Interview mit Arno Antlitz, CFO Volkswagen
In der Lieferkrise sieht VW-Finanzchef Antlitz Fortschritte dabei, die Engpässe abzufedern. Dabei helfen regionale Bezugsquellen und eine digitale Risikoplanung. Die Digitalisierung schafft auch neue Geschäftsmodelle.
Ihre ganze Branche leidet seit mehreren Monaten an Störungen der Lieferketten, wie dem Mangel an Halbleitern. Wie treffen die weltweiten Engpässe Ihr Unternehmen und erwarten Sie derartige Störungen auch nach der Pandemie und dem Ukraine-Krieg?
Die Lieferketten sind momentan enorm unter Druck. Nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine fehlten uns in West-Europa von einem auf den anderen Tag wichtige Teile, insbesondere sog. Kabelbäume. So mussten wir beispielsweise die Produktion der ID Familie in Zwickau zeitweise unterbrechen.
Dieses Problem hatten wir allerdings recht schnell im Griff. Weil unsere Lieferanten in der Ukraine mittlerweile wieder substanziell liefern, aber auch weil wir viele Erfahrungen der letzten Pandemie-Jahre nutzen konnten. Volkswagen ist besser darin geworden, Krisen abzufedern. Wir sind in Summe robuster geworden.
Ein weiterer Vorteil ist in der jetzigen Situation zudem, dass wir global aufgestellt sind. Wenn wir in Europa bestimmte Halbleiter wegen fehlender Kabelbäume nicht verbauen konnten, haben wir diese an anderer Stelle unseres globalen Produktionsverbunds genutzt. Das hat uns insgesamt geholfen, unser Geschäft zu stabilisieren. Insbesondere in China müssen wir aber den Verlauf der Pandemie weiter im Blick behalten.
Um Ihre Lieferketten resilienter zu machen, fahren einige Unternehmen ihre Lagerhaltung hoch, investieren in eigene Produktionen und Kooperationen oder rüsten ihre Fahrzeuge technisch um auf zentrale IT-Architekturen, um von Chips unabhängiger zu werden. Welche Strategien finden Sie am wichtigsten, um die Lieferketten Ihres Konzerns langfristig resilienter zu machen?
Volkswagen setzt heute bereits weltweit auf ein regionales Sourcing. Beispiel Wolfsburg: Der Großteil der zugelieferten Teile kommt aus Deutschland und Europa. Nur ein kleinerer Teil wird weltweit eingekauft. Eine ähnliche Lokalisierung nach gleichem Muster gibt es auch in allen anderen wichtigen Märkten, USA, China, Süd Amerika. Als die Kabelbäume aus der Ukraine ausfielen, war so auch nicht die Produktion weltweit betroffen, sondern allein die Produktion in Nord-Europa.
Unsere Einkaufsabteilung prüft zudem ständig Risiken. Dabei geht es um natürliche Risiken, wie Erdbeben, aber auch um die politische Situation eines Landes. Wir haben einige Bereiche mit hohen Risiken, wo wir auch auf Dual Sourcing setzen, also doppelte, alternative Quellen für bestimmte Teile.
Das kann aber kein Standardmodell sein, weil doppelte Strukturen immer auch deutlich höhere Kosten und damit höhere Preise für die Kunden bedeuten. Letztlich sind wir als Unternehmen, als global agierender Hersteller aber auch unsere Industrie auf offenen Handel und freie Märkte angewiesen. Die internationale Arbeitsteilung ist die Basis von Wohlstand und Fortschritt.
Die IT wird für Ihre Branche ohnehin immer wichtiger. Beschleunigen die Lieferengpässe jetzt die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten? Nutzt Ihr Konzern beispielsweise Blockchain-Technik oder Daten Analytics, um auch Entwicklungen bei Tier2- und Tier3-Lieferanten schneller überblicken zu können?
Die Digitalisierung unserer Lieferketten hat enorme Bedeutung für die Wertschöpfung. Der Volkswagen Konzern hat deshalb zusätzliche Investitionen in die Logistik beschlossen. Unser Hauptziel ist es, in der Tat die Transparenz im Netzwerk mit unseren Transportpartnern zu verbessern und diesen Informationsgewinn auch zur Verbesserung unserer Prozesse zu nutzen. Auch zu Beginn der Halbleiterknappheit ging es in erster Linie um Transparenz über die verschiedenen Wertschöpfungsstufen und Bauteile im Fahrzeug – welcher Chip ist in welchem Bauteil eingesetzt und aus welcher Fertigung kommt der Chip.
Ein datengestützter digitaler Zwilling als Abbild der realen Vorgänge kann beispielsweise helfen, Produktions- und Logistikprozesse zu optimieren sowie unsere Lieferketten effizienter und widerstandsfähiger zu machen.
Wir setzen auf moderne IT-Architekturen und nutzen unsere Industrial Cloud, um sogenannte Mikrodienste zu entwickeln. Mit diesen softwarebasierten Anwendungen können wir das tägliche operative Geschäft verbessern und eine bessere taktische und strategische Planung durch uns selbst oder für unsere Partner im Verkehrsnetz ermöglichen. Wir beteiligen uns zudem an der Standardisierung des Informationsflusses entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette im Rahmen des Projekts Catena-X.
Die von VW und anderen Autokonzernen angestrebte klimaneutrale und digitale Mobilität erfordert langfristig riesige Mengen an Erneuerbaren Energien. Sehen Sie da in Zukunft einen Engpass auf Ihre Branche und Ihr Unternehmen zukommen, auf den Sie reagieren müssen?
Volkswagen will bis 2050 ein bilanziell klimaneutrales Unternehmen werden. Dafür setzen wir auf die Elektrifizierung unserer Fahrzeuge und die Dekarbonisierung des gesamten Lebenszyklus eines Autos. Die Versorgung mit erneuerbaren Energien ist dabei essenziell. Das gilt für die Lieferkette und die Produktion genauso wie für die Nutzungsphase der Fahrzeuge.
So verpflichten wir zum Beispiel bei Neuvergaben bereits heute alle HV-Batterie-Lieferanten dazu, Strom aus erneuerbarer Quelle einzusetzen. In der konzernweiten Produktion haben wir schon 53 Standorte weltweit auf 100 Prozent regenerativen Strom umgestellt. Bis 2023 sollen es alle Standorte in der EU sein.
Auch in der Nutzungsphase unserer Elektrofahrzeuge ist die Versorgung mit erneuerbaren Energien entscheidend. Unsere Kunden können zum Beispiel über ELLI, unseren Anbieter für Energie- und Ladelösungen, einen Naturstromvertrag abschließen. Zudem investiert Volkswagen in den Aufbau von zusätzlichen Wind- und Solarparks in Europa im Umfang von rund 7 Terrawattstunden bis 2025. Damit wollen wir die Nutzungsphase unserer Elektroautos schrittweise klimaneutral machen. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel fördert Volkswagen das größte unabhängige Solarprojekt Deutschlands mit einer Gesamtkapazität von 170 Mio. kWh pro Jahr. Wir verbrauchen also nicht nur erneuerbare Energien, sondern wollen auch selbst dazu beitragen, die Kapazitäten zu erhöhen.
Den klaren Fokus sowohl der Bundesregierung als auch der Europäischen Union auf den Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützen wir nachdrücklich. Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, die Energiewende voranzutreiben.
Wie sieht nach Ihrer Einschätzung der Autokonzern der Zukunft aus?
Wir wandeln uns gerade von einem Autohersteller zu einem software-basierten Anbieter nachhaltiger Mobilität. Unsere Strategie dazu heißt NEW AUTO. Wir werden weiterhin Autos herstellen. Immer weniger Verbrenner und immer mehr vollelektrische Fahrzeuge. Aber das ist nicht der Kern der Transformation. Wesentlicher ist die zusätzliche Wertschöpfung durch Software.
Unsere Antwort auf diese neuen Anforderungen sind unsere Technologieplattformen für Hardware, Software, Battery & Charging sowie Mobility Solutions. Diese vier Plattformen wollen wir skalieren und als Konzern unseren Marken global zur Verfügung stellen. Unsere Marken nutzen diese Plattformen dann, um unseren Kunden begeisternde, hochmoderne Fahrzeuge und Dienste anzubieten.
So können wir im Verbund die Skaleneffekte von einheitlich eingesetzter Technik nutzen und auch in der neuen Mobilitätswelt unserer Rentabilitätsniveau mindestens zu halten. So sieht aus meiner Sicht der Autokonzern der Zukunft aus und auf diese Zukunft richten wir unser Steuerungsmodell aus.
Und womit werden Sie künftig Geld verdienen?
Neben dem Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und vollelektrischen Autos entsteht gerade ein zusätzlicher Umsatzpool. So rechnen wir damit, dass ein maßgeblicher Teil der Umsätze der gesamten Autoindustrie im Jahr 2030 mit Software und hier insbesondere mit autonomen Fahrfunktionen erzielt werden kann. Das beinhaltet, dass Sie und ich nicht mehr selbst fahren, sondern uns fahren lassen. Und dann Zeit haben, uns zu entspannen, mit den Kindern zu spielen, zu arbeiten. Diese zusätzliche Zeit ist enorm wertvoll.
Noch bedeutsamer für unser Geschäft wird der autonome Transport von Waren.
Viele werden zudem kein eigenes Auto mehr haben, sondern kurzfristig und flexibel die Mobilität buchen wollen, die sie gerade brauchen. Auch hier wollen wir mit unserer Mobilitätsplattform die richtigen Angebote anbieten.
Volkswagen hat heute ein funktionierendes Geschäftsmodell. Wir müssen deshalb keine Kompromisse bei Investitionen in die zukünftig profitabelsten Geschäftsfelder machen. Das ist eine Chance, die wir nutzen werden. Wir wollen und können damit in der Transformation unserer Industrie Richtung CO2-freier Mobilität und Digitalisierung eine führende Rolle spielen und unseren Beitrag für einen lebenswerten Planeten leisten. Auch für mich persönlich ist das ein enormer Motivation.
Die Fragen stellte Sabine Haupt