Zwischen Home Alone und Club-Atmosphäre

In unserer zunehmend ökonomisierten und effizienten Welt hat die Frage nach dem „Was will  der Mensch wirklich?“ fast schon einen philosophischen Charakter. Ändern wir die Fragestellung  mit Blick auf die moderne Bürotätigkeit nur leicht ab in „Wie will der Mensch zukünftig arbeiten?“, kommt mit Wucht das Preisschild um die Ecke geflogen. Hier die Anbieter von funktionalen, zentralen oder weniger zentralen, effizienten oder weniger optimalen Büroimmobilien, die mit marktadäquaten Mieten locken. Dort der Wunsch der Nutzer „zukünftig doch etwas mehr Home Office zu machen“. Diese Gleichung kann folglich nicht aufgehen. Ein kurzes, doch nachvollziehbares Ergebnis wäre: Insgesamt benötigen wir zukünftig weniger Bürofläche. Derweil kommt der weltgrößte Versuch „ob Remote Working denn auch funktioniert“ gerade in die Verlängerung.

Die neue Büro-Realität in Zahlen
Sichtet man eine Vielzahl von Umfragen bei Bürobeschäftigten, kristallisiert sich – je nach Qualität der Fragestellung – zumindest in Deutschland die Kategorie „1-2 Tage“ als am häufigsten angekreuzte heraus, gefolgt von „1 Tag“. Wie hat man sich das aber vorzustellen, wenn an einem Tag pro Woche der Büroarbeitsplatz nicht aufgesucht wird? Wird dieser Platz dann exakt an diesem Tag im Sinne der Optimierung von einer anderen Person belegt? „Nein“, lautet zumindest bisher die gängige Antwort. „Dort sitzt am Freitag eh nie einer“. Soweit zur Realität. Auf fünf Arbeitstage bezogen wären wir in einer idealtypisch simplifizieren Grobrechnung bei 20% weniger Büro, zumal der Arbeitgeber sich die freitägliche Leere auf Dauer nicht lange anschauen wird. Denn neben Personalkosten sind Flächenkosten in der Regel der zweitgrößte Kostenblock. Das schreit nach Effizienz im Sinne von: „entweder mehr Personal auf der gleichen Fläche an einem zentralen Ort zusammenbringen oder die gleiche Anzahl auf eben weniger“. Weitere Organisationsprobleme tauchen auf: Was, wenn die Mehrzahl nicht freitags zuhause bleiben möchte oder gar noch die Wahlmöglichkeit hat? Wie umgehen mit Spitzenzeiten, z. B. beim Ultimo oder bei Gruppenmeetings? Schon wird klar, dass auch immer  eine stille Reserve an Desks vorgehalten werden sollte. Denn auch die jahrelang sträflich vergessenen Besprechungsräume mit mehr als 20 Plätzen sind auf Dauer keine Lösung zum Arbeiten. Schon werden die eingangs postulierten 20% Einsparpotenzial wieder weniger. Also doch nicht so schlimm das Ganze?

Willkommen in der Office-Lounge
Hier kommt ein dritter Aspekt ins Spiel, welchen gerade die Anbieter von Co-Working aktuell  gerne spielen: „Kommt zu uns“ – ob am Stadtrand oder neben dem Hauptbahnhof gelegen. Ein Tag die Woche zwischen Haustür und Büroplatz ist ökonomisch, sozial und in Teilen auch ökologisch fantastisch. Trefft auch Eure Kollegen zur Sitzung in der Lounge in unserer coolen Clubatmosphäre mit Blick über die Stadt. Wer hat hier kein positives Bild vor Augen? Ergebnis: Ein neuer Wettbewerb mit einer starken Durchdringung der Büroflächenanbieter durch Co-Working-Unternehmen wird einsetzen. Gemäß dem Motto der „verlängerten Werkbank folgend“ schlummert in der Tat ein gewaltiges Restrukturierungspotenzial in diesem Modell. Ob diese neuen Hot Spots dann im Stadtzentrum oder eben peripher gelegen sein sollten, dafür aber mittels ÖPNV optimal angebunden sein müssen, ist eine weitere Facette in der Betrachtung.

Zurück auf den Startpunkt?
Nachdem die Ideologie und Forderung nach der Flexibilisierung der Bürotätigkeit jahrelang immer wieder mit vermeintlich stichhaltigen Argumenten („Versicherungsschutz“, „IT-Sicherheit“, „sensible Gespräche“ oder „Entfremdung“) eher als nettes Recruiting-Instrument der HR-Abteilung in Zeiten von Personalmangel gesehen wurde, fand der Beweis statt: Es geht offensichtlich doch. Ergebnis: Ein Zurück auf die Büroflächen zu einer Zeit „vor dem Virus“ wird es in der Reinform nicht mehr geben. Auch bei wohlwollender Betrachtung: Der Quantität an Büroflächen zwischen Aachen und Görlitz und zwischen Flensburg und Oberstdorf wird es nicht mehr bedürfen. Klar ist aber auch, dass gerade in den kommenden Jahren ein neuer Wettbewerb um Büroflächen entstehen wird. Strukturbrüche werden sichtbar werden, Effizienzsteigerungen, neue Büroformen in zentraleren Lagen an Verkehrsknotenpunkten ebenfalls. Aber was das nicht immer so?

Handelsblatt Journal
Dieser Artikel ist im aktuellen Handelsblatt Journal „Immobilienwirtschaft“ erschienen.

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