Zum D&O-Versicherungsschutz der Geschäftsleitung in der Insolvenz

Dr. Jan Kraayvanger, Rechtsanwalt und Partner im Bereich Litigation & Dispute Resolution, Mayer Brown LLP

Zu einem der haftungsträchtigsten Szenarien für einen Geschäftsleiter zählt die (drohende) Insolvenz der Gesellschaft. Im Insolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter gehalten, zur Anreicherung der Insolvenzmasse im Gläubigerinteresse Haftungsansprüche gegen die Geschäftsleitung zu prüfen und ggf. gerichtlich zu verfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Hintergrund eine D&O-Versicherung mit einer auskömmlichen Deckungssumme steht.

Ob bei einer Inanspruchnahme der (ehemaligen) Geschäftsleitung die D&O-Versicherung dann aber auch tatsächlich greift und das Privatvermögen der Geschäftsleiter schützt, steht auf einem anderen Blatt. Dies zeigt einmal mehr eine vielbeachtete, mittlerweile rechtskräftig gewordene Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden aus dem vergangenen Jahr (LG Wiesbaden, Urteil vom 6. März 2019 – 5 O 234/17).

DIE ENTSCHEIDUNG DES LG WIESBADEN

Das Gericht hatte über folgenden Sachverhalt zu befinden: Der Insolvenzverwalter einer Genossenschaft macht gegen den D&O-Versicherer einen Deckungsanspruch aus abgetretenem Recht geltend. Die Genossenschaft unterhält bei der Beklagten seit Oktober 2004 eine D&O-Versicherung für ihre beiden Vorstände und die (personenidentischen) Geschäftsführer ihrer Tochtergesellschaften. Versicherungsfall ist die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person. Die Police enthält eine Nachhaftungsklausel, wonach Inanspruchnahmen versichert sind, die „nicht später als zwei Jahre nach Beendigung der Vermögenshaftpflichtversicherung geltend gemacht […] werden, soweit es um Pflichtverletzungen geht, die vor Vertragsende begangen wurden“ (Urteil, juris-Rn. 2).

Kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 25. Februar 2013 sein Wahlrecht nach § 103 InsO über die Versicherungspolice aus. Nach dieser Vorschrift kann der Insolvenzverwalter bei einem noch nicht beidseitig vollständig erfüllten Vertrag wählen, ob dieser erfüllt werden soll oder nicht. Wählt er Vertragserfüllung, muss er die Gegenleistung aus der Insolvenzmasse leisten. Wählt er Nichterfüllung, wird der Vertragspartner von seiner Leistungspflicht befreit und kann seine Forderungen wegen Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Vorliegend wählte der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung des Versicherungsvertrags und verweigerte die Prämienzahlung für die Versicherungsperiode 1.1.2013 bis 1.1.2014. Die Beklagte meldete ihren Prämienanspruch zur Insolvenztabelle an.

Ende Dezember 2014 nahm der Insolvenzverwalter die Vorstände und Geschäftsführer auf Schadenersatz wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten bei der Vergabe unbesicherter bzw. nicht ausreichend besicherter Darlehen in Zeiten der Krise der Gesellschaften in Anspruch. In der Folge wurden die Vorstände und Geschäftsführer zu Schadenersatzzahlungen von über EUR 5,5 Millionen verurteilt.

Die Beklagte lehnte die Deckung ab. Daraufhin traten die Vorstände und Geschäftsführer sämtliche versicherungsrechtlichen Freistellungsansprüche gegen die Beklagte an den Insolvenzverwalter ab und dieser erhob die vorliegende Klage auf Deckung der ausgeurteilten Schadenersatzansprüche.

Das LG Wiesbaden folgt der Rechtsauffassung der Beklagten und verneint die Einstandspflicht des D&O-Versicherers aus zwei Gründen:

Da der Insolvenzverwalter für die Versicherungsperiode 2013 keine Prämie gezahlt habe, bestehe für diese Versicherungsperiode kein Versicherungsschutz. Die Nachmeldefrist von zwei Jahren bewirke, dass der Versicherungsfall der letzten Versicherungsperiode vor Vertragsende zuzuordnen sei. Dies sei aber nicht die letzte bezahlte Versicherungsperiode 2012 – wie der Kläger argumentiert – sondern die Versicherungsperiode 2013. Für diese bestehe aber aufgrund der nicht geleisteten Prämie kein Versicherungsschutz. Zudem habe der Kläger auch durch die Erklärung der Nichterfüllung nach § 103 Abs. 2 InsO das Recht verloren, von der Beklagten Erfüllung etwaiger Freistellungsansprüche verlangen zu können.

Zusätzlich sieht das Gericht den versicherungsrechtlichen Deckungsausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung durch die Vorstände und Geschäftsführer als gegeben an. Die Vorstände bzw. Geschäftsführer hätten die Darlehen „offensichtlich in Überschreitung eines anzuerkennenden Ermessensspielraums“ vergeben, „nämlich ausschließlich zur Hinauszögerung einer drohenden Insolvenz der Genossenschaft bzw. der Gesellschaft“ (Urteil, juris-Rn. 140). Die Gewährung von unbesicherten bzw. nicht ausreichend besicherten Darlehen in Zeiten der Krise der eigenen Gesellschaft stelle ein Verhalten dar, das mit den Grundsätzen eines wirtschaftlich handelnden und den buchhalterischen Grundsätzen verpflichteten Vorstands bzw. Geschäftsführers nicht zu vereinbaren sei. Die laufende Prüfung der Bonität der Darlehensnehmer und die Prüfung der Werthaltigkeit der Zahlungsansprüche sowie die Gewährung von Darlehen nur unter Bestellung ausreichender Sicherheiten gehörten zu den fundamentalen Grundregeln der beruflichen Tätigkeiten eines Geschäftsleiters. Das LG Wiesbaden stellt zudem klar, dass diese Kardinalpflichten unabhängig von der Ressortaufteilung für beide Vorstände gleichermaßen im Rahmen ihrer jeweiligen Gesamtverantwortung und damit unabhängig von einer etwaigen internen Geschäftsverteilung bestünden. Die Vorstände hätten in Kenntnis der fehlenden Kreditwürdigkeit der jeweiligen Darlehensnehmer die Darlehen ausgekehrt. Dies begründe eine wissentliche Pflichtverletzung, so dass sich die Beklagte zurecht auf diesen Deckungsausschluss berufen habe.

FAZIT

Die Entscheidung des LG Wiesbaden führt einmal mehr vor Augen, wie risikobehaftet der Versicherungsschutz für die Geschäftsleitung gerade – aber nicht nur – in der Insolvenz ist.  Insbesondere veranschaulicht der Fall, dass der Geschäftsleitung nach ihrem Ausscheiden der Versicherungsschutz ohne ihr Zutun etwa durch Kündigung oder eine nicht erfolgte Prämienzahlung entzogen werden kann. Zwar kann sich ein Geschäftsleiter von der Gesellschaft im Anstellungsvertrag zusichern lassen, den Versicherungsschutz für einen gewissen Zeitraum nach seinem Ausscheiden aufrecht zu erhalten. Dies nutzt ihm aber gerade in der Insolvenz nichts, da hierdurch das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO nicht berührt wird.

Der D&O-Versicherung ist aufgrund ihrer Dreiecksstruktur zwischen Versicherer, Versicherungsnehmerin (Gesellschaft) und versicherter Personen (Geschäftsleiter) das Risiko immanent, dass die versicherten Personen […] aufgrund eines Leistungshindernisses im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmerin ihren Versicherungsschutz verlieren.

Der D&O-Versicherung ist aufgrund ihrer Dreiecksstruktur zwischen Versicherer, Versicherungsnehmerin (Gesellschaft) und versicherter Personen (Geschäftsleiter) das Risiko immanent, dass die versicherten Personen – ohne hierauf Einfluss nehmen zu können – aufgrund eines Leistungshindernisses im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmerin ihren Versicherungsschutz verlieren. Dieser strukturbedingte Nachteil lässt sich nur durch den Abschluss einer individuellen D&O-Versicherung vermeiden, bei der der jeweilige Geschäftsleiter selbst als Versicherungsnehmer die Police mit dem Versicherer abschließt. Allerdings sind die im Markt verfügbaren Deckungssummen bei weitem geringer als für herkömmliche Unternehmens-D&O-Versicherungen.

Regelmäßig liegt es aber auch im Interesse des Insolvenzverwalters, den Versicherungsanspruch nicht zu gefährden, solange Haftungsansprüche gegen die Geschäftsleitung im Raum stehen. Zwar ist der Insolvenzverwalter gegenüber der Geschäftsleitung nicht verpflichtet, den Versicherungsschutz aufrecht zu erhalten. Bereits im Jahr 2016 hat der BGH klargestellt, dass den Insolvenzverwalter keine Verpflichtung trifft, eine Haftpflichtversicherung aus Mitteln der Masse zu bestreiten, um den Geschäftsführer von einer etwaigen Haftung zu befreien (BGH, Beschluss v. 14. April 2016 – IX ZR 161/15). Jedoch kann er sich gegenüber den Gläubigern schadenersatzpflichtig machen, wenn ein an sich gedeckter Anspruch nicht vollständig zur Masse gezogen werden kann, weil das Vermögen der versicherten Person zur vollständigen Befriedigung der Ansprüche nicht ausreichend ist.

Auch der Haftungsausschlussgrund der wissentlichen Pflichtverletzung spielt in der Praxis eine herausragende Rolle und kann zu erheblichen Unsicherheiten im Hinblick auf den Versicherungsschutz der Geschäftsleitung führen. Dies gilt insbesondere bei der Verletzung sogenannter Kardinalpflichten durch die Geschäftsführer. Hier kann regelmäßig unterstellt werden, dass den Geschäftsführern diese Pflichten bekannt waren. Diesen Pflichten können sich einzelne Geschäftsführer auch nicht durch eine Ressortaufteilung entziehen (siehe hierzu auch BGH, Urteil vom 6. November 2018 – II ZR 11/17). Gleichwohl ist auch hier zu prüfen, ob den Geschäftsführern die tatsächlichen Umstände, die zu der Pflichtverletzung führten, bekannt waren. Die Beweislast hierfür trifft den Versicherer.