmen werden wir diesen Entwicklungen begegnen.

Frage 2)
Als wie bedrohlich schätzt Ihre Behörde die Digitale Desinformation durch Russland in den Sozialen Medien für die Demokratie in Deutschland ein?

Russland verbreitet seit Jahren Desinformation in Deutschland, dies ist kein neues Phänomen. Insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hat die Verbreitung pro-russischer Desinformation jedoch stark zugenommen. Russische Akteure nutzen alle Wege der Verbreitung, dabei erfahren auch Kanäle in sozialen Medien in Deutschland großen Zulauf.

Der Ton dabei wird offensiver und aggressiver. Die vermeintliche Anonymität in sozialen Medien kann diese Entwicklung verschärfen und zu einem Echokammer-Effekt führen.

Inhaltlich wird versucht, die russischen Kriegshandlungen zu legitimieren, aber auch Spaltungslinien innerhalb der deutschen Gesellschaft zu öffnen und Misstrauen in das staatliche Handeln hierzulande zu schüren. Dabei werden Fragen und Themen bedient, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden – wie beispielsweise die Sorgen bezüglich einer möglichen Gasmangellage, der Inflation oder vor einer Einbeziehung Deutschlands in unmittelbare Kriegshandlungen.

Gezielte Desinformationen können dazu beitragen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Demokratie zu schwächen.

Frage 3)
Russland ist der Sturm, China der Klimawandel – gilt dies Ihrer Ansicht nach auch für den Bereich Cybersicherheit?

Die Aussage umschreibt zwei verschiedene generelle politische Strategien, mit denen die Russische Föderation zum einen und die Volksrepublik China zum anderen ihr Handeln verfolgen.

So sind Aktionen von staatlicher russischer Seite überwiegend kurzfristig angelegt, um in aktuellen politischen oder wirtschaftlichen Interessen oder Konfliktfeldern die sonstigen Maßnahmen der russischen Führung zu flankieren.

Die Volksrepublik China verfolgt dagegen einen ganzheitlichen langfristigeren Ansatz. der sich beispielsweise auch im Masterplan „Made in China 2025“ widerspiegelt. Dazu gehören die Übernahme digitaler Infrastruktur weltweit, strategische Investitionen und die Etablierung von Technologiestandards, aber auch die Schaffung von technologischer Abhängigkeit der westlichen Welt. Eine solche stetig zunehmende Abhängigkeit von China in Bezug auf Daten, Technik, Fertigungskapazitäten und Rohstoffe kann direkte Implikationen für die Sicherheit Deutschlands haben – nicht nur im Cyberraum.

Digitalisierung und technologische Entwicklungen ermöglichen immer komplexere Cyberspionageangriffe. Bleibt die Cybersicherheitslage angespannt, werden uns auch die Aufklärung und Attribution sowie Prävention chinesischer Aktivitäten im Cyberraum weiter herausfordern.