Zeit für einen Mutausbruch

Die Digitalisierung in der psychischen Gesundheitsvorsorge steckt voller Emotionen

Digitalisierung berührt uns – löst Emotionen aus, macht gewissermaßen Angst. Ein natürlicher Mechanismus, handelt es sich dabei doch um einen Schritt ins Unbekannte. Aus der Psychologie weiß man, dass Veränderungen meist nicht spurlos an uns Menschen vorübergehen. In extremer Form kann diese sogar pathologische Ausmaße annehmen – man spricht hier von der sogenannten Methatesiophobie.

Doch meistens sind gerade die gefürchteten Veränderungen das, was wir brauchen, um wachsen und neues Potential entfalten zu können. Wenn wir akzeptieren, dass wir in einer Welt voll Dynamik und Wandel leben, kann es uns leichter fallen, uns diesen Dingen zu öffnen.

Wie Digitalisierung neuen Raum für Emotionen schaffen kann

Veränderung wird aber nicht nur durch Angst begleitet – damit einher geht auch Neugier, Inspiration und Optimismus. Während der Bereich der digitalen Gesundheitsvorsorge noch sehr technisch und kühl zu sein scheint, steckt gerade hier ein sehr großes Potential dahinter, den Menschen da abzuholen, wo er/sie sich im Moment befindet – nämlich mitten im Leben! Probleme und Sorgen warten meist nicht auf den nächsten Arzttermin und die eigene Gesundheit möchte auch nicht in die Hände “irgendwelcher” Personen gelegt werden. In unserer schnelllebigen Zeit wünschen wir uns einen Gegenpol zu dem sonst oft so unplanbaren Alltag: Nämlich Hilfe, die schnell und einfach da angreift, wo sie entsteht – im Hier und Jetzt! Regionale Hindernisse, fehlende Verfügbarkeit und mangelnde Vereinbarkeit mit dem eigenen Alltag stehen diesem gesteigerten Bedarf aber im Weg. Hinzu kommt wieder die Angst – vor Stigmatisierung, vor dem Zeigen von Schwächen, vor dem “nicht funktionieren”.

Zeit für einen Mutausbruch – Gehen wir den nächsten Schritt

Um den Bedürfnissen gerecht zu werden, braucht es neue Ideen, neue Routinen und bisher nicht beschrittene Wege. Es erfordert Vertrauen in neue Technologien, Offenheit für Dynamik und Wandel sowie Mut – den Mut, neuen Wegen eine Chance zu geben.

Laut dem Euromonitor Report wird es im Gesundheitsbereich in den nächsten Jahren geradezu zu einem Paradigmenwechsel kommen. Wir bewegen uns weg vom Behandlungssystem hin zu einem präventiven Gesundheitssystem, in dem digitale Anwendungen einen enormen Stellenwert einnehmen. Um dieser Entwicklung gewachsen zu sein, müssen wir uns weiterentwickeln: Qualifizierungsmaßnahmen für Expertinnen und Experten schaffen, die in diesem Bereich tätig sind und vor allem Wissen und Erfahrung sammeln – über mögliche Veränderungen, welche Digital Health Maßnahmen mit sich bringen.

Grenzen und Hindernisse der Digitalisierung

Auch wenn es im DACH Raum bereits seit vielen Jahren Lösungen im E-Health-Bereich gibt, hinken wir anderen Märkten hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen noch massiv hinterher. Es fehlen nach wie vor klare Richtlinien, was online möglich ist und wo die Grenzen liegen, um eine sichere und vertrauensvolle Behandlung garantieren zu können. Die pauschale Ablehnung gegen Online-Angebote steht einer Welt im Weg, in welcher digitale- und offline-Versorgung ineinander greifen. Erst wenn wir die radikale Grundhaltung in beiden Positionen verlassen und lernen, die Vorteile beider Welten zu vereinen, können wir neue Schritte gehen.

Ungleichstellung physischer und psychischer Gesundheitsversorgung: es braucht Mut für ein inklusives Gesundheitssystem

Weitere Hürden finden sich in Ungleichstellungen in der Gesundheitsversorgung. Für eine inklusives Gesundheitssystem sollte der Zugang zur (digitalen) Gesundheitsversorgung gleichberechtigt sein. Es herrscht eine Diskriminierung zwischen physischer und psychischer Gesundheitsversorgung. Es fehlt die finanziellen Abrechenbarkeit und die Förderung psychischer Leistungsangebote. Zahlreiche Studien machen deutlich, dass spätestens seit der Corona-Pandemie ein massiver Anstieg psychischer Belastungen zu beobachten war – einer Metaanalyse in Globalization and Health zufolge vor allem hinsichtlich der Angsterkrankungen und Depressionen. Eine Entwicklung, die nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen nach sich zieht, da diese Zunahme in weiterer Folge zu vermehrten Krankenständen, Fehlzeiten und frühzeitiger Pensionierung führt.

Eine Gleichstellung physischer und psychischer Gesundheitsangebote ist in jedem Fall erforderlich, um der Zunahme psychischer Erkrankungen entgegenwirken zu können.

Vorteile der digitalen psychischen Gesundheitsvorsorge im Vergleich zu herkömmlichen Strategien

Der vergleichsweise einfache Zugang zu Remote-Health-Lösungen hilft beim Abbau von Barrieren, die sowohl durch regionale Faktoren als auch individuelle Hemmungen und Ängste häufig entstehen können. Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, dass gerade die Anonymität und schnelle Erreichbarkeit im Online-Setting einen positiven Einfluss auf die Beziehungsqualität zwischen Helfenden und Hilfesuchenden ausübt. Durch den geschützten und sicheren Rahmen befinden sich Menschen plötzlich in einer Position, die das Ausleben und den Umgang mit ihren Emotionen erlaubt. Das sonst oft wahrgenommene hierarchische Gefälle zwischen Betreuenden und Betroffenen verschwindet und es entsteht ein Phänomen, welches unter anderem auch als “Paradoxon der Nähe durch Distanz” bezeichnet wird.

Psychologische Beratung Online – Instahelp schenkt neue Perspektiven

Ich bin die CEO von Instahelp. Instahelp ist eine führende Plattform für psychologische Beratung online. Gestartet hat die Plattform mit 5 Psycholog:innen; inzwischen sind über 200 top ausgebildete und qualifizierte Expert:innen gut ausgelastet. Über 85.000 Endkunden haben sich über die Plattform www.instahelp.me beraten lassen und Unternehmen wie Lidl, Trivago und Allianz bauen mit Instahelp eine Corporate Mental Health Culture auf. Diese Erfahrung und Expertise zeigt auf, dass qualitative Hilfe auch im digitalen Setting möglich ist. Unsere Erfahrung deckt sich mit zahlreichen Studienergebnissen, welche einen langfristigen Effekt psychologischer Online-Interventionen bestätigen können. In Hinblick auf eine Symptomverbesserung ist die Online-Beratung als vergleichbar wirksam wie eine Beratung im Vor-Ort-Setting zu betrachten. Studien zeigen dass die Beratungsqualität und -effektivität weniger vom Setting (online/offline) abhängen, als von der Beziehungsqualität zwischen Psychologen und Klienten. Genau hier muss man auch weiter ansetzen und die digital literacy nicht nur beim Kunden, sondern auch beim Psychologen aufbauen.

Mit Instahelp konnten wir im letzten Jahr viele Menschen erreichen, die gerade in Zeiten des Lockdowns massiv unter Einsamkeit und Angstgefühlen gelitten hatten. Zu wissen, dass es am anderen Ende des Smartphones oder Laptops eine Person gibt, die mich bei der Hand nimmt und ein Stück durch die Krise begleitet, war für zahlreiche Nutzer:innen ein stützender Anker, um den Halt nicht zu verlieren. Es war ihr individueller Mutausbruch Hilfe für ihre mentale Gesundheit anzunehmen und den Schritt in die digitale Gesundheitswelt zu wagen.

Autorin: Dr. Bernadette Frech, CEO von Instahelp, der Plattform für mentale Gesundheit (www.instahelp.me)

Quellen:

Berryhill, M. & Culmer, Nathan & Williams, Nelle & Halli-Tierney, Anne & Betancourt, Alex & Roberts, Hannah & King, Michael. (2018). Videoconferencing Psychotherapy and Depression: A Systematic Review. Telemedicine and e-Health. 25. 10.1089/tmj.2018.0058.

Barak, A., Hen, L., Boniel-Nissim, M., Shapira, N. (2008). A Comprehensive Review and a Meta-Analysis of the Effectiveness of Internet-Based Psychotherapeutic Interventions. Journal of Technology in Human Services, 26(2-4), 109-160.

https://globalizationandhealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12992-021-00670-y

https://www.e-beratungsjournal.net/ausgabe_0105/knatz.pdf