Whistleblowing – das „Hot Topic“ derzeit. Die „EU-Whistleblower- Richtlinie“ wird wohl noch in 2022 im deutschen Hinweisgeberschutzgesetz umgesetzt. Danach müssen Unternehmen ab 50 Mitarbeitern interne Meldestellen einrichten, die Hinweisgebern die Möglichkeit eröffnen, Missstände zu melden. Die neuen Regelungen schützen Hinweisgeber vor Repressalien, wie einer Kündigung oder einer Versagung der Beförderung. Sie machen zudem Vorgaben zur Bearbeitung der Meldungen, u. a. zu Fristen.
Dieser neue Rechtsrahmen wird in vielen Unternehmen die „Whistleblowing- Kultur“ ändern. Ein Gutachten der Europäischen Kommission rechnet während der ersten fünf Jahre mit einem Anstieg von 200 % der Fälle, die auf Hinweise von Whistleblowern zurückgehen. Geschäftsführer müssen also nicht nur dafür Sorge tragen, dass die neuen Vorgaben in ihren Unternehmen umgesetzt werden. Sie sollten auch den anstehenden Kulturwandel positiv begleiten („Tone from the Top“). Denn ein funktionierendes Whistleblowing- System kann Unternehmen vor Finanz- und Reputationsschäden bewahren. Es führt dazu, dass Meldungen zunächst im Unternehmen bleiben und nicht direkt bei den Behörden landen.
Wenn die Geschäftsführung betroffen ist …
Nicht selten betreffen Meldungen, die über Whistleblowing-Systeme eingehen, (vermeintliches) Fehlverhalten der Geschäftsführung. Das liegt daran, dass der Pflichtenkreis der Geschäftsführung naturgemäß größer ist als der des „einfachen Arbeitnehmers“. Außerdem trägt die prominente Stellung der Geschäftsführung dazu bei, dass das Verhalten genauer unter die Lupe genommen wird. Dabei enthalten Meldungen regelmäßig auch nicht-stichhaltige Vorwürfe.
Die Herausforderung für die Geschäftsführung: Sie muss sicherstellen, dass die Meldung im Einklang mit den Compliance- Prozessen, für die sie eine Mitverantwortung trägt, bearbeitet wird. Zugleich darf sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Bearbeitung der Meldung zu ihren Gunsten beeinflusst zu haben. Diese Herausforderung ist besonders groß, wenn die Geschäftsführung – gewollt oder ungewollt – von den Vorwürfen Kenntnis erlangt. Wie geht man damit um?
Prävention: Whistleblowing-System sauber konfigurieren
Die Whistleblowing-Systeme sollten so ausgestaltet sein, dass die Geschäftsführung von den gegen sie gerichteten Vorwürfen nicht unbedingt als erste Kenntnis erlangt. Stattdessen sollten andere geeignete und kompetente Personen/Stellen die Meldung „auf den Tisch“ bekommen. Dort kann die Stichhaltigkeit der Meldung unabhängig geprüft und über die erforderlichen nächsten Schritte entschieden werden. Bei diesem Ablauf kann der Geschäftsführung kein Vorwurf der Einflussnahme gemacht werden. Die Sicherstellung gelingt insbesondere durch folgende Maßnahmen:
- Das Unternehmen sollte nicht nur innerbetriebliche Meldewege eröffnen (z. B. Compliance- oder HR-Abteilung, Vorgesetzter, interne Mailadresse), über welche die Meldungen in jedem Fall zunächst bei einem Mitarbeiter des Unternehmens landen. Es sollte auch externe Meldewege anbieten (z. B. webbasiertes System, Ombudsmann, Hotline). Das verringert das Risiko der zu frühen Kenntnisnahme durch die Geschäftsführung. Denn der über einen externen Meldeweg eingehende Hinweis kann zur weiteren Aufklärung leichter einer Person/Stelle zugewiesen werden, die nicht in die Vorwürfe involviert ist.
- Bei Nutzung eines webbasierten Meldewegs sollte dieser so konfiguriert sein, dass bereits anhand der Fragestellung klar wird, ob erhobene Vorwürfe auch das Verhalten der Geschäftsführung betreffen. Wenn dies der Fall ist, sollte die weitere Bearbeitung automatisch bei einer Person/Stelle landen, die keine zu große Nähe zur Geschäftsführung aufweist. All das kann bei webbasierten Meldesystemen individuell für das jeweilige Unternehmen eingestellt werden.
- Es sollte die Vertraulichkeit von Daten, insbesondere in Bezug auf Informationen aus Unterlagen, mit großer Sorgfalt sichergestellt werden. Durch ein Berechtigungskonzept sowie eine Sensibilisierung der Mitarbeiter, etwa durch Schulungen, kann verhindert werden, dass ein größerer Personenkreis – einschließlich der Geschäftsführung – Zugriff auf die Daten bekommt.
Verhalten bei früher Kenntnis der Vorwürfe
Sollte die Geschäftsführung Kenntnis von den Vorwürfen erhalten, bevor die Meldung unabhängig geprüft werden konnte, bietet es sich umso eher an, die weitere Bearbeitung in externe Hände, z. B. an eine Anwaltskanzlei, zu geben. Dieser Weg sollte meist auch dann beschritten werden, wenn die Vorwürfe aus Sicht der Geschäftsführung haltlos sind. Im Rahmen einer unabhängigen externen Bewertung kann dieses Ergebnis dann „offiziell“ festgestellt werden. Bei der Einbindung Externer ist Folgendes zu beachten:
- Der Gegenstand der Prüfung sollte nicht zu eng beschrieben werden. Er muss sich nicht zwingend auf die vom Hinweisgeber genannten Vorgänge beschränken, sondern kann auch pauschaler formuliert sein (z. B. „Untersuchung des Führungsverhaltens“). Andernfalls könnte dem Unternehmen vorgehalten werden, dass der Vorwurf nicht in Gänze aufgearbeitet werden sollte und das Ergebnis wertlos sei.
- Der Untersuchungsauftrag ist so zu gestalten, dass eine unabhängige Ermittlung vorgenommen werden kann. Das beinhaltet vor allem eine freie Entscheidung über mögliche Untersuchungsmaßnahmen (z.B. Mitarbeiterinterviews).
- Der Auftrag sollte auch eine Empfehlung für Folgemaßnahmen umfassen, z. B.: Soll das Verfahren abgeschlossen werden oder sind weitere Ermittlungsschritte denkbar? Welche Kommunikation/Maßnahmen werden in Bezug auf den Hinweisgeber empfohlen? Sollten externe Behörden involviert oder gerade nicht involviert werden?
Vorantreiben der Aufklärungsmaßnahmen
Wenn es zu Aufklärungsmaßnahmen kommt, lautet die Empfehlung für die Geschäftsführung meist, an der Untersuchung aktiv mitzuwirken und diese bewusst zu fördern. Zwar muss sich der Geschäftsführer bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten nicht selbst bezichtigen. Aber die Mitwirkung an der Aufklärung gehört ihrerseits zum Pflichtenkreis der Geschäftsführung und oft kann der Vorwurf im Rahmen der Untersuchung entkräftet werden. Zur Mitwirkung und Förderung zählt insbesondere:
- die zeitnahe Übermittlung von Unterlagen, die zur Auswertung benötigt werden;
- die bereitwillige Erteilung von Auskünften, etwa im Rahmen von Interviews;
- die Bereitstellung interner Ressourcen, z. B. in Form von Mitarbeitern, die einem externen Ermittler Informationen/Unterlagen zur Verfügung stellen;
- und vor allem: das Drängen auf eine zügige Bearbeitung. Das zeigt, dass ein Aufklärungsinteresse vorhanden ist und bringt die Angelegenheit bestenfalls schnell zu einem Abschluss.
Umgang mit dem Ergebnis der Untersuchung
Die Entscheidung über den Umgang mit dem Ergebnis der Untersuchung trifft üblicherweise das Unternehmen, selbst wenn die Untersuchung zuvor durch einen Externen erfolgte. Die Geschäftsführung sollte dabei vor allem Folgendes im Blick haben:
- Es sollten auch hier Personen in die Entscheidung eingebunden werden, die keine Nähe zu den untersuchten Vorwürfen und involvierten Personen aufweisen. Je nach Einzelfall können aber andere Mitglieder der Geschäftsführung, die nicht direkt vom Vorwurf betroffen sind, durchaus mitwirken.
- Die interne sowie externe Kommunikation sollte gut durchdacht werden. Grundsätzlich ist die Identität des Hinweisgebers geschützt.
- Bei offenkundig haltlosen Vorwürfen muss der Hinweisgeber zwar über das Ergebnis informiert werden, seine Identität ist in vielen Konstellationen aber nicht geschützt. Möglicherweise wird zu prüfen sein, ob Schadensersatzforderungen gegen den Hinweisgeber geltend gemacht werden können.