Wir erleben das Ende des Anfangs, nicht den Anfang vom Ende

Dr. Markus Pertlwieser

Artikel aus dem Handelsblatt Journal BANKING vom 07.09.2022

Konjunktur und Krisen werden digitale Geschäftsmodelle im Banking nicht stoppen. Im Gegenteil: Krisen machen echte Marktführer.

Für viele Fintechs wachsen die Bäume derzeit nicht in den Himmel: Investoren sind vorsichtiger geworden, Kapital kennt wieder Risiko und die Bewertungen einiger Fintechs stagnieren oder fallen sogar. Investorengeld, in üppigen Finanzierungsrunden eingesammelt, muss für mehrere Jahre und nicht mehr nur für Monate reichen. Und auch die größten Fintechs entlassen Mitarbeiter:innen. Kurz: Die jungen Digitalunternehmen lernen gerade das Sparen.

Soweit die Fakten. Und die Reaktionen darauf? Kopfschütteln, Erstaunen, Häme. „Wir haben’s doch geahnt. Digitale Geschäftsmodelle sind völlig überbewertet. Wahnsinn, was sich da in den vergangen Jahren abgespielt hat.“ Lauter rufen das jetzt diejenigen, die es immer gewusst haben wollen. Leiser die, denen angesichts der Turbulenzen, in denen einige der jungen Wettbewerber stecken, bloß ein Stein vom Herzen fällt.

Typisch deutsch
Das ist leider typisch deutsch. Was haben wir erwartet? Dass sich jedes der neuen Unternehmen, die mit Investorengeld ihre Geschäftsidee verwirklichen konnten, am Markt durchsetzen wird? Dass alle jungen Gründer:innen erfolgreich sein werden? Ernsthaft?

Da ist sie wieder, die Verzagtheit, die in Deutschlands Finanzdienstleistungsbranche noch bei jedem Rückschlag neuer Technologie um sich griff. Die Lust am Selbstzweifel, am Runterreden und Runterschreiben von Neuem.

Ja, einiges von dem, was in den vergangenen Jahren gegründet wurde, war doch arg kühn konzipiert. Bei manchen Ideen konnte man erahnen, dass hier für eine Nische ohne Markt geplant wurde. Und Wagniskapitalgeber haben in Zeiten von Negativzinsen Bewertungen akzeptiert, die das Risiko mancher Unternehmung nur unvollständig spiegelten.

Ein Segen für das Land
Dennoch: Der Boom der vergangenen Jahre war und ist ein Segen für Deutschland. Was oft gefordert wurde – die Digitalisierung hat es gebracht: Die Lust darauf, als Unternehmer:in zu arbeiten. Den Mut, etwas zu wagen. Die Freude daran, Ideen für Kund:innen zu entwickeln, um deren Leben einfacher zu machen.

Selten hat es in den vergangen Jahrzehnten in Deutschland einen so lebhaften Gründergeist gegeben. Viele gut ausgebildete Absolvent:innen sind entschlossen, sich in der Selbständigkeit zu erproben, statt sich nach Ausbildung oder Studium direkt in der Sicherheit etablierter Unternehmen einzurichten. Kreativität und Kundenfreundlichkeit, frische Ideen und neue Lösungen sind gerade im Finanzsektor in beeindruckender Zahl an den Markt gekommen. Das ist gut für die Kund:innen, für die klassischen Banken und ist gut für den Finanzstandort Deutschland.

Fintechs geht nicht die Luft aus – sie holen Atem
Und das alles ist nicht mit einem Mal verschwunden und es wird auch nicht wieder verschwinden. Sowohl im Retail Banking als auch im Private Banking haben sich neue digitale Spieler etabliert, die in den vergangenen Jahren ihre Marktposition emsig und clever ausgebaut haben. Und die auch in der Krise ihre Stärke zeigen.

Wer hätte Mitte der 2010er Jahre darauf gewettet, dass es neben privaten Banken, Sparkassen, Genobanken und Direktbanken noch Platz gibt für Neo-Banken mit inzwischen Millionen von Kunden? Und wer hätte auch nur einen Pfifferling darauf gesetzt, dass es einem deutschen Neo-Broker gelingt, Hunderttausende Deutsche für Wertpapierhandel über eine App zu begeistern? Wertpapiere seien klassisches Beratungsgeschäft, hieß es damals. Eine Einschätzung, die nicht verhindert hat, dass mittlerweile sehr viele gerade junge, vermögende Kund:innen solche Trading-Apps nutzen und ihren Unternehmen gutes Wachstum und ansehnliche Bewertungen bescheren.

Diese Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Bankgeschäft ist noch lange nicht zu Ende. Was für „Retail“ und „Private“ in den vergangenen Jahren Wirklichkeit wurde, vollzieht sich jetzt wie im Zeitraffer auch im Business Banking, dem Bankgeschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Selbständigen sowie Freiberuflern.

Business Banking: Ein digital unterversorgter Markt
Es spricht sehr viel dafür, dass auch Schreiner und Maler, Architekturbüros und Arztpraxen, mittelständische Maschinenbauer und landwirtschaftliche Familienbetriebe haben wollen, was an digitalem Komfort, Geschwindigkeit und Zugänglichkeit für die privaten Kund:innen von Neo-Banken heute selbstverständlich ist.

Warum für den Betriebsmittelkredit nach Feierabend in eine Filiale gehen, wenn ich die Finanzierungszusage auch über mein Smartphone erhalten kann, während ich beim Kunden auf der Baustelle bin? Warum die Spesen meiner Mitarbeitenden nicht schon beim Bezahlen direkt digital in der Buchhaltung erfassen und sie gleich für die Steuer aufbereiten? Digitale Anwendungsfälle für bessere Dienstleistungen und Produkte gibt es viele. Was fehlt, sind häufig die Angebote.

Was es bislang an Bank für Geschäftskunden gibt, ist oft das, was in der Plattform-Ökonomie ein digital unterversorgter Markt genannt wird (digital underserved market): Dienstleistungen und Produkte sind nicht wirklich leichtgängig und kundenfreundlich, Prozesse analog und kompliziert.

Das Bankenproblem mit dem kleinen Mittelstand
Die Kundengruppe Mittelstand – obwohl stets umworben – bereitet wegen ihrer Heterogenität bei Unternehmensgröße, Branche und Bedarf vielen Finanzdienstleistern erhebliches Kopfzerbrechen. Unbeantwortet scheint für viele Bankmanager:innen die Frage, wie KMU, Selbstständige und Freiberufler gut und gleichzeitig für die Bank profitabel betreut werden können.

Nur zwei Indizien für dieses Dilemma: erstens das unaufhörliche Schließen von Filialen aus Kostengründen, obwohl doch stets regionale Nähe als ein Alleinstellungsmerkmal für Geschäftskunden herausgestellt wird; zweitens das alle Jahre wieder stattfindende „Umhängen” der Geschäftskunden vom Privatkunden- ins Firmenkundensegment und wieder zurück. Mit dem Ergebnis, dass sich am Ende niemand so richtig für den kleinen Mittelstand zuständig fühlt. De facto werden Geschäftskunden bereits heute meist aus Call Centern betreut.

Für Geschäftskunden-Neo-Banken sind die Chancen deshalb riesig, in diesem Markt Fuß zu fassen und den etablierten Häusern Kunden abzunehmen. Die klassischen Mittelständler wählen eine Digitalbank womöglich zunächst als Zweit- oder Drittbankverbindung. Bei den digital affinen Jungunternehmen und Neugründungen haben die Neo-Banken aber durchaus das Zeug zur „digitalen Hausbank“ von Beginn an.

Gut im täglichen Bankgeschäft, perfekt durch Partner
Ein Automatismus ist dieser Erfolg nicht. Die Dienstleistungen der Neo-Banken müssen nicht nur gut gedacht, sondern auch auf Dauer gut gemacht sein. Sie sollten tatsächlich selbsterklärend sein und im täglichen Bankgeschäft untadelig funktionieren. Wenn die Kund:innen Fragen haben, ist es wichtig, dass sie auf ein gut geschultes und motiviertes CRM (Customer Relationship Management) treffen. Vorbild ist hier immer Amazon.

Über ein Plattform-Modell – die moderne Technik einschließlich API-Schnittstelle haben sie – sollten die Neo-Banken ihr Portfolio für die Kund:innen mit den Leistungen externer Partner aufladen („open banking“), wobei auch klassische Banken als Partner infrage kommen. Karten und Kredite, Absicherung unternehmerischer Risiken, Auslandszahlungsverkehr und Exportfinanzierung – nichts davon müssen die Neo-Banken zwingend selbst vorhalten. Unterschiedliche Partner mit unterschiedlichen Scoring-Modellen für den Bedarf ganz heterogener kleiner Unternehmen sind dafür die bessere Lösung. Komplettiert wird das Ganze mit dem Einbinden Dritter für die Steuer vorbereitende Software, digitale Buchhaltungssystemen und weitere Lösungen, die über das klassische Bankgeschäft hinausweisen („beyond banking“).

Dieses „Partnering“ hilft auch, im Geschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen Vertrauen aufzubauen, wenn man noch neu am Markt ist. Begegnen die Unternehmer auf der Plattform der Neo-Bank etablierten Partnern, mit denen sie schon anderweitig gearbeitet haben, strahlt das auf die Neo-Bank ab.

Compliance ist Pflicht, nicht Kür
Kein Herumeiern darf es bei der Compliance geben: Die Klagen von Banken, dass es daran bei Fintechs bisweilen gehapert hat, waren teilweise berechtigt. Diese Ausreißer sind aber mittlerweile eingefangen, die Fintechs haben deutlich in ihre Schutzvorrichtungen investiert. Das robuste Auftreten der BaFin hat dazu mit Sicherheit beigetragen. Wobei die gehäuften Auffälligkeiten auch das statistische Ergebnis davon sein mögen, dass Fintechs inzwischen einen Großteil des echten Neugeschäfts auf sich vereinen. Wer viel erntet, bei dem landen auch mehr faule Äpfel im Korb.

Krisen machen echte Marktführer
So gut die langfristigen Aussichten für Neo-Banken sind, die jetzige Krise ist ein Einschnitt, der durchaus noch etliche Quartale anhalten kann. Der britische Economist brachte im Sommer Stimmen aus der VC-Szene im Silicon Valley, die eine Durststrecke für Finanzierungen bis 2025 prognostizieren. Diese Krise werden die Besten im digitalen Banking nutzen, um die richtigen Lehren für ihre Strategie und ihr Tagesgeschäft zu ziehen. Als richtig hat sich etwa die Strategie erwiesen, Wachstum schnell voranzutreiben, aber dabei auch steigende Erträge anzustreben. Und zwar nicht in homöopathischen Dosen, sondern in bilanzrelevanter Größenordnung. Die geläuterten Investoren liegen richtig, wenn sie den Fintech-Gründer:innen nun stets die drängende Frage nach Profitabilität und Rentabilität stellen.

Krisen der Vergangenheit haben gezeigt, dass es die Marktführer sind, die die Zeit nutzen, um dann gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Finanzierungen und auch Exits sind für Fintechs weiter möglich und wünschenswert. Wahrscheinlicher und richtig ist es, die strategische Option zur Konsolidierung zu ergreifen. Und: Wer die Zukunft im digitalen Banking gewinnen will und schnell ist, findet jetzt attraktive Kaufgelegenheiten.

Was es bislang an Bank für Geschäftskunden gibt, wird in der PlattformÖkonomie ein digital unterversorgter Markt genannt.

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